Köln | KOMMENTAR | Wenn Wahlen anstehen gibt es Rituale. Da schmücken sich Institutionen mit Politiker-Podien und die Politikerinnen und Politiker kommen gerne, um ihre auswendig gelernten Parteiprogramme vorzutragen, weil sie durch die Podien legitimiert und vor allem im digitalen Raum geadelt werden. Der politisch inhaltliche Erkenntnisgewinn in der Regel gering, die Moderator:innen oft nicht aus dem politischen Fach, echter politischer Diskurs selten und von politischer Konfrontation derer, die um die Gunst der Wählerinnen und Wähler kämpfen, ganz zu schweigen. Es geht um Sehen und Gesehen werden und das ist wichtig im visuellen Zeitalter. Ein Kommentar von Andi Goral

Win-Win-Win-Win

Podien sind ritualisierte Inszenierungen, die beiden dienen: Die Einladenden schmücken sich mit den Namen und die Eingeladenen müssen nicht an der Haustür klingeln, sondern das Wahlvolk – praktisch in Zielgruppen vorsortiert – strömt herbei. Wobei tröpfeln die analoge vor Ort Beteiligung des Wahlvolkes wohl eher beschreibt, denn in der Regel kommt in größerer Zahl nur die Fanbase aus Wahlhelferinnen und -helfern der Parteien. Ein weiterer Vorteil in Zeiten der Sozialen Medien: Es braucht Anlässe und Events, um eigenen Social Media Content zu generieren. Je wertiger der Veranstalter, umso höher die Legitimation.

Und ein Podium der IHK Köln eignet sich Bestens zur Produktion hochwertigen politischen Contents. Damit sind nicht Inhalte gemeint, sondern Images: Bilder, Bilder, Bilder und noch mehr Bilder mit kurzen selbst formulierten politischen Botschaften. Besser kann sich ein Politiker nicht präsentieren und legitimieren. Schauts her: Ich bin wichtig, real und werde sogar von der Wirtschaft hofiert. Sogar Videos gelingen, denn allzu kritische Nachfragen gibt es auf den Podien selten und die Hoheit im Videoschnitt liegt beim bearbeitenden Team des Politikers.

Das liegt aber auch an den Moderatoren und dem Wohlfühlfaktor, den der Einladende bieten will und muss, schließlich generiert er auch damit Images und die Politik soll ja wiederkommen. Es ist in diesem Sinn eine Win-Win-Win-Win-Situation im Zeitalter der Algorithmen, die die Podien in ihrer Wirkung durch digitale Vernetzung und Followerzahlen verstärken. Sitzen im Saal 50 Personen, so sind es vor den digitalen Kanälen von TikTok, Insta und Co. schon Tausende. Wer wüsste das nicht besser als die AfD?

Die Kölner Vereinbarung

Die demokratischen Parteien in Köln vereinbarten, dass sie nicht an Podien teilnehmen, auf denen die AfD sich inszenieren kann. Das ist in Köln hinlänglich bekannt und funktionierte bislang. Naiv war es anzunehmen, dass dies einfach so weiter geht. Die Welt steht nicht still, sondern bewegt sich weiter, bis hin zu TV-Duellen mit AfD Politikern wie Höcke.

Huch, da lädt sich die AfD selbst auf das Podium der IHK Köln ein. Huch, da merkt die naive IHK Köln, dass sie sich an ein Neutralitätsgebot gebunden fühlt. Dann wird halt noch ein Stuhl mit Namensschild und ein Mikrofon dazugestellt. Aber war ja gar nicht nötig.

Die SPD und die Grünen sagen ab. Da waren es nur noch zwei Geladene, plus ein ungebetener Gast, der sich selbst lud und auf einen der freiwerdenden Stühle setzt. Hätte die IHK Köln die Veranstaltung durchgeführt, wenn auch CDU und FDP abgesagt hätten, mit einem Vertreter der AfD auf dem Podium? Wohl kaum.

Da springt nun die CDU der IHK bei und macht daraus eine neue Märtyrer-Story: Es könne ja nicht sein, dass es der AfD so gelinge, solche Veranstaltungen zu unterbinden und verspricht, konfrontativ gegen die AfD auf dem Podium vorzugehen. Ist das nicht nett. Nur wird die Konfrontation im digitalen Raum der Neuen Rechten einfach herausgeschnitten. So geht Wahlkampf heute.

Absagen und überdenken

Der gestrige Abend hätte, so wie er angelegt war, abgesagt werden müssen. Von allen Demokraten. Dazu gab es keine Alternative. Warum bietet eine Industrie- und Handelskammer zu Köln einer Partei ein Podium, deren erklärtes Ziel es ist, das europäische Parlament abzuschaffen, wie es im AfD Europa-Wahlprogramm nachzulesen ist? Und das ist nicht die einzige demokratische Sünde im Europawahlprogramm der AfD.

Um was geht es eigentlich bei solchen Veranstaltungen? Wer sich ehrlich macht im Jahr 2024 muss klar erkennen, dass damit alle, von der IHK-Präsidentin angefangen, bis zu den Politikerinnen und Politikern Content für ihre sozialen Medien bekommen. Schauts her, da war ich auch und wie wichtig ich bin. Die Blase wird applaudieren. Und wer, wenn nicht die AfD-Politikerinnen und Politiker, weiß um die Macht solcher Bilder, siehe Vorrede.

Es steht in den Büchern der Neuen Rechten, wie man sich bei solchen Talkshows wie der IHK Köln verhalten muss: freundlich sein, frech sein, bestimmt sein und auf die Veranstaltungen gehen, wo wenig Gegenwind zu erwarten ist, also in Talkshows. Und übrigens: Egal wie die Debatte endet, sie endet immer im Opfermythos und Empörung der Rechtspopulisten sowie Rechten und vor allem auf deren Plattformen.

Wer das nicht glaubt: die erste Reaktion gibt es schon von den Freien Wählern, die sich bitterlich beklagen selbst nicht eingeladen worden zu sein und behaupten, SPD und Grüne beschädigten die Demokratie. Fein populistisch eingewebt wird: die Absage von Grünen und SPD zeige die Überheblichkeit der etablierten Parteien. So geht Delegitimierung a la Carte in 2024. Die Freien Wähler stellen übrigens in Bayern den stellvertretenden Ministerpräsidenten, so viel zur etablierten Politik. Es ist davon auszugehen, dass sich bei der kommenden IHK-Veranstaltung auch die Freien Wähler nachmelden und dem Beispiel der AfD folgen werden. Denn gelernt wird in diesem Kommunikationsmarkt schnell.

Die Ausgegrenzten und das Wort Neutralität

Rechtspopulisten und die Neue Rechte argumentieren seit Anbeginn ihrer Kampagne gegen die Demokratie mit den Begriffen Ausgrenzung und dem Vorwurf die demokratischen Institutionen seien nicht neutral. Stellen Sie sich doch einfach mal die Frage inwiefern rechte Think Tanks, Foren, Institutionen, Podien oder Medien sich an das Gebot der Neutralität gebunden fühlen. Für alle gilt die Pressefreiheit, aber mitnichten lassen die Neuen Rechten andere politische Strömungen zu Wort kommen oder räumen ihnen Platz für deren Argument ein.

Die Neue Rechte oder die Rechtspopulisten laden nicht neutral ein oder berichten neutral über demokratische Parteien oder Politikerinnen und Politiker. Diese finden dort überhaupt nicht statt außer in der Delegitimierung, ob gewollt oder ungewollt. Stattdessen inszenieren sich AfD und Co. als die Ausgegrenzten, sind aber aktuell gerade vor der Europawahl 2024 auf jedem Kanal und jeder TV-Talkshow megapräsent. Und selbst bei Recherchen wie den Fragen nach Finanzierung aus Russland oder Spionage durch China wird zumindest in den demokratischen Medien nicht agitiert, sondern im Rahmen journalistischer Standards berichtet.

In rechten Medien kübelt die Neue Rechte Hass und Hetze und ist von Neutralität oder Ausgewogenheit meilenweit entfernt. Die scheren sich einen feuchten Kehricht um diese demokratischen Grundgepflogenheiten. Aber was erwarten Demokraten von einer Partei, die in ihrem Wahlprogramm schreibt: „Das undemokratisch gewählte EU-Parlament wollen wir abschaffen.“?

Es scheint wichtig zu sein, über Sinn und Unsinn ritualisierter Veranstaltungen und simplifizierter Polit-Talks vor dem Hintergrund neuer politischer und medialer Realitäten nachzudenken: über analoge Formate und deren Wirkung in digitalen Echokammern und Blasen. Besser wäre es gewesen dies vor der Europawahl 2024 zu tun. Dies gilt für alle Podien und nicht nur das der IHK Köln. Alles andere wäre naiv.


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