Köln | Die Kölner Industrie- und Handelskammer hat am heutigen Mittwoch zur Unterzeichnung einer Petition aufgerufen. Bisher haben bei der bundesweiten Kampagne gegen das „Abmahnunwesen“ erst gut 5300 unterzeichnet, knapp zehn Mal so viel sollen es werden, damit sich auch der Deutsche Bundestag mit der Angelegenheit beschäftigen muss.

Die Petition mit der laufenden Nummer 77180 war kurz vor Ostern vom Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags geprüft und zugelassen worden. Eine Gewerbetreibende aus Bonn hatte zuvor eine Abmahnung wegen fehlerhafter Textilkennzeichnung erhalten und sich derart darüber geärgert, dass sie im Internet auf ein Positionspapier des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) und neun weiterer Wirtschaftsverbände stieß. Schon im Juni vergangenen Jahres hatten die Vertreter der Wirtschaft, neben dem DIHK auch andere große Verbände wie der Branchenverband bitkom, der HDE Handelsverband und der Maklerverband ivd unter der Überschrift „Private Rechtsdurchsetzung stärken – Abmahnmissbrauch bekämpfen“ eine gemeinsame Position mit einem ganzen Bündel an Forderungen veröffentlicht.

Gemeinsames Ziel des Vorstoßes war damals wie heute: das Erfolgsmodell private Streitbeilegung erhalten und gleichzeitig den Missbrauch einzudämmen. Denn was der Bonner Petitentin passierte, ist kein Einzelfall. Vor allem im Bereich der Online-Shops haben sich inzwischen Geschäftsmodelle entwickelt, die vor allem bei kleineren Anbietern gezielt nach Fehlern suchen und diese kostenpflichtig abmahnen. Zwar liegen die Kosten für das erste Abmahnschreiben meist im niedrigen dreistelligen Bereich, zumindest wenn es von Verbänden kommt, aber das kann bei Fortbestehen der Mängel schnell teuer und nicht selten existenzbedrohend werden. Zahlen zum wirtschaftlichen Schaden oder der Summe betroffener Online-Shop-Betreiber liegen zwar nicht vor, aber eine Umfrage von Trusted Shops zeigt, dass solche Praktiken offenbar weit verbreitet sind.

Ergebnisse der Befragung von Trusted Shops aus dem Jahr 2017

Demnach empfindet eine knappe Mehrheit der im vergangenen Jahr Befragten Abmahnungen als „existenzbedrohend“. In einer weiteren, aktuelleren Umfrage (Marktplatz-KIX vom Kölner ECC-Handelsinstitut) erklärten sogar acht von zehn Befragten, dass sie sich von der neuen Bundesregierung einen „besseren Schutz vor missbräuchlichen Abmahnungen“ wünschen.

Die Gründe für eine Abmahnung sind vielfältig, auch wenn es vor allem Online-Shops und ihre Betreiber betrifft. In der Umfrage von Trusted Shops vom August vergangenen Jahres liegen die Hauptgründe relativ nahe beieinander. Mit 23 Prozent der Nennungen liegen „Verstöße mit Bezug auf Produktkennzeichnung“ zwar an der Spitze, aber die Sammelkategorie „sonstige Verstöße“ (21 Prozent) sowie Verstöße gegen Informationspflichten mit 17 Prozent der Nennungen sind nicht weit entfernt. Auf den weiteren Plätzen folgen fehlerhafte Versandangaben (13 Prozent), Verstöße in Bezug auf das Widerrufsrecht (elf Prozent), Markenrechtsverletzungen (neun Prozent) und Verletzungen von Urheberrechten (sieben Prozent).

Kritik an fragwürdigen Geschäftsmodellen / Lösungsansatz vielschichtig

Nicht erst seit riesigen Abmahnwellen und massenhaften Versendungen von Abmahnschreiben der zurückliegenden Monate und Jahre gibt es immer wieder Kritik an diesem „Geschäftsmodell“, das von einigen spezialisierten Rechtsanwälten und Abmahnvereinen bisweilen als einträgliche Erlösquelle genutzt wird. Häufig genug werden, so stellt auch die IHK fest, Schreiben versendet, in denen erkennbar mit Textbausteinen gearbeitet wird und nur die beanstandeten Produkte verändert werden. Zurückliegende Urteile an deutschen Gerichten setzen jedoch sehr hohe Hürden und Auflagen, bevor entsprechende Anliegen aufgrund eines vorliegenden Rechtsmissbrauchs zurückgewiesen werden. Selbst wenn mehr als 200 Abmahnbriefe versendet werden, sei dies nach Meinung der Justiz noch statthaft, wie ein vor Jahren ergangenes Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt (OLG Frankfurt) zeigt.

Mit ihrer Initiative vom Sommer 2017 wollen die zehn Wirtschaftsverbände und der DIHK nun die Politik dazu motivieren, diesem Geschäftsgebaren einen Riegel vorzuschieben. Dabei geht es nicht darum, Abmahnungen generell zu verbieten, ganz im Gegenteil. „ Abmahnungen sind grundsätzlich ein sinnvolles Instrument außergerichtlicher Streitbeilegung für Verbraucher und Unternehmen. Sie ermöglichen bei sachgerechtem Einsatz, Konflikte unbürokratisch und ohne Einschreiten von Behörden oder Gerichten zu lösen“, so die offizielle Position der Kammern.

In ihrem elfseitigen Papier streben die Verbände vielmehr eine rechtliche Präzisierung an. Dabei soll der Gesetzgeber „die Abmahn- und Klagebefugnis schnellstmöglich konkretisieren, genauer im Gesetz definieren, wann Rechtsmissbrauch vorliegt, die finanziellen Anreize einer Abmahnung verringern und Änderungen im Verfahrensrecht vornehmen. Vor allem beim ersten Punkt, der Abmahn- und Klagebefugnis soll nachgebessert werden. Nicht selten reichen Personen Klagen ein, die selbst nur drei Produkte im Shop haben. Häufig reicht die Behauptung, dass der Abmahner Wettbewerber sei, ohne dass er das näher belegen müsste. Für die betroffenen Beklagten wird es indes schwierig, den Anspruch des Klägers nachzuvollziehen, geschweige denn ihn rechtsverbindlich zurückzuweisen. Wenn nur noch „seriöse“ Verbände Klagen einreichen, könnten kleinere Mängel auch ohne hohen Kostenaufwand so die Hoffnung der Kammern.

Mängel schon lange bekannt / EU-Ebene

Fatal: Der Gesetzgeber habe die „Schieflage“ bereits vor langer Zeit erkannt, das Bundesjustizministerium hatte bereits im Januar 2011 ein Eckpunktepapier zu Ursachen und Auswirkungen missbräuchlicher Abmahnungen verfasst und damit das Problemfeld zur Kenntnis genommen. Auch beim anschließenden Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken vom Oktober 2013 war sich der Gesetzgeber bewusst, dass missbräuchliche Abmahnungen gerade die kleineren Anbieter besonders hart treffen. Nur geändert hat sich bis heute nichts, es wurde eher schlimmer. So führte beispielsweise eine Neuregelung zum Auffangstreitwert von 1000 Euro dazu, dass die Abmahnprofis noch weniger an Gerichtskosten zu tragen hatten.

„Das privatrechtliche System der Streitbeilegung, wie wir es in Deutschland und Österreich haben, ist schnell und kostengünstig. Aber die überbordenden Informationspflichten machen es vor allem kleinen Shopbetreibern schwer – wenn nicht gar unmöglich -, ihr Geschäft rechtssicher zu betreiben“, erläutert Rechtsexpertin Hildegard Reppelmund vom Deutschen Industrie- und Handwerkskammertag. Und angesichts immer neuer EU-Vorschriften, ob zum Daten- oder Verbraucherschutz, sieht die DIHK-Expertin mit Sorge auf die neuen Aktivitäten aus Brüssel, weil jede neue Informationspflicht zu einer Abmahnwelle führt.

In der kommenden Woche soll ein „New Deal for consumers“ vorgestellt werden. Und der sieht weitere neue Vorschriften und Rahmenbedingungen für den Verbraucherschutz vor. Die verschiedenen Gesetzesvorschläge werden es für Unternehmen noch schwerer machen, bemängelt Reppelmund. „Bei den Informationspflichten müssten dringend Vereinfachungen und Vereinheitlichungen kommen“, fordert die DIHK-Expertin abschließend.

Die Resolution an den Bundestag benötigt mindestens 50.000 Unterschriften, um in jedem Fall behandelt zu werden. Auch bei geringerer Zahl von Stimmen kann der Deutsche Bundestag Eingaben dieser Art auf die Tagesordnung setzen. Die Petition kann noch bis zum 24. April dieses Jahres durchgesetzt werden. Sie finden diese auf der Internetseite https://epetitionen.bundestag.de/ unter der Nummer 77180.

Autor: bfl