Köln | Der 83-jährige Gerhard Herbert besuchte am 7. März 2014 das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (NS-Dok) und übergab eine sogenannte „SS-Ahnentruhe“ aus dem Besitz seiner Eltern an den Leiter des NS-Doks, Dr. Werner Jung.  Gerhard Herberts Vater, Willy Herbert, war Kölner Ratsherr und ranghöchster SS-Führer in Köln.

Willy Herbert, ursprünglich Frisörgeselle, trat bereits 1926 der NSDAP und ein Jahr später der SS bei. Nach einem Fememord im Jahre 1933 machte er innerhalb weniger Jahre ohne jegliche fachliche Befähigung Karriere, wurde Polizeipräsident in Mainz, Mitglied des Reichstags und schließlich Ratsherr in Köln. 1941 ging Willy Herbert als Mitglied der Waffen-SS in den Osten und wurde im Rahmen der „Aktion Reinhardt“, der systematischen Ermordung von Juden, Sinti und Roma im sogenannten „Generalgouvernement“ (deutsch besetztes Polen und Teile der heutigen Ukraine), zum Massenmörder.

Als überzeugter Nationalsozialist schickte Willy Herbert 1941 seinen Sohn Gerhard im Alter von zehn Jahren auf die Nationalpolitische Erziehungsanstalt (Napola) in Bensberg. Dort sollte er zur „Elite des Führers“ ausgebildet werden. „Wir sollten für unsere Rolle als zukünftige Gauleiter in New York, London und anderen Orten auf der Welt vorbereitet werden.“, erinnert sich Gerhard an seine vierjährige Zeit dort.  Dass Gerhard ein unsportliches und schüchternes Kind war und unter der Erziehung zum sogenannten „Herrenmenschen“ litt, dafür hatten die Eltern, auch die Mutter Herberts war überzeugte Nationalsozialistin, kein Verständnis.

Vater galt nach dem Krieg als verschollen

Zum Kriegsende galt Willy Herbert als verschollen und wurde für tot erklärt. Erst Jahre später, 1955, erfuhr Sohn Gerhard  durch eine Zeitungsmeldung, dass sein Vater noch lebte und in München verhaftet worden war. Wegen des 1933 an einem Parteigenossen begangenen Fememords war er in Frankfurt angeklagt, wurde jedoch mangels Beweisen freigesprochen. Von Kriegsende bis zu seiner Festnahme lebte Willy Herbert unter seinem richtigen Namen in München, ging seiner Arbeit als Friseur nach „und zahlte auch Steuern, wurde aber – seltsamerweise zehn Jahre lang nicht gefunden, obwohl die Polizei nach ihm fahndete“, so Gerhard Herbert. Er vermutet, sein Vater sei nicht gefunden worden, weil er nicht gefunden werden sollte, weil im Zusammenhang mit dem Fememord ein bekannter Jurist mit zum Kreis der Verdächtigen gehörte. Gerhard Herbert geht von einer gezielten Vertuschung aus. Bei einem Treffen mit dem Vater nach über zehn Jahren seien das Thema NS-Vergangenheit und die Gründe, weshalb der Vater seine Familie nicht aufgesucht hatte nicht zur Sprache gekommen, erinnert sich Herbert.  Beide hätten gewusst, worüber sich eigentlich hätten reden sollen, taten es aber nicht. Danach sei der Kontakt wieder abgebrochen, die Mutter hätte sich von Willy Gerhard scheiden lassen.

Der Vater starb 1969, ohne dass in der Familie die Vergangenheit jemals thematisiert wurde. Es sollte bis 1989 dauern, bis Gerhard Herbert den Ort des Grabes seines Vaters auf einem Münchener Friedhof ausfindig machen konnte, wo dieser mit seiner ebenfalls verstorbenen zweiten Ehefrau begraben liegt. Kurz darauf  litt Herbert an starken psychosomatisch bedingten Krankheiten. 1991 habe er sich deshalb erstmals einem Psychologen gegenüber geöffnet, ihm seine Familiengeschichte erzählt, die Symptome verschwanden.

Vater war maßgeblich an „Aktion Reinhard“ beteiligt

Erst in den 1990er-Jahren erfuhr Gerhard Herbert, dass sein Vater ein Massenmörder war, der für seine Taten niemals strafrechtlich belangt wurde. Jedoch, so erzählt Gerhard Herbert, habe er immer eine gewisse Ahnung darüber gehabt, was sein Vater während seiner Zeit in Polen getan habe, jedoch keine Belege hierfür. Diese fand er erst im Zuge eigener Recherchen sowie Kontakten zum Bundesarchiv und zur Gauck-Behörde.

So erfuhr er, dass sein Vater 1942 maßgeblich an der „Aktion Reinhard“ beteiligt, ein Tarnnahme für die systematische Ermordung aller Juden und Roma innerhalb des „Generalgouvernements“.  Von Juli 1942 und Oktober 1943 wurden dabei über zwei Millionen Juden, Sinti und Roma aus dem „Generalgouvernement“ in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka ermordet. Er erfuhr auch, dass sein Vater als NS-Verbrecher weltweit gesucht worden war.

Konsequenz: Eigene Geschichte weitervermitteln

Aus all diesen Erfahrungen zog Gerhard Herbert er die Konsequenz, „seine“ Geschichte nicht nur aufzuarbeiten, sondern sie trotz aller damit verbundenen schmerzlichen Erfahrungen auch weiterzuvermitteln. So stellt sich Herbert immer wieder Schülerinnen und Schülern als Zeitzeuge zur Verfügung. Er erzählt hierbei nicht nur seine Erfahrungen als Kind innerhalb der NS-Zeit und als Sohn eines SS-Führers, sondern auch seine Lebensgeschichte nach Kriegsende. Nachdem er neun Jahre als Bäcker gearbeitet hatte, ging Herbert zur Post, holte schließlich an der Abendschule sein Abitur nach, um dann in Frankfurt/Main, unter anderem bei  Theodor W. Adorno, Philosophie und Politik zu studieren. Für Herbert eine Fügung des Schicksals. „Der Sohn eines SS-Standarten-Führers studiert bei einem Professor, der von den Nazis verfolgt wurde.“

„Ahnentruhe“ und Figur von KZ-Häftlingen übergeben

Dem NS-Dok übergab Herbert neben Fotos und Dokumenten auch die „SS-Ahnentruhe“ seiner Eltern, die zwischen 1937 und 1945 eine Art „Hausaltar“ in der Wohnung am Sülzgürtel darstellte und zu einem eigens für die SS geschaffenen Kult gehörte. So erinnert sich Gerhard Herberts daran, dass sein jüngerer Bruder auf dieser Truhe unter dem Hitler-Bild getauft worden war. Ebenfalls übergab Herbert eine aus Porzellan gefertigte Hundefigur, die von KZ-Häftlingen für die SS hergestellt worden war.

Der Kontakt zum NS-Dok kam zustande als Dr. Martin Rüther vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln und die Museumspädagogin Barbara Kirschbaum Recherchen über die Herkunft eines Bildes betrieben, dass im Rahmen der Ausstellung „Was hat das Hemd mit Politik zu tun?“ gezeigt werden sollte. Das Bild zeigte Willy Herbert in seiner SS-Uniform. In der Ausstelllung sollte unter anderem auch gezeigt werden, was das Anlegen einer Uniform bei Menschen bewirken kann. In einer Zeichnung neben dem Bild wurde Willy Herbert einmal in Uniform und einmal in seiner Berufskleidung als Frisör gezeigt. Das sei anfangs auch alles gewesen, was man bei der Vorbereitung zur Ausstellung gewusst habe, so Kirschbaum. Über Recherchen sei man dann auf Gerhard Herbert gestoßen, der sich dann zu einem Zeitzeugen-Interview mit Rüther bereit erklärt hatte.

Im Anschluss an die Übergabe an das NS-Dok führte Gerhard Herbert noch eine Diskussion mit den Schülerinnen und Schülern des Kölner Montessori-Gymnasiums. Noch heute arbeitet der 83-jährige als Lehrer an einem hessischen Gymnasium und hält Vorträge über die NS-Zeit, seine Familiengeschichte und seine Zeit in der Napola.

Autor: dd
Foto: Vlnr.: Dr. Werner Jung und Gerhard Herbert bei der Übergabe der „Ahnentruhe“.