Xanten | Mit ihren dünnen Fingern ertastet Mandy Neumann ganz sachte ein handgroßes Stück einer Römer-Rüstung im Archäologischen Park Xanten (APX). Ganz vorsichtig gleitet die 23-Jährige mit ihrer Hand über die Metallschuppen. „Hier ist eine einzelne, fühl mal“, sagt Museumspädagogin Marianne Hilke. Neumann ist sehbehindert und kann bis auf Farben und Helligkeit nichts erkennen. Der APX bietet spezielle Führungen für blinde und fast blinde Menschen an. Immer mehr Museum in Nordrhein-Westfalen haben solche Angebote, bei denen das Fühlen, Hören und Beschreiben statt des Anschauens im Vordergrund stehen.

Seit 1991 veranstaltet der Archäologische Park am Niederrhein nach Angaben von Hilke Blindenführungen. „Der Park eignet sich gut, wir haben viele Rekonstruktionen“, berichtet sie. Mindestens 15 solcher Touren gebe es pro Jahr. „Wir haben viele Vereine, die regelmäßig kommen.“ Die Schüler des Berufsbildungwerks Soest, mit dem Neumann nach Xanten gekommen ist, sind zum ersten Mal in der Ausstellung. Mit ihren Blindenstöcken gehen sie vorsichtig durch das geräumige Museum, machen mal vor einem Marmorrelief halt und fühlen die Buchstaben, mal an Papyrusrollen.

Dem Museumsbesuch standen die fünf Sehbehinderten eher skeptisch gegenüber. „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man das machen kann“, sagt Artur Kriger zu den besonderen Anforderungen, eine für sehende Menschen konzipierte Schau für Blinde zu vermitteln. Der hellblonde 25-Jährige mit einem großen silbernen Kreuz an der Brust war nach eigenen Angaben noch nie bei einer solchen Führung. „Das mit dem vielen Fühlen, ich bin positiv überrascht“, lautet sein Fazit. Auch Neumann ist zufrieden: „Hier dürfen alle Sinne eingesetzt werden.“

Aufwand oft nicht so groß

Neben dem APX bieten auch andere Museen insbesondere der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe in NRW solche Führungen an. Der Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenverbands Nordrhein, Peter Henseler, sagt: „Es kommt immer häufiger vor, das blinde Menschen angesprochen werden und Führungen angeboten werden.“ Die meisten seien auch zufrieden damit. Eine Zahl, wie viele der etwa 700 Museen in NRW entsprechende Rundgänge für sehbehinderte und blinde Menschen anbieten, gibt es nicht. Mögliche Besucher dafür aber viele: Fast 70.000 Menschen im Land sind nach Angaben des Statistischen Landesamts blind oder haben eine Sehbehinderung.

Der Lehrer der Gruppe aus dem Berufsbildungswerk Soest, Stephan Lehmann, besucht mit seinen blinden und sehbehinderten Schülern öfter Museen in NRW. Es sei oft nicht so ein großer Aufwand, entsprechende Angebote zu machen, hat er dabei gelernt. Das bestätigt Hilke: Die Dinge, die sie bei der Führung zeigt, sind für alle Museumsbesucher da: nachgebildete Rüstungen, Marmorreliefs und Schwerter dürfen von jedem Besucher anprobiert oder angefasst werden, einzig die Erklärungen sind angepasst.

Nicht jedes Museum ist für Blinde geeignet

Lehmann sieht aber ein, dass es nicht in jedem Museum Sinn macht, Führungen für Blinde anzubieten. „Natürlich kann man nicht alles visualisieren für Blinde“, meint er. Wenn jemand von Geburt an blind sei, könne dieser schwer nachzuvollziehen, wie ein expressionistisches Gemälde aussehe. Regine Zeller, die Vorsitzende des Verbands rheinischer Museen, sieht das ähnlich. „In einem Literaturmuseum sind solche Angebote nicht so sinnvoll wie in einem Freilichtmuseum.“

Damit künftig möglichst viele Museen entsprechende Angebote haben, ist Hilke Teil einer Arbeitsgruppe des Deutschen Museumsbundes. „Wir entwicklen eine Broschüre“, berichtet sie. Diese richte sich besonders an kleine Museen, die teilweise ehrenamtlich geleitet würden. Da gehe es beispielsweise um Replikate oder darum, Sponsoren zu finden. Sie betont: „Barrierefreiheit ist festgelegt in der Verfassung“, und dabei gehe es nicht nur um Zugänglichkeit eines Gebäudes mit einem Rollstuhl, sondern auch den Zugang als Blinder zu Kunst.

Autor: Helena Baers, dapd