Düsseldorf | Was war die Freude doch groß am Wahlabend: Vor laufenden Kameras fielen sich Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und ihre Stellvertreterin Sylvia Löhrmann (Grüne) Mitte Mai in die Arme. Die in den Wahlkampfwochen aufgestaute Anspannung wich nur kurz nach Schließung der Wahllokale einer grenzenlosen Erleichterung über den Sieg. Vorbei waren die Zeiten der instabilen Minderheitsregierung. Die nordrhein-westfälischen Wähler statteten Rot-Grün mit einer komfortablen Mehrheit aus.

Auch bei Krafts offizieller Wiederwahl im Düsseldorfer Landtag herrschte im Juni noch unbändige Euphorie im rot-grünen Regierungslager – schließlich erhielt die Ministerpräsidentin selbst aus den Reihen der Opposition Stimmen. 100 Tage später ist der Siegestaumel einer nüchternen Arbeitsatmosphäre gewichen. SPD und Grüne arbeiten gewissenhaft ihr Pensum ab.

Die Zeit seit dem 20. Juni nutzte die neue alte Regierung vor allem dafür, um Projekte, die durch die plötzliche Landtagsauflösung im März automatisch gestoppt wurden, wiederzubeleben. Allen voran den Haushaltsentwurf für dieses Jahr, dessen Scheitern erst zu Neuwahlen führte, brachte Rot-Grün wieder in den Landtag ein. Aber auch beim Mittelstandsgesetz, dem Klimaschutzgesetz und dem Nichtraucherschutzgesetz wurden Themen abgearbeitet, deren Ursprung in die Zeiten der Minderheitsregierung zurückreicht. Dass nur fünf Wochen nach der Konstituierung des Landtages bereits die Sommerpause eingeläutet wurde, sorgte obendrein für wenig Dynamik.

Sand im rot-grünen Getriebe

Auch wenn SPD und Grüne sichtlich besser zusammenarbeiten, als das noch zu Zeiten der Regierungen von Johannes Rau, Wolfgang Clement und Peer Steinbrück der Fall gewesen ist, kommt immer wieder Sand in das rot-grüne Getriebe. Während die Grünen ein striktes Rauchverbot durchsetzen wollen, rebelliert die SPD-Basis gegen die Pläne. Während Kraft das größte Braunkohlenkraftwerk der Welt am Niederrhein eröffnet, protestieren Grünen-Anhänger vor dem Gelände gegen den „Klimakiller“. Und bei der umstrittenen Dichtheitsprüfung für Abwasserkanäle suchen beide Partner noch nach einem Konsens. Es scheint, als habe der Druck der Minderheitsregierung die Reihen effektiver geschlossen, als es nun mit eigener Mehrheit der Fall ist.

Geht es um die Finanzpolitik, sind sich SPD und Grüne aber schnell wieder einig. Widerstandslos folgen Anhänger beider Parteien der Linie von Ministerpräsidentin Kraft, jetzt in vorbeugende Projekte zu investieren und in Zukunft die Ernte einzufahren. Gespart werden soll später. Erst einmal macht Rot-Grün in diesem Jahr 4,6 Milliarden Euro neue Schulden. Gekoppelt mit der Formulierung „Kein Kind zurückzulassen“ ist die präventive Sozialpolitik Krafts Mantra und überstrahlt alles andere.

Opposition sucht noch nach Format

Der eindeutige Wahlsieg hat die rot-grüne Brust aber auch breiter werden lassen. Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) zwängt der Bundespolitik mit seinem Kauf von Steuerdaten-CDs eine nicht enden wollende Diskussion zum deutsch-schweizerischen Steuerabkommen auf. Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne) duelliert sich in regelmäßigen Abständen mit Bundesministerin Ilse Aigner (CSU). Und mit seinem entschiedenen Vorgehen gegen Rocker, Rechtsextreme und Salafisten zeigt Innenminister Ralf Jäger (SPD) allen anderen Ministerkollegen in Deutschland, welchen Gestaltungsspielraum sein Ressort bietet. Immer deutlicher positioniert sich die rot-grüne Koalition in NRW als Gegenmodell zur schwarz-gelben Bundesregierung.

Profitieren konnte Krafts Regierung in den ersten 100 Tagen aber auch von der Schwäche der Opposition. Während die CDU nach ihrer historischen Wahlschlappe noch auf der Suche nach sich selbst ist und die Piraten Entwicklungsarbeit in eigener Sache betreiben müssen, kann die FDP lediglich mit ihrem Vorsitzenden Christian Lindner Akzente setzen.

Nimmt der Politikmotor in den kommenden Monaten wieder richtig fahrt auf, wird sich zeigen, wie gut Rot-Grün wirklich aufgestellt ist und wie schlagkräftig die Dreieropposition aus CDU, FDP und Piraten sein kann. Beim schleppenden Kita-Ausbau, der Umsetzung der Energiewende oder dem Abbau der Staatsverschuldung werden beide Seiten ausreichend Gelegenheit haben, sich zu beweisen.

Autor: Christian Wolf/dapd