Michael Esser, Leiter Direktion Kriminalität der Polizei Köln und Ulrich, Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Köln.

Köln | Es ist ein Krimi, wie ihn sich ein Drehbuchautor nicht besser hätte ausdenken können: Der Betrug mit 9 Corona-Testzentren in Köln und einem in Langenfeld, die es gar nicht gab. Nur Briefkästen, sogar in einem Haus mit einem Eiscafé in Köln-Porz. Beteiligt Italiener aus Sizilien und Kölner. Polizei und Staatsanwaltschaft Köln gaben heute Hintergründe und Details zu dem Verbrechen, dass den Staat 21,463 Millionen Euro kostete, bekannt. Bisher aufgetaucht: 6,5 Millionen Euro und beschlagnahmt. Bleibt ein Schaden von 14,963 Millionen Euro für den Steuerzahler. Ein Betrug mit Fake-Coronatestzentren in Zeiten in denen Solidarität angesagt war.

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Es ist ein Satz ganz am Schluss des Statements von Ulrich Bremer, Oberstaatsanwalt von Köln, der hängen bleibt: „Mehr Bürokratie zu wagen ist eben auch nicht in allen Fällen die schlechteste Idee“. Damit trifft Bremer das Kernproblem des Betruges.

Aufgefallen ist der Betrug – nein, nicht Behörden, der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein oder der Stadt Köln, auf deren Stadtgebiet sich angeblich neun Testzentren mehr befanden als es gab – sondern bei den Banken. Denn dort drehte sich ein größerer Millionenbetrag, rund 6,5 Millionen Euro, auf unterschiedlichen Konten. Die Banken meldeten an das Landeskriminalamt NRW und so kamen die Ermittlungen an denen 8 Polizeibeamte des Kölner Polizeipräsidiums und 2 Kölner Staatsanwälte beteiligt sind ins Rollen.

Das ergaben die Ermittlungen seit Juni 2021

Heute Morgen durchsuchten 190 Beamte der Polizei Köln 24 Wohnungen in Nordrhein-Westfalen und italienische Carabinieri eine Wohnung in Palermo. Vier Haftbefehle konnten erfolgreich durchgeführt werden. Der Leiter der Direktion Kriminalität der Polizei Köln, Michael Esser, ließ sich schon am Nachmittag zu einem eher seltenen – weil so zeitnahen – Statement hinreißen: Die Durchsuchungen hätten die Ermittlungen im Vorfeld des heutigen Tages erhärtet.

So soll sich der Betrug zugetragen haben: Um die Fake-Testzentren bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KV Nordrhein) anzumelden, benötigten die mutmaßlichen Betrüger ein amtliches Schreiben der Stadt Köln. Dies fälschten sie. Dazu brauchten sie eine Nummer eines Testzentrums.  Wie genau die mutmaßlichen Täter an Vorlage und Nummer des Testzentrums kamen, ist Teil weiterer Ermittlungen. Allerdings erhielten alle Kölner:innen, die sich testen ließen, Bescheinigungen mit der Nummer ihres Testzentrums wo sie vorstellig wurden. Wahrscheinlich nutzten die Täter diese Lücke im System, um an die Nummer eines Testzentrums zu gelangen und diese im gefälschten Schreiben an die KV Nordrhein zu nutzen.

Damit gelang es den Tätern ihr System aufzubauen, da sie jetzt über die Bestätigung der Stadt Köln ein Testzentrum zu betreiben, verfügten. Was sie aber nie betrieben. Um abrechnen zu können, benötigten die Täter Konten bei Banken. Dafür ließen Sie 9 Mittäter aus Italien anreisen. Diese eröffneten mit ihren Papier Konten in Köln und reisten wieder ab. In Italien meldeten sie ihre Pässe die sie zur Kontoeröffnung vorlegten als verloren. So erhielten sie neue Dokumente mit neuen Passnummern. Für diesen Tripp, so Esser, erhielten sie ein mageres Salär. Jetzt müssen sie sich dafür verantworten.

Ein weiterer Baustein der jetzt noch fehlte, wohin sollte die Kassenärztliche Vereinigung die Abrechnungen für die Fake-Testzentren schicken? Dafür benötigten die mutmaßlichen Täter Briefkästen in Köln. Dort wo die eigentlichen Testzentren sein sollten. Der Fall, an Kuriositäten nicht zu überbieten: In Kölner Häusern wurden zusätzliche Briefkästen montiert und sogar im Haus eines Eiscafés in Köln-Porz. An diese Briefkasten-Adressen schickte die KV Nordrhein die Abrechnungen. Das Geld überwies sie auf die Konten.

Um es zu verdeutlichen, es gab kein einziges Testzentrum, nur Briefkästen und Konten. In den Häusern, in denen die Briefkästen hingen, ermitteln die Beamten nun auch.

Um die Absurdität zu verdeutlichen rechnete Esser vor: Im Februar 2022 reichten die Tatverdächtigen Abrechnungen für einen Pflegedient über etwa 185.000 Tests ein. Das sind rein rechnerisch 6.600 Tests am Tag. Bei 24 Stunden sind das 4,6 Tests pro Minute.

Offen bleibt, warum dies niemand auffiel.

Die mutmaßlichen Täter

Ein Mann mit italienischem Pass, wohnhaft in Köln, gilt den Ermittlern als „Haupt-Drahtzieher“. Er wurde heute Morgen in Palermo verhaftet. Er hielt sich dort aus familiären Gründen auf. Er ist der Polizei und Staatsanwaltschaft bekannt und wurde vom Landgericht Köln bereits zu einer Bewährungsstrafe wegen Betruges 2019 verurteilt. Insgesamt beschuldigen Staatsanwaltschaft und Polizei 22 Personen, an diesem organisierten Verbrechen beteiligt gewesen zu sein. Dazu kommen 9 weitere italienische Verdächtige. In der Kölner Region und Wuppertal wurde drei weitere Personen festgenommen.

Die richterlich angeordneten Durchsuchungen und Festnahmen fanden in Köln, Hürth, Siegburg, Langenfeld, Bergisch-Gladbach und Wuppertal statt.

Insgesamt beantragte die Gruppe 21,463 Millionen Euro bei der KV Nordrhein. Ausgezahlt wurden ihnen 16,636 Millionen Euro. Die Polizei Köln konnte in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft aktuell nur 6,5 Millionen Euro beschlagnahmen. Wo sich die anderen Millionen befinden, scheint unklar. „Das Ziel aller polizeilichen und staatsanwaltlichen Maßnahmen ist in erster Linie das zu Unrecht gezahlte Geld dem Staat wieder zurückzuholen“, so Esser.

Oberstaatsanwalt Bremer geht von einem Strafmaß von 1 bis 10 Jahren zumindest für den Haupttäter aus. In seiner Würdigung stellte Bremer fest, dass der Betrug in besonderen Zeiten stattfand, in denen Bürger:innen und der Staat besonders gefordert waren. Und er mahnte – zu Recht – an, die Bürokratie nicht immer zu verteufeln.

agr, rs, ag