Der Kölner Städtepartnerschaftsverein Esch sur Alzette organisierte eine Reise in Europas Kulturhauptstadt 2022. Hier erkundet die Gruppe Belval am 25. Juni 2022.

Köln | Esch sur Alzette ist eine von drei europäischen Kulturhauptstädten in diesem Jahr. Während Oberbürgermeisterin Henriette Reker der Stadt keinen Besuch abstattete, informierten sich Mitglieder, Bekannte und Freunde des Kölner Städtepartnerschaftsvereins von Esch über Kultur und Entwicklung von Kölns Partnerschaft. Und natürlich mischten sie die Kölschen Konzerte in der Kölschen Woche auf. Andi Goral und Suzanne Wood begleiteten die Gruppe bei ihrem Besuch in Belval. Aus dem ehemaligen Stahlwerkskomplex wurde ein hochmodernes Stadtquartier mit vielen Impulsen, die auch Köln inspirieren könnten.

Das Midell zeigt einen Ausschnitt aus dem Stadtquartier Belval – im Vordergrund der Bahnhof

Belval war einst Eisenhütte und eines der modernsten Stahlwerke Europas. Nach der Stilllegung des Werkes Ende der 1990er Jahre war eine Fläche von 120 Hektar freigeworden. Auf dieser konnte Luxemburg und die Stadt Esch sur Alzette mit einer Stadtplanung beginnen und die hat Vorbildcharakter. Integriert und zum Eye-Catcher wurden die beiden als nationale Denkmäler eingestuften Hochöfen A und B. Im Jahr 2000 wurde die Belval-Entwicklungsgesellschaft Agora gegründet. 2001 beschloss die Regierung von Luxemburg den Bau der Cité des Sciences.  Die illustre Kölner Reisegesellschaft, zu der sich auch das FDP-Ratsmitglied Katja Hoyer gesellte, besuchte am 25. Juni das mittlerweile entwickelte Belval und zeigte sich mächtig beeindruckt vom Transformationsprozess und den Ideen, die hier verwirklicht wurden. Geleitet wurde die Reisegruppe von Gerd Kaspar, dem Vorsitzenden des Städtepartnerschaftsvereins und sachkundigen Einwohner im Ausschuss Kunst und Kultur für die FDP. Zudem leitet er den FDP-Stadtverband in Köln-Lindenthal.

Dimensionen von Belval und Transformationsprozess

Belval ist exzellent mit dem Öffentlichen Nahverkehr angeschlossen und es sind gerade einmal 20 Minuten, die von Luxemburg Stadt aus die der hochmoderne Zug nach Belval benötigt. Der Clou: Der ÖPNV ist kostenlos in Luxemburg. So reisten auch die Kölner mit dem Zug an. Der Vorortbahnhof strahlt Großzügigkeit und Modernität aus. Auf einem Parallelgleis steht ein Güterzug mit Metallschrott. Der parkt dort aber nicht als Reminiszenz an längst vergangene Jahre, sondern wird kurze Zeit später in ein nur wenige Kilometer entferntes Stahlwerk fahren, in dem ein Elektrohochofen Altmetall zur Verhüttung nutzt.

Schon die Ankunft visuell ein Genuss

Wer den Bahnhof verlässt wird zunächst, je nach Ausgang, von einer Shopping-Mall mit direktem ÖPNV Anschluss oder einer Freitreppe mit einem fulminanten Blick auf einen der Hochöfen empfangen. Und deren Anblick ist besonders: Denn anders als etwa im Ruhrgebiet rostet das Metall nicht vor sich hin, sondern glänzt. Denn die Denkmäler sind zu ihrem Schutz lackiert worden. Das mag nun Puristen unter Denkmalschützern die Fußnägel aufrollen lassen, schützt aber die Dinosaurier der Industriekultur vor Verrottung und integriert deren Bauten deutlich in die moderne sie umgehende Architekturlandschaft. Und die Luxemburger haben sich noch etwas einfallen lassen: An den Denkmälern findet sich kein einziges Graffiti. Das ist wohltuend, denn so wird deren Optik eben nicht gebrochen. Der Trick: Rund um die Industriedenkmäler befinden sich Wasserbassins. Das ist zum einen gut für das Stadtklima und zum anderen die beste Barriere gegen Sprayer. Denn die wollen keine nassen Füße beim Sprayen bekommen.

Aktuell sind in Belval von geplanten 675.000 qm Baufläche 450.000 umgesetzt. Überall im Stadtquartier entsteht daher immer noch Neues. Vor allem das Universitätsgebäude und dessen Bibliothek sind fantastisch und lassen die Kölner Besucher staunend zurück. 3.000 Forscher:innen arbeiten derzeit in Belval, und 7.000 Studierende zählt die Universität Luxemburg derzeit im Campus Belval. Die Universität ist jung und wurde erst 2003 gegründet. Drei Standorte hat sie: Esch-Belval, Kirchberg und Limpertsberg. Das neue Stadtquartier mit seinen gigantischen Dimensionen hat derzeit 25.000 Einwohner:innen. Zum Vergleich: Das gewachsene Esch hat 36.000 Einwohner:innen. Der Staat investierte in Belval bisher 1 Milliarde Euro und plant mit insgesamt 2 Milliarden. Der Guide, der die Kölner durch Belval führt, sagt, dieses Budget sei bisher eingehalten worden und erntet dafür von den Kölnern ein Raunen.

Es ist vor allem die Gestaltung, die beeindruckt. So sind die Pflastersteine schwarz. Die wurden aber nicht extra angefertigt, sondern stammen alle aus dem Abbruch des alten Eisenhüttenwerkes. Sie wurden also direkt an Ort und Stelle wiederverwendet. Dies ist nachhaltig und spart jede Menge CO2 ein. Das beeindruckt die Kölner Reisegruppe deutlich. Vielleicht mag dem ein oder anderen der Mülheimer Süden mit seinen Kieswüsten durch den Kopf gehen. Denn dort wurde alles abgeräumt und es befinden sich jetzt Kiesbrachen. Es gab also keine intelligente Planung, die auch nachhaltige Ideen wie die des Urban Mining in moderne Stadtquartiersplanung einbezieht. Getreu dem kölschen Artikel 4 des Kölschen Grundgesetzes: „Wat fott es, es fott“.  Clever ist das nicht.

Besonders beeindruckend die Bibliothek. Nicht nur die Ideen zur Fassadengestaltung, sondern das Interieur der Bibliothek fasziniert. So sind die Fenster mit einem weißen Muster versehen, der an die früher gekalkten Industriefenster erinnert. Mitten in der Bibliothek ein Stahlofen, natürlich lackiert. Ambiente und Interieur hochmodern sowie extrem inspirierend. So sieht lernen im neuen Jahrtausend aus. Aktuell entsteht in Belval ein neuer Gesundheitscampus. Die Luxemburger schreiben zu Belval und der Cité des Sciences, dass sie hier ein Ökosystem tief verwurzelt in der Wissensökonomie schaffen wollen, dass sich mehr als Speerspitze der technologischen Entwicklung und der Datenökonomie herausbildet. Denn auch in der Kölner Gruppe gab es Zweifler ob der Transformation des Ortes. Schließlich sei mit der Stahlindustrie recht ordentlich Geld verdient worden und das war natürlich real und greifbar. Die Luxemburger geben einen Hinweis: In Belval ist der Verstand die wertvollste Ressource. Der vom Fonds Belval geschaffene avantgardistische Campus zeigt auf Basis von Bildung, Forschung und innovativem Unternehmergeist die Welt von morgen. Belval ist sichtbares Zeichen des Abschieds aus der alten Welt. 

Der verbotene Ort

Die Kölner Reisegruppe bekommt Besuch. Der Escher Bürgermeister Christian Weis stößt mit seiner Familie zu den Kölnern. Es folgt ein Austausch fast wie unter Freunden und sehr offen. Er kann viel erzählen. Unter anderem, dass Belval so etwas wie eine verbotene Stadt war. Denn die Bürger:innen von Esch konnten das Stahlwerk nie besichtigen, als es noch in Betrieb war. An dem Tag, an dem der Betrieb eingestellt war und die Tore geöffnet wurden, kamen die Escher herangeströmt und wollten alle sehen, wo ihre Familien teilweise in Generationen arbeiteten.

Er berichtet davon, dass es einen Masterplan gab, der von einer Öffentlichkeitsbeteiligung begleitet war, um für das neue Viertel, das entstehen würde, zu werben. Die Stadt sammelt zudem Erfahrungen mit der Ausrichtung als europäische Kulturhauptstadt. So seien die Veranstaltungen mit den lokalen Künstler:innen überlaufen. Aber die Bevölkerung, auch wenn sie sich damit manchmal schwertue, öffne sich auch nationalen oder internationalen Künstler:innen. Aber die Kultur dringe, und das bewertet Weis als sehr positiv, immer tiefer in die Stadt vor und eben auch in Viertel wie Belval.

Besonders beeindruckt Weis die Kooperation als Kulturregion, denn zur Kulturhauptstadt Esch zählt die gesamte Region und dazu zählt auch das nahe Frankreich. Denn direkt hinter Belval beginnt Frankreich. Hier spüre man wie gut sich die Idee der regionalen Vernetzung auszahle, denn die französischen Gemeinden seien weit von Paris entfernt und damit von dessen Kulturleben. Jetzt komme im Rahmen der europäischen Kulturhauptstadt Kultur durch Kooperationen mit Esch direkt zu ihnen. Das verbinde und vernetze auf ganz neue Art, so Weis.

Weis macht aber auch auf Themen aufmerksam, die Esch noch lösen müsse. Denn trotz der guten ÖPNV-Anbindung will er das „alte“ Esch und das neue Stadtquartier Belval noch besser connecten. Dies sei durchaus eine Herausforderung so der Escher Bürgermeister. Die Studierenden beleben Belval, aber es wäre auch gut, sie noch mehr ins Zentrum zu holen. Dazu plant die Stadt jetzt eine Fußgängerbrücke ins Stadtzentrum, die das noch im Betrieb befindliche Stahlwerk mit dem Elektroschrottofen überwinden helfe.

Könnte Köln hier lernen?

Ja. Auch in Köln gibt es immer noch Industriebrachen, über die heftig gestritten wird. Siehe Mülheim und das Otto-Langen-Quartier. Aber anders als in Belval entwickeln Land und Stadt keine Vision, sondern es geht zunächst um direkten Profit und dessen kurzfristige Maximierung. Belval ist neben dem kulturellen Angebot, etwa in der Möllerei, vor allem ein Lernort für Stadtplanung und Stadtentwicklung mit vielen bereits umgesetzten Ideen, die in Köln in kleinen Zirkeln, wie etwa Urban Mining erst besprochen werden. Auf eine Anfrage der SPD-Fraktion im Kölner Rat ließ die Stadtverwaltung wissen, dass keine Delegationsreise geplant sei, um die eigene Partnerstadt während des Kulturhauptstadtjahres zu besuchen. Aber die Stadtverwaltung plane einen Informationsbesuch nach dem Kulturhauptstadtjahr.

Gut, dass es private bürgerliche Initiativen, wie den Städtepartnerschaftsverein Esch gibt, die Kölns Fähnlein in der Welt hochhalten und sich dafür interessieren, was in Kölns Partnerstädten stattfindet. Das Desinteresse der Kölner Politik und Stadtverwaltung irritiert vor allem auch dadurch, dass eine Partei im Gestaltungsbündnis für Mehrheiten sorgt, die genau das Lernen von Anderen als Grundsatz ihres politischen Handelns formuliert: Volt.

Allen Kölner:innen, die sich für die Kulturhauptstadt Esch interessieren, sei zumindest ein Tagestrips in die 226,34 Kilometer entfernte Kölner Partnerstadt und ein Besuch in Belval empfohlen.

Unter dem Motto „Remix Culture“ sind 2022 rund 160 Projekte mit mehr als 2000 Events in Esch-sur-Alzette geplant. Alles zum Programm finden Sie hier: https://esch2022.lu/de/

Bisherige Berichterstattung zur Kulturhauptstadt Europas Esch bei report-K: