Köln | Kommentar | Es gibt eine Verkleidung gar nicht im Kölner Karneval, die des Murmeltiers. Obwohl dieses jedes Jahr, nicht nur am Elften im Elften, sondern jeden Tag im Straßenkarneval grüßt. Erst jubelt man über sich und Kölle und am nächsten Tag kommt die Ernüchterung: Müll, Wildpinkler und so weiter. Ganz Köln kennt die Diskussion und die Schlagzeilen. Das Glasverbot hat sich als wirksam erwiesen, aber es war das letzte Konzept, dass die Stadt schon vor einigen Jahren vorstellte, um Veränderungen im Straßenkarneval zu begegnen. Aber das wilde Straßenkarnevaltreiben erfreut sich immer größerer Beliebtheit und es kommen immer mehr Jecke nach Köln. Jetzt wird auch schon der Platz in den Ausweichquartieren eng. Aber mehr begeisterte Straßenkarnevalisten bedeutet alleine schon wegen der Mund zu Mundpropaganda weiter steigende Besucher- und Andrangzahlen. Wie will Köln dem begegnen?

Es werden mehr werden und was dann?

Am Elften im Elften wälzten sich Menschenmassen durch die Hotspots des Kölner Karnevals. Immer mehr laufen einfach wahl- und ziellos herum. Wer nicht um 6 Uhr morgens an der Kneipe ansteht, kommt nicht mehr rein und die Anstehschlangen bekommen immer längere Dimensionen und das, obwohl das Angebot ständig steigt, siehe Tanzbrunnen oder Rote Funken im Hotel Maritim. Wer dies romantisch mit „dann stonn mer all parat un mer trecke durch die Stadt“ verklärt, in der man zu Straßenkarnevalszeiten von Kneipe und Veedel zu Veedel zog, der verkennt die Situation völlig. Auch in den Veedeln sind die Kneipen komplett überfüllt und der Karneval verlagert sich mehr und mehr auf die Straße. Auch Veranstaltungen wie Jeck im Sunnesching heizen den Run auf den Partykarneval zusätzlich an. Das diese Menschenmassen am Ende ihres irgendwo und sei es auf der Straße Party machens in volltrunkenem Zustand Müll hinterlassen und wild urinieren, der muss sich nicht wundern, dass genervte Anwohner am nächsten Tag aufschreien. Was sollen die Jecken auch sonst tun? Und die KVB bemerkt zu Recht an, dass durch diesen immensen Andrang etwa im Kwartier Lateng jetzt sogar die wichtige Nord-Südverbindung auf den Ringen unterbrochen wurde. Zum ersten Mal musste die Zülpicher Straße komplett gesperrt werden.

Plakate drucken alleine wird nicht helfen

Jetzt hat die Stadt und das Festkomitee eine Kampagne angestoßen und Plakate gedruckt. Ja, das ist nett und anständig, nur wenig hilfreich, wenn das Partyvolk durch die Stadt marodiert, mit Heißhunger nach immer neuem Nervenkitzel sucht. Die Frage, die sich wirklich stellt ist, reichen die Angebote noch und wie begegnet Köln der Flut an Menschen die sich jeck fühlen und den Kölner Karneval auf der Straße erleben wollen? Und es geht mehr als nur um Kommerz oder nur mehr Dixie-Klos, es geht dabei auch um den Ruf Kölns. So titelte die Onlineplattform „Der Westen“ am 11.11.2017 um 12:07 Uhr: „Warum du den Karneval am Kölner Heumarkt jetzt schon knicken kannst“ und machte damit auf die übervolle Kölner Innenstadt aufmerksam. Die Stadt braucht ein Konzept für attraktive Partytage, die an einer eventorientierten und erlebnishungrigen Gesellschaft orientiert sind. Und wer jetzt als sogenannter Traditionskarnevalist aufjault, der sollte sich die Programme der Sitzungen einmal ansehen, die auch immer stärker den Partykarneval reprästentieren, statt der Tradition zu huldigen.

Den Zulauf und das Interesse als Chance begreifen

Statt zu lamentieren, sollte Köln, die Stadtgesellschaft und der organisierte Karneval den Zuspruch als Chance für die Stadt und den Karneval erkennen. Köln braucht eine Ausweitung der Partykarnevalslokationen. Warum nicht Zelte auf der Deutzer Werft in denen Karneval gefeiert werden kann aufstellen, wo Tausende feiern können? Wo der Müll kanalisiert wird und genügend Toiletten stehen? In denen Vorort- und kleine Gesellschaften mitorganisieren und von den Einnahmen profitieren und so ihre sozialen Projekte weiter aufrecht erhalten können. Und dies könnte nur eine Idee sein. Köln hat als einzige Stadt ein riesiges innerstädtisches Messegelände, warum in den großen Hallen nur Games spielen lassen und nicht feiern? Warum nicht im Rheinenergiestadion eine riesige jecke Party auflegen, da gibt es für solche Menschenmassen auch genügend Toiletten. Übrigens keine neue Idee, denn dort gab es schon mal, allerdings im Sommer Kölle live. Also ein riesiges kölsches Konzert mit den großen und kleinen Stars des Kölschen Fasteleers am Elften im Elften und damit die Innenstadt und die Feierveedel entlasten.

Der Elfte im Elften macht die Entwicklung besonders deutlich

Wer sich mit älteren Karnevalisten unterhält, der bekommt zur Antwort, dass der Elfte im Elften früher fast gar nicht gefeiert wurde. Einige wenige trafen sich am Alter Markt und musizierten, später gab es die Veranstaltung auf dem Heumarkt und auch die ist erst in den letzten zehn Jahren zu dem geworden, was sie heute ist. Oder die Roten Funken. Die trafen sich an ihrem Platz in der Altstadt und liefen dann zum Maritim Hotel zu ihrer Kontrollversammlung und lauschten andächtig der Mottoqueen Marie Luise Nikuta stehend schunkelnd. Heute schmeißen die Roten Funken eine gigantische Party im Maritim, wie ihren Kasaba, also Karnevalssamstagball. Die Schlange der anstehenden Jecken war mehr als 50 Meter lang. Auch die Große von 1823 ist mittlerweile Großveranstalter am Tanzbrunnen und die kleinen Erdmännchen füllen den Gürzenich, die Altstädter den Alten Wartesaal. Der Markt und das Angebot wächst also schon deutlich an, aber es reicht immer noch nicht.

Jetzt rechtzeitig und offen über die zukünftige Gestaltung nachdenken

Köln braucht ein Nachdenken darüber, wie es mit steigenden Besucherzahlen und Attraktivität an den Straßenkarnevalstagen umgehen will. Ein Konzept, dass die Traditionen besser kommuniziert, die Besucherströme kanalisiert und denen die nach Köln kommen ein attraktives Angebot macht und denen die hier leben und die vielleicht nicht ganz so jeck affin sind, Entlastung bietet. Am wichtigsten ist allerdings, dass ein neues Konzept sich auf steigende Attraktivität einstellt und frühzeitig über die Grenzen Kölns hinaus kommuniziert wird. Eine Aufgabe für Stadt, Festkomitee und Stadtgesellschaft, die dies auch intensiv diskutieren sollte. Und nicht nach dem Motto „Täglich grüßt das Murmeltier…“ ein paar Tage medial über Müll und Wildpinklerei zu lamentieren und krakeelen, sondern mutig nach vorne blicken und sich weiterentwickeln. Sonst gibt es irgendwann auch ein böses Erwachen.

Autor: Andi Goral
Foto: Blick auf die Pipinstraße gegen 12:00 Uhr am Elften im Elften, als auf dem Heumarkt und Alter Markt schon lange nichts mehr ging.