Aachen | Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat die Karlspreis-Verleihung in Aachen zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für ein stärkeres Europa genutzt. Der CDU-Politiker schlug am Donnerstag die Direktwahl des europäischen Kommissionspräsidenten durch das Volk vor. „Die politische Einheit Europas muss ein Gesicht bekommen und dieses Gesicht muss eine legitime Macht repräsentieren“, sagte Schäuble in seiner Dankesrede in Aachen. Der 69-Jährige erhielt den Karlspreis für seine Verdienste um die Stabilisierung der Währungsunion und seinen Einsatz zur europäischen Einigung.

Nach den Vorstellungen Schäubles soll der direkt gewählte Präsident eine „politische Spitze einer europäischen Exekutive“ sein, zu der die Kommission weiterentwickelt werden soll. „Wir müssen jetzt eine politische Union schaffen“, sagte Schäuble mit Blick auf die anhaltende Eurokrise. Das Europäische Parlament benötige dringend ein Initiativrecht. Die bisherigen europäischen Institutionen müssten weiter gestärkt werden.

„Wenn alles in Europa so bleiben soll, wie es ist, dann muss sich vieles – wenn nicht alles – ändern“, sagte der Bundesfinanzminister. Europa sei mehr als Kleinstaaterei und Misstrauen. „Der Schlüssel unserer Zukunft liegt in Europa“, sagte Schäuble. Kein Land in Europa könne heute noch als Nationalstaat die Aufgaben für sich alleine wahrnehmen.

Das Karlspreis-Direktorium würdigte Schäuble als einen „großen Europäer“. Er zähle zu den wenigen noch aktiven Politikern in Europa, die an den bedeutenden Integrationsschritten seit den 1980ern mitgewirkt hätten.

„Wolfgang Schäuble ist ein deutscher Patriot und auch ein europäischer Patriot“, sagte Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker in seiner Laudatio. Die gemeinsame Währungsunion sei ihm ein Herzensanliegen. „Er schindet sich, er bemüht sich, er kämpft“, sagte Juncker, der die Auszeichnung sechs Jahre zuvor erhalten hatte.

Mit der Wahl Schäubles setzte das Karlspreis-Direktorium demonstrativ ein Zeichen in der schwierigsten Situation der Europäischen Union. Gerade in Zeiten der Krise sei er ein wichtiger Akteur und bedeutender Impulsgeber für ein Fortschreiten der Einigung hin zu einer politischen Union, urteilte die Jury. Für den Vollblutpolitiker Schäuble ist der Karlspreis, den schon der frühere US-Präsident Bill Clinton und Papst Johannes Paul II. gewonnen haben, die bisher höchste Auszeichnung seiner Karriere. Schäuble wurde bei der feierlichen Preisverleihung von seiner Familie begleitet.

Unter den 850 Gästen im Aachener Rathaus waren unter anderen der frühere Bundespräsident Roman Herzog, der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).

„Ein großer Europäer“

Schäuble ist Europäer durch und durch: Der 54. Karlspreisträger war 1986 an der Einheitlichen Europäischen Akte beteiligt, die das Fundament für einen gemeinsamen Binnenmarkt legte. Vier Jahre später hat er als Verhandlungsführer den Vertrag zur Deutschen Einheit unter Dach und Fach gebracht – die Teilung Europas war überwunden. 1992 wirkte er am Vertrag von Maastricht entschieden mit, 2007 am Lissabonner Vertrag. „Er hat sich nie aus der Bahn werfen lassen“, sagte Juncker mit Blick auf die politischen und privaten Schicksalschläge Schäubles.

Die bisherigen Preisträger

Der Aachener Karlspreis zählt zu den bedeutendsten europäischen Auszeichnungen. Er wird seit 1950 an Persönlichkeiten und Institutionen verliehen, die sich um die Einigung Europas verdient gemacht haben. Die Auszeichnung ist mit 5.000 Euro dotiert und wird traditionell am Himmelfahrtstag verliehen. Zu den bisherigen Preisträgern zählen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (2008) und der frühere britische Premierminister Tony Blair (1999).

Autor: Fabian Wahl, dapd
Foto: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble