Jochen Ott von der SPD. Foto: Bopp

Köln | Bei der SPD heißt es nach der Landtagswahl vom Sonntag: Wunden lecken.

Auch Jochen Ott hadert mit dem schlechten Ergebnis der Partei, speziell in Köln. Das Interview mit report-K.

Sie haben einen sehr leidenschaftlichen Wahlkampf betrieben, dann so ein Ergebnis für die SPD. Welche Gründe waren Ihrer Meinung nach ausschlaggebend?

Ott: Erstmal danke ich allen meinen Wähler:innen und gratuliere Arndt Klocke zum Wahlsieg im Kölner Wahlkreis III. Leider haben wir es als SPD nicht geschafft, unsere Wähler:innen für die Wahl zu mobilisieren. Eine Wahlbeteiligung von nur 55,5 % ist bedenklich. Das macht mir große Sorgen und wirft Fragen auf, denen wir uns jetzt stellen müssen. Das Ergebnis zeigt übrigens auch, dass die CDU im Vergleich zur Landtagswahl 2017 weniger Stimmen bekommen hat, aber deren Wähler:innen mehrheitlich wählen gegangen sind. Warum haben wir es als SPD nicht geschafft mehr zu mobilisieren?

Gute Frage…

Ott: Unsere Schwerpunkte waren richtig: Kinder in den Mittelpunkt stellen, Rahmenbedingungen für bezahlbares Wohnen schaffen, für verbesserte Bedingungen in der Pflege kämpfen und die Transformation der Industriegesellschaft bestmöglich und sozial umsetzen. Das alles sind drängende Themen, die angepackt werden müssen. Unser Plan dafür war und ist gut wie richtig. Ich mache mir große Sorgen, dass diese drängenden Themen nicht aus einer sozialen Perspektive betrachtet und angegangen werden. In meinem Wahlkreis war – nach Kommunal- und Bundestagswahl – klar, dass ich ihn kaum gewinnen kann. Das Ergebnis dieser Wahl zeigt kaum Unterschiede zum Ergebnis der Bundestagswahl, trotz geringerer Wahlbeteiligung. Die fehlende Mobilisierung alleine war also nicht das Problem. Hier sind die Grünen ganz klar die gewünschte Partei, die die urbane Bevölkerung in Ehrenfeld und Nippes ansprach. Selbst meine deutliche mediale Präsenz und meine inhaltlichen Schwerpunkte änderten wenig daran, auch wenn ich als Landtagskandidat deutlich mehr Stimmen bekam als die SPD generell. Das grüne Ehrenfeld von heute verdrängt das rote Ehrenfeld des letzten Jahrhunderts.

Bitte vergessen Sie nicht, dass sich die Bevölkerung in Teilen von Ehrenfeld seit 2017 zu über 50 % gewandelt hat und damit heute ein neues Milieu mehrheitlich in diesem Wahlkreis lebt. Ich freue mich riesig, dass Carolin Kirsch in Mülheim und Lena Teschlade im Kölner Norden gewonnen haben. Lena hat es geschafft und konnte Erst- sowie Zweitstimmen umdrehen. Es zeigt sich, dass es richtig war die junge Ehrenfelder Co-Ortsvereinsvorsitzende nicht in den für uns schwierigen Wahlkreis Köln III kandidieren zu lassen, sondern da hin zu schicken, wo sie eine reale Chance hatte. Diese hat sie genutzt, einen tollen Wahlkampf geführt und überzeugt, weswegen die Menschen sie dafür mit ihrer Stimme belohnt haben! Tolle Sache.

Die Grünen sind jetzt klar in der Verantwortung und müssen sich dringend der Frage stellen, wie Nippes und Ehrenfeld weiterhin für Jung wie Alt, aber auch Arm und Reich bezahlbar bleiben. Es muss möglich sein, dass Menschen unterschiedlicher Klientel sich hier weiterhin ihr Leben leisten können; dass Kultur und Kneipen nicht verdrängt werden; dass Kinder sicher zur Schule kommen und dass die Verkehrsteilnehmer nicht gegeneinander ausgespielt werden. Klimaschutz ist das eine, die Stadtteile, die attraktiv sind, weiter zu gentrifizieren, das andere. Jetzt ist klar, wer die Verantwortung dafür tragen wird, wenn es sich weiter zuspitzt.

Eine Großstadt-Partei muss sich auch um die Ärmsten ihrer Gesellschaft kümmern

Jochen Ott

Ist Köln tatsächlich so grün wie es das Wahlergebnis aussagt?

Ott: Schaut man sich die einzelnen Wahlkreise mit ihren Ergebnissen an, lässt sich gerade kein anderer Schluss daraus ziehen: Die Grünen haben im Vergleich zur vergangenen Bundestagswahl bei den Zweitstimmen fast überall zugelegt. Das ist ein beachtliches Ergebnis, bei den Erststimmen liegen die Ergebnisse im Vergleich zur Bundestagswahl ungefähr gleich. Wichtig ist aber auch, sich die Wahlbeteiligung in den einzelnen Stadtteilen genau anzuschauen. Deutlich wird, dass in sozial schwächeren Regionen der Stadt die Wahlbeteiligung zu niedrig war: In Finkenberg sind nur ca. 33,13 % oder in Gremberghoven nur 31,12 % der Wähler:innen zur Urne gegangen. In Chorweiler sind es erschreckende 21,91 %. Die Spaltung nimmt weiter zu. Wenn der grüne Sozialdezernent der Stadt Köln sagt, die Leute sollen endlich ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen, dann scheint es so, dass den Grünen diese Stadtteile einfach ziemlich egal sind. Das macht mir Sorgen. Eine Großstadt-Partei muss sich auch um die Ärmsten ihrer Gesellschaft kümmern.  

Welchen „Anteil“ haben die Regierungsmitglieder der SPD an dem Kölner Ergebnis?

Ott: Der schreckliche Krieg in der Ukraine war mit Sicherheit ein bundespolitisches Thema, das bei dieser Landtagswahl mit eine Rolle spielte. Mitentscheidend war bestimmt auch, dass Annalena Baerbock und Robert Habeck als grüne Minister:innen aktuell ihre Politik sehr gut kommunizieren, was bei den Wähler:innen positiv ankommt. Allerdings muss man sehen, dass das mediale Trommelfeuer auf unseren Bundeskanzler Olaf Scholz, bei allen kommunikativen Schwächen und auf die SPD als Ganzes, schon bemerkenswert war und ist. Der Traum einer schwarz-grünen Bundesregierung wirkt scheinbar nach. Und das Ergebnis in NRW lässt diesen Traum jetzt weiter erblühen. Ich vertraue unserem Bundeskanzler Olaf Scholz, unserem Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, unserer Regierung und bin dankbar für das besonnene Handeln in Absprache mit unseren Bündnispartner:innen. Die Mehrheit der Deutschen will keine Eskalation dieses Krieges. Die deutsche Regierung stellt enorme Ressourcen zur Verfügungen, was richtig ist! Dafür sollte die Regierung nicht ständig angegriffen werden. Vielleicht muss man hier einmal deutlichere Worte finden.

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Wie gehen Sie selbst jetzt die Zukunft in der Politik an?

Ott: Meine Politik war schon immer durch Bürgernähe geprägt. Dabei soll und wird es auch bleiben! Mir ist wichtig, dass ich die Stimmen aus der Bevölkerung – auch die sehr kritischen Stimmen – höre. Diese habe ich immer als Bereicherung für meine Arbeit wahrgenommen. Ich möchte die Menschen mitnehmen und erklären, warum ich einen bestimmten Weg für richtig halte und warum diese oder eine andere Richtung eingeschlagen werden muss. Inhaltliche Auseinandersetzungen sind dabei wichtig, und darauf kommt es an! Die geringe Wahlbeteiligung zeigt mir, dass viele Menschen für Politik nur noch schwer erreichbar sind. Dies kann ich nicht einfach hinnehmen und will dem entgegenwirken. Ich werde weiterhin auf Missstände hinweisen und mich mit Leidenschaft einer gerechten Bildungspolitik in unserem Land widmen.

Die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen müssen ernst genommen werden. Dass Schülervertretungen bei Gesprächen als wichtigstes Thema die mentale Gesundheit bzw. die Probleme der Jugendlichen benennen, ist ein Hilferuf, der ernst zu nehmen ist! Die Suizidversuchsrate steigt, immer mehr Kinder im Alter von 15 Jahren droht bereits ein Burnout. Das kann und darf doch nicht sein! Ich hätte diese Probleme gerne selbst angepackt und geholfen. Jetzt scheint es so zu sein, dass andere das machen müssen. Ich werde das sehr kritisch begleiten.Abgesehen davon es gibt keine Chancengerechtigkeit in unserem Land. Eine gute und gerechte Bildung ist immer noch vom Wohnort und vom Einkommen der Eltern abhängig. Das muss sich ändern. Dafür kämpfe ich weiter! Ich freue mich, dass jetzt der SPD-Vorschlag, eine Gesamtschule in Neubrück zu bauen, durchgesetzt wurde und auch dass am Venloer Wall endlich die Interimsschule kommt. Wenn auch leider wieder ein Jahr später, ist dies dennoch ein schöner Erfolg. Ich träume davon, dass sich die Leistung in der Politik stärker lohnt, damit mehr „normale“ Leute wieder Freude haben, sich  auch kommunalpolitisch zu engagieren.