Köln | Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen haben SPD und Grüne eine satte Mehrheit geholt und können nun mit absoluter Mehrheit weiterregieren. Die CDU erlebte am Sonntag hingegen ein beispielloses Debakel und musste das schlechteste Ergebnis aller Zeiten im bevölkerungsreichsten Bundesland hinnehmen. Hier finden Sie eine Zusammenfassung des gestrigen Wahltages mit Reaktionen aus der Politik.

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Die SPD mit Kraft an der Spitze wurde klar stärkste Partei. Laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis bekamen die Sozialdemokraten 39,1 Prozent der Stimmen und legten damit im Vergleich zu 2010 mehr als viereinhalb Punkte zu. „Wir haben das Richtige getan: Wir haben den Menschen in den Mittelpunkt gestellt“, sagte Kraft über den erfolgreichen Wahlkampf. Parteichef Sigmar Gabriel lobte „Kraft, Stärke und Geschlossenheit“ der NRW-SPD. Kraft gehöre nun „automatisch“ zum Kreis möglicher Kanzlerkandidaten, sagte er. Kraft selbst betonte aber mehrfach, sie habe ihre Aufgabe in NRW. „Dieses Wort gilt.“

Scharfe Kritik aus der CDU an Röttgen

Die CDU musste ihr schlechtestes Ergebnis in der Geschichte des Landes einstecken. Die CDU landete bei lediglich 26,3 Prozent – ein Absturz von über acht Punkten. Seine Niederlage sei klar und eindeutig, sagte Bundesumweltminister Röttgen und räumte ein: „Sie tut richtig weh!“ Der Wahlkampf sei ganz auf ihn ausgerichtet gewesen. Daraus ziehe er persönlich die Konsequenzen, sagte Röttgen, der auch in seinem Wahlkreis in Bonn klar dem lokalen SPD-Kandidaten unterlag. Bereits kurz nach der ersten Prognose kündigte er seinen Rücktritt als Landeschef an. In Berlin zeigte sich Unionsfraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier (CDU) zerknirscht, die schwere Schlappe gehe „bis ans Mark unserer Partei“.

CSU-Chef Horst Seehofer hat NRW-Wahlverlierer Nobert Röttgen hart kritisiert und indirekt seine Eignung als Bundesumweltminister infrage gestellt. Seehofer sagte der „Bild“-Zeitung (Montagausgabe): „Der Wahlausgang ist für die Union eine politische Katastrophe, die mich wirklich aufwühlt. Es ist ein Desaster mit Ansage.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und er hätten am Rande der Bundesversammlung Röttgen klar gemacht, dass diese Wahl für die gesamte Union von Bedeutung sei und dass man sich „mit Haut und Haaren und jeder Pore“ in den Wahlkampf stürzen müsse. „Seitdem habe ich geschwiegen, weil ich den Erfolg dieser schwarz-gelben Regierung will“, sagte der bayerische Ministerpräsident.

Bleibt Röttgen Bundesumweltminister?

Seehofer richtete den Blick zugleich auf die Energiewende. „Norbert Röttgen ist zuständig für eines der wichtigsten Projekte dieser Regierung. Die Menschen wollen endlich Antworten hören, wie es mit der Energiewende weitergehen soll, und sie wollen sehen, dass wir aufs Tempo drücken. Ich hoffe, dass der Bundesumweltminister mit dieser Herausforderung anders umgeht, als mit dem Wahlkampf in NRW.“ SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil forderte Röttgen nach der Wahlschlappe auch zum Rücktritt als Bundesumweltminister auf. „Röttgen war nicht nur als Spitzenkandidat überfordert. Er ist es auch als Minister bei der Energiewende“, sagte Heil der „Rheinischen Post“ (Montagausgabe). Auch Parteienforscher Gerd Langguth schließt weitere Konsequenzen für den CDU-Wahlverlierer, Bundesumweltminister Norbert Röttgen, nicht aus. Wahrscheinlich habe Röttgen sein Ministeramt mit dem Rücktritt vom CDU-Landesvorsitz in NRW zwar gerettet. „Ob er allerdings noch einmal als stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender kandidieren wird, ist zu bezweifeln.“

Unklar ist derzeit noch, wer der neue Landesvorsitzende der CDU werden soll. Peter Hintze, Vorsitzender der NRW-Landesgruppe in der Unionsbundestagsfraktion, will es nicht werden. Eine entsprechende Frage im ZDF-„Morgenmagazin“ verneinte Hintze am Montag. Bei der Suche nach einem Nachfolger wolle sich die CDU einen Tag Zeit nehmen. „Wir treffen uns heute Nachmittag in der Parteiführung und wollen dann miteinander sprechen und nicht übereinander“, sagte Hintze.

Grüne: „Anfang vom Ende von Schwarz-Gelb“

Die Grünen blieben stabil und kamen auf 11,3 Prozent. Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann betonte: „Wir haben uns nicht kirre machen lassen und keine Mätzchen gemacht.“ Parteichefin Claudia Roth sagte in Berlin: „Heute ist definitiv der Anfang vom Ende von Schwarz-Gelb“. Die Abstimmung im größten Bundesland sei ein „enorm wichtiges Signal“ für den Bund.

Lindner bald FDP-Vize?

Die FDP schaffte mit Spitzenkandidat Christian Lindner souverän den Wiedereinzug in den Düsseldorfer Landtag. Die Liberalen gewannen mit 8,6 Prozent knapp zwei Punkte hinzu. „Das ist ein großes Ergebnis für die FDP in Nordrhein-Westfalen, über das sich alle freuen können“, sagte Lindner. Der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler sagte in Berlin: „Die Menschen hören uns wieder zu, sie vertrauen uns.“ Die FDP hatte zuletzt auch in Schleswig-Holstein den Wiedereinzug in den Landtag geschafft. Nach dem Erfolg in NRW empfahl Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lindner für höhere Aufgaben. „Christian Lindners Triumph ist ein Erfolgsmodell für die FDP“, sagte die stellvertretende Parteivorsitzende der Tageszeitung „Die Welt“ (Montagausgabe). „Klare Haltung, nicht Umfallen, mit diesem Stil gewinnt die FDP.“ Laut „Bild“-Zeitung (Montagausgabe) dringen führende Liberale darauf, dass Lindner spätestens in einem Jahr zu einem der drei FDP-Vizes gewählt werden soll. Es könne nicht sein, dass Lindner nach dem Wahlerfolg nicht im Präsidium sitze, hieß es. Der mitgliederstärkste Landesverband NRW stellt mit Bundesschatzmeister Otto Fricke derzeit nur ein gewähltes Mitglied im FDP-Präsidium.

Piraten ziehen in Landtag ein

Freuen konnten sich auch die Piraten, die künftig im NRW-Landesparlament vertreten sind. Sie setzten ihre Erfolgsserie fort und ziehen mit 7,8 Prozent nach Berlin, dem Saarland und Schleswig-Holstein in den vierten Landtag in Folge ein. Piraten-Spitzenkandidat Joachim Paul kündigte an, seine Partei wolle nunmehr „konstruktiv mitmachen“.

Lafontaine nennt Wahlergebnis der Linken „beschissen“

Die Linke scheiterte nach Schleswig-Holstein dagegen mit 2,5 Prozent auch in NRW deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde. Linke-Vize Sahra Wagenknecht bedauerte die „herbe Niederlage“. Alle, die jetzt das Totenglöckchen für die Linke läuteten, hätten sich aber „zu früh gefreut“. Der Linke-Spitzenpolitiker Oskar Lafontaine ist schwer enttäuscht von der Wahlschlappe seiner Partei in Nordrhein-Westfalen. Das Abschneiden der Linken in NRW sei „beschissen“, sagte Lafontaine am Montag im Deutschlandradio Kultur. Auf Bundesebene gebe es unter anderem wegen der Personaldebatten für die Linke einen deutlichen Rückgang in der Zustimmung, das schlage sich dann auch bei Wahlergebnissen in Ländern nieder, in denen die Partei traditionell nicht so stark sei. Offen ließ der frühere Parteivorsitzende, ob er wieder für das Amt antritt. Er werde erst nach einer gemeinsamen Sitzung des geschäftsführenden Bundesvorstands und der Landesvorsitzenden am Dienstag eine Entscheidung über seine zukünftige Rolle fällen. „Ich werde mir zuerst anhören, was die Anderen sagen“, sagte er. Wer den Parteivorsitz übernehme, müsse jedenfalls auch die Hauptverantwortung für die Bundestagswahl tragen, betonte Lafontaine.

Das amtliche Endergebnis wurde erst weit nach Mitternacht gegen 1.30 Uhr bekannt gegeben.

Richtungweisend für die Bundestagswahl

Die vorgezogene Wahl war nötig geworden, weil Kraft mit ihrer rot-grünen Minderheitsregierung im März keine Mehrheit für ihren Haushalt bekommen hatte. Deshalb löste sich das Düsseldorfer Parlament selbst auf und setzte eine Neuwahl an. In NRW konnten rund 13,2 Millionen Bürger über die Zusammensetzung des Parlaments entscheiden. Die Abstimmung im bevölkerungsreichsten Land gilt als richtungweisend für die Bundestagswahl kommendes Jahr. „Für die Bundespartei ist es das Signal, dass die CDU kaum noch eine Machtperspektive hat, es sei denn, die CDU auf Bundesebene wird so stark, dass eine Regierungsbildung gegen Merkel und die CDU nicht möglich ist, es also entweder zu einer großen Koalition oder einer schwarz-grünen Koalition käme“, sagte der Parteienforscher Gerd Langguth, Professor an der Universität Bonn, „Handelsblatt Online“. „Eine Neuauflage von Schwarz-Gelb ist hingegen sehr unwahrscheinlich.“ Dass Kanzlerin Angela Merkel einen „Neuwahl-Befreiungsschlag“ in Erwägung zieht, glaubt Langguth nicht. Merkel werde vielmehr versuchen, die Koalition mit der FDP aufrechtzuerhalten.

Grüne hoffen auf Rot-Grün im Bund

Die SPD erhofft sich nach dem Wahlerfolg in Nordrhein-Westfalen eine Verbesserung ihrer Umfragewerte auf Bundesebene. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Frank-Walter Steinmeier, sagte am Montag im Deutschlandfunk, er sei nicht zufrieden mit den bundesweiten Umfragewerten von unter 30 Prozent. Der Wahlsieg in NRW gebe der SPD aber Rückenwind im Bund. Die Grünen hoffen nach dem Wahlerfolg in Nordrhein-Westfalen auch im Bund auf eine Koalition mit der SPD. „Die Bundestagswahl ist wieder offen“, sagte der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir am Montag in Berlin. Seine Ko-Vorsitzende Claudia Roth räumte ein, bis zu der Abstimmung in Berlin 2013 sei es noch ein langer Weg. Ziel sei aber, auch im Bund den Politikwechsel zu schaffen und Schwarz-Gelb gemeinsam mit der SPD abzulösen. Wahlen in NRW seien schon immer Vorboten für die Entwicklung auf Bundesebene gewesen, sagte Roth. Die jüngste Abstimmung dort habe gezeigt, dass es in der Bevölkerung keine Zustimmung für die Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gebe. Die krachende Niederlage der CDU in NRW sei auch für Parteichefin Merkel ein Misserfolg und eine „schallende Ohrfeige“.

Autor: dapd | cs | Foto: Harald Tittel | dapd
Foto: Die Gewinnerin und der Verlierer der NRW-Landtagswahl 2012: Hannelore Kraft (SPD) und Norbert Röttgen (CDU)