Hier verhörten und folterten SA-Männer Kölner. Das ehemalige SA-Lager Hochkreuz in Köln-Porz. | Foto: Bopp

Köln | Das SA-Lager Hochkreuz war eine frühe Haft- und Folterstätte kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933. Bis zum Jahreswechsel standen Teile der Gebäude auf einem Gelände nahe der Frankfurter Straße in Köln-Porz. Kölns Kulturdezernent Stefan Charles behauptet in einem Brief an die Bürgerinitiative „Porzerinnen und Porzer für eine Gedenkstätte“ alle Gebäude seien bereits abgerissen, auch das Pförtnerhaus. Die Initiative wirft ihm vor: „Warum wird ein Abriss behauptet, der noch nicht stattgefunden hat?“ und sie schrieb einen Appell an die Kölner Politik.

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Die Einschätzung des Kulturdezernenten

Charles beteuert in einem Brief, den er der Bürgerinitiative schrieb und der der Redaktion vorliegt, dass die Stadt  die Verpflichtung habe  „Orte mit herausragender Bedeutung zu schützen, kenntlich zu machen und der Stadtgesellschaft deren geschichtlichen Kontext zu vermitteln. Zumal bei Orten, die im Zusammenhang mit nationalsozialistischen Verbrechen stehen, muss es auch immer um ein würdevolles Gedenken an die Betroffenen der erlittenen Verfolgung gehen. Dies muss auf der Basis wissenschaftlicher Forschung und fachlicher Begutachtung passieren. Im konkreten Fall der Gebäude am Hochkreuz in Porz ist die historische Bedeutung unzweifelhaft. Es handelte sich – wie Sie ausführen – um eine frühe Haft- und Folterstätte der nationalsozialistischen SA. Etwa 100 männliche Gefangene waren dort inhaftiert und wurden als politisch Andersdenkende oder als Straftaten Verdächtige unter Druck gesetzt und zum Teil schwer misshandelt.“

Greift diese Einschätzung des Kulturdezernenten nicht zu kurz und abstrahiert sie das, was dort passierte nicht zu sehr? Vor dem Hintergrund des millionenfachen Mordens durch die Nationalsozialisten erscheint die Zahl 100 winzig, ja unwichtig. Aus dieser Perspektive ist das SA-Lager Hochkreuz eines der kleinsten Puzzlesteine des Grauens durch die Nationalsozialisten. Wer eine andere Perspektive wählt, der schätzt die Bedeutung dieses Ortes vielleicht anders ein: Hier haben Menschen aus dem lokalen Umfeld andere Menschen, mit denen sie in der gleichen Gemeinde wohnten und die sie kannten gequält, gefoltert und inhaftiert. Es waren Menschen aus Köln und Bergisch-Gladbach, die Kölner inhaftierten und misshandelten. Nachbarn, die Nachbarn quälten. Es waren keine Polizisten oder die staatliche Ordnungsmacht, die auf Befahl handelte und so ihre Gewaltexzesse begründeten, auch wenn die SA von den Nazis als Hilfssheriffs gleichgestellt wurde. Wie wurde das rechtsstaatlich legitimiert von den Nationalsozialisten– auch nachträglich? An diesem Beispiel kann die Machtergreifung explizit und zeitlich nachvollzogen werden, von Gewalt auf kommunaler Ebene – angeschürt von politischer Hetze und wie diese später gesetzlich legitimiert wurde.

Wie wirkte das psychologisch auf die Bürger Kölns und die politische Opposition, wenn Gewalt und Bedrohung aus und im eigenen Umfeld ausgeübt wird? Es ist die Perspektive auf die lokale Wunde und öffnet das Thema auf die Aufrichtigkeit im Umgang mit dem Satz „Wir haben nichts gewusst“. In einer Zeit, in der Populisten und die, die besonders laut in den Sozialen Medien nach mehr Ordnung und Gewalt krakeelen und diese schüren, zeigt das SA-Lager Hochkreuz und das lokale Geschehen, wie sich die Tür von der Demokratie zur Diktatur öffnete, indem gewalttätige Kölner ihre politisch andersdenkenden Nachbarn misshandelten, im Versprechen auf Karriere und mehr, bei gleichzeitiger Straffreiheit, die durch die Reichsregierung nachträglich gedeckt wurde. Eine Geschichte die komplex ist und nicht einfach zu erzählen und zu verstehen.

Der Denkmalwert der Gebäude

Charles schreibt, dass der Denkmalwert durch den Kölner Stadtkonservator 2019 als nicht gegeben sei. Die Gebäude seien baufällig. Die Einschätzung: „Die Gebäude waren in weiten Teilen nicht mehr in der Originalsubstanz erhalten und galten als architekturhistorisch nicht aussagekräftig.“

„Anfang Januar 2023 sind die beiden in Privatbesitz befindlichen Gebäude im hinteren Teil des ehemaligen Lagergeländes niedergelegt worden, mittlerweile ist auch die Niederlegung des ehemaligen Pförtnerhauses auf städtischem Grund erfolgt – zuvor wurde eine fotografische Dokumentation der Gebäude und des Geländes durch das NS-DOK vorgenommen.“

Aus dem Brief des Kölner Kulturdezernenten Stefan Charles an die Bürgerinitiative

Es folgt im Schreiben von Charles die Passage, die die Bürgerinitiative besonders kritisiert: „Anfang Januar 2023 sind die beiden in Privatbesitz befindlichen Gebäude im hinteren Teil des ehemaligen Lagergeländes niedergelegt worden, mittlerweile ist auch die Niederlegung des ehemaligen Pförtnerhauses auf städtischem Grund erfolgt“. Die Bürgerinitiative schreibt: Bei unserem erneuten Besuch der Örtlichkeiten am 4. Februar 2023 standen die in Rede stehenden Gebäude noch. Hieraus ergeben sich viele Fragen. Warum wird ein Abriss behauptet, der noch nicht stattgefunden hat? Weiß Herr Charles als zuständiger Kulturdezernent nicht über die Lage vor Ort Bescheid? Geschieht eine solche falsche Darstellung wider besseres Wissen, aus Inkompetenz oder aus strategischen Gründen, um den Widerstand gegen den Abriss zu brechen, indem man vorgibt, der Abriss habe bereits stattgefunden? Ist hier nur Dilettantismus oder gar Propaganda am Werk?“

„Diese Darstellung ist schlicht sachlich falsch. Das Pförtnerhaus wurde bisher nicht abgerissen. Wir wissen nicht, was Herrn Charles zu einer solchen Falschdarstellung veranlasst hat. Warum wird ein Abriss behauptet, der noch nicht stattgefunden hat?“

Bürgerinitiative „Porzerinnen und Porzer für eine Gedenkstätte

Es ist zudem die Art und Weise des Umgangs, der die Bürgerinitiative empört. Diese schrieb an die politischen Parteien Kölns, dass das Verständnis dafür fehle, dass die Stadt auf der einen Seite die historische Bedeutung selbst feststelle und gleichzeitig den Abriss authentischer Gebäude vorantreibe. Sie fragen, wie ein möglicher Gedenkort einfach abgerissen werden könne, wenn es um ein „würdevolles Gedenken“ an die Verfolgten gehe und warum werde dies nicht mit der Bürgerschaft vor Ort diskutiert? Jetzt schaffe Politik und Stadtverwaltung Fakten. Die Initiative verweist darauf, dass die Bezirksvertretung Porz den vierspurigen Ausbau der Frankfurter Straße, für den diese Gebäude angeblich abgerissen werden müssen, zur erneuten Prüfung an das zuständige Amt verwiesen hat. Alle Parteien bis auf die AfD trugen diesen Antrag mit.

Die verkehrliche Situation

Dies habe Gründe, so die Initiative. Der vierspurige Ausbau der Frankfurter Straße basiere auf einer Planung aus dem Jahr 2008. 15 Jahre später müsste diese überprüft werden, denn so die Initiative: „Verkehr ist ein dynamisches Geschehen“. 2008 wurde eine Verkehrswende noch nicht diskutiert oder das Arbeiten aus dem Home-Office wurde noch nicht einmal diskutiert. Zudem fragt die Bürgerinitiative, ob der vierspurige Ausbau nicht gerade kontraproduktiv sei und mehr Verkehr anziehe, der dann wieder zu Staus führe. Die Initiative schreibt: „Das zuständige Amt verweist hemdsärmelig darauf, dass man dies erst genau beziffern kann, wenn die Verbreiterung fertig ist. Für einen solchen Trial- and Error-Ansatz ist das Vorhaben zu kostspielig. Eine solche suchende und irrende Verkehrsplanung rechtfertigt kaum den Abriss von Gebäuden, deren ‚historische Bedeutung unzweifelhaft‘ ist.“ Die Planungen müssten überarbeitet werden, da Fußgängertunnel und Fahrradweg fehlten.

Auf dem Gelände des privaten Investors fanden Abrissarbeiten statt. | Foto: Bopp

Bittere Fragen an die Ratspolitik

Die Bürgerinitiative fragt, wo da die von den Grünen versprochene Verkehrswende bleibe? Und weiter: „Mit welcher Legitimation wird hier AfD-Politik umgesetzt?“ Denn die AfD ist die einzige Partei, die weiter am Ausbau der Frankfurter Straße festhält.

Die Baufälligkeit wird zudem bezweifelt: „Dabei ist der Zustand des Pförtnerhauses als möglicher Gedenkstätte im Gegensatz zur Behauptung des Kulturdezernenten nicht baufällig, dies trifft lediglich auf das Wohnhaus am südlichen Ende des Geländes zu. Begehungen der Örtlichkeiten mit Bausachverständigen ergaben, dass die Bausubstanz des Pförtnerhauses und der angrenzenden Halle noch erhaltenswert und der Sanierungsaufwand überschaubar ist.“

Klare Forderung

Die Bürgerinitiative fordert die Stadt Köln auf alle Abrissarbeiten auf dem Gelände sofort einzustellen. Sie fordert eine Einbeziehung der Porzer Bürgerschaft vor dem Abriss. Bürgerschaftliche Beteiligung sei nur dann sinnvoll, wenn die Chance besteht, dass die Wünsche der Bürgerschaft auch realisiert werden könnten. Wenn man zuvor gegenteilige Fakten schaffe, dann reduziere man Bürger*innenbeteiligung zu einem Feigenblatt und mache sie zur Farce. Kommunale Demokratie sollte anders gehen.

Was ist ein würdiger Umgang?

Der Vorschlag der Stadt eine Gedenkstele zu installieren trifft nicht auf die Zustimmung der Bevölkerung vor Ort. Die Initiative: „Wir fordern die Stadt auf, endlich dieses Verschieben von Zuständigkeiten, das jahrelange Verschleppen der Umsetzung von Beschlüssen und das Verschleiern von Chancen zu unterlassen und statt derartiger Nebelkerzen nunmehr endlich mit der Bürgerschaft in einen konstruktiven Dialog über eine mögliche Gestaltung einer Gedenkstätte unter Nutzung noch vorhandener authentischer Gebäude einzutreten.

Die von der Stadt anvisierte Gedenkstele ist eben gerade nicht ein „angemessener, würdiger Umgang mit der lokalen Verfolgungsgeschichte“, sondern verhöhnt die damaligen Opfer. Das ist beschämend und das bisherige Taktieren eine Schande für die Stadt Köln. Gerade angesichts der von Herrn Charles angesprochenen verkehrlichen Lage führt ein solch symbolhaftes „Gedenkzeichen“ kaum zu einer Auseinandersetzung mit dem historischen Geschehen, da niemand sich für eine Gedenkstele dorthin begibt und explizit diesen Ort aufsuchen wird. Das Pförtnerhaus als Gebäude bietet hingegen die Möglichkeit, mittels einer Ausstellung die damaligen Vorkommnisse deutlich intensiver erfahrbar zu machen und die angrenzende Halle eignet sich hervorragend für Schulklassen, Informationsveranstaltungen und Diskussionen, die dieses Kapitel der lokalen Geschichte lebendig halten. Wer an der lebendigen Erinnerung spart und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit verstärkt in den virtuellen Raum verlagert, entsorgt die lokale Geschichte und beraubt sie ihrer Ankerpunkte. Museumspädagogisch ist das Vorgehen nicht nachvollziehbar. Im Prinzip ist die Verwaltung im Auftrag der Bürgerschaft aktiv. Dies ist hier nicht mehr gegeben.“

Nicht weit entfernt vom SA-Lager Hochkreuz gibt es einen weiteren Ort, der der Vergessenheit anheimfiel: das ehemalige Krankensammellager im Gremberger Wäldchen. Auch hier verübten Kölner Bürger widerwärtigste Greueltaten. Dieser Ort wäre bei einem Ausbau der A4 womöglich ebenso gefährdet. Auch hier ist die Kölner Politik bislang untätig. Es mag daran liegen, dass es noch keine Bürgerinitiative gibt. Die Taten und Täter sind nicht abstrakt irgendwo im Osten passiert, es waren die Nachbarn, die sich im lokalen Umfeld auskannten, die zu Tätern wurden. Das ist die große Geschichte im Lokalen, die noch fehlt, erzählt zu werden.


Die bisherige Berichterstattung bei report-K zum SA-Lager Hochkreuz:


Die Berichterstattung zum Krankensammellager Gremberger Wäldchen