Köln | Vier Wochen nach dem Messerattentat hat Kölns Oberbürgermeisterin am Freitagmorgen ihren Dienst im Rathaus angetreten. Dort begrüßte die 58-Jährige zunächst die Mitarbeiter und nahm mit den Fraktionen im Rat Kontakt auf. Im Museum Ludwig stellte sich Reker erstmals der Presse. Zum Termin gab es deutlich erhöhte Sicherheitsvorkehrungen.

„Diese Krise, dieses Attentat hat sich so ausgewirkt, dass es mein Bewusstsein für den eigenen Charakter gestärkt hat. Ich trete von keiner Ansicht zurück“, sagt Reker, die von einem Mann an ihrem Wahlkampfstand niedergestochen worden war, dem die Ermittler ein fremdenfeindliches Motiv vorwerfen. Zuvor hatte sich Reker als Sozialdezernentin für Flüchtlinge eingesetzt.

„Der Mann kam auf mich zu und hat um eine Rose gebeten. Dann hat er das Messer gezogen und mich damit in den Hals gestochen. Dabei hat er freundlich geschaut“, erinnert sich Reker an die Tat. Im Anschluss schafft sie es noch, die Wunde am Hals selbst zu komprimieren. „Ich habe bei einer Berufsgenossenschaft gearbeitet und mir dort unfall-medizinisches Wissen angeeignet. Später haben mir die Sanitäter gesagt, dass ich genau das Richtige getan habe. Ich hatte keine Todesangst, nur Angst, dass ich gelähmt bin.“

Noch ist der Genesungsprozess der Oberbürgermeisterin nicht abgeschlossen, Behandlungen stehen noch an. Probleme bereiten Reker noch der Husten und Probleme beim Schlucken. „Aber ich bin von Tag zu Tag mehr da. Für mich war die Verleihung des Heinrich-Böll-Preises heute Abend an Herta Müller ein Zielgerade, auch wenn ich nicht sicher war, ob ich sie wirklich erreichen kann.“ Die offizielle Amtseinführung wird am 15. Dezember im Rat stattfinden.

Berührt hat Reker die Anteilnahme der Menschen an ihrem Schicksal. Waschkorbweise bekam sie Briefe, unzählige Glücksbringer und Blumen, die die komplett Vasen der Uniklinik füllten. „Dass Kölner den Angriff auf mich persönlich genommen haben und das als Angriff auf unsere Stadt gesehen haben, war für mich das Größte.“

Auch wenn jeder Rettungswagen Reker an das Attentat erinnert, geht sie ohne Angst durch ihren Alltag: „Die Polizei passt gut auf mich auf. Neulich hat mich ein Mann in der Apotheke umarmt, da hat die Apotheke deutlich mehr Angst als ich. Ich werde weiter offen auf die Menschen zu gehen.“ Eine klare Botschaft hat Reker an die Leute aus dem rechten Lager: „Wer auf Hass und Gewalt setzt, belügt sich selbst. Das ist keine Lösung. Es gibt keine Alternative zum Dialog.“

Von ihrem Wahlsieg hat Reker am Donnerstag nach dem Wahltermin durch ihren Mann am Krankenbett erfahren. „Ich fand das schön, aber auch nicht so spektakulär. Ich hatte soviel mit mir selbst zu tun, dass das in diesem Moment etwa in den Hintergrund geraten ist.“ Die Wahl abzulehnen stand für Reker nie zur Debatte: „Es war leicht die Wahl anzunehmen. Es gab viele Unterstützer, die monatelang 16 Stunden am Tag dafür gearbeitet haben. Da ging es auch um Pflichterfüllung. Außer dem ist es Leidenschaft für Köln, da ist die Flamme noch größer geworden. Köln hat in diesen Stunden sein wirkliches Gesicht gezeigt. Köln ist ein Gefühl, aber auch ein Mitgefühl. Köln steht und hält zusammen.“

Zu ihrem Programm für Köln wollte sich Reker gestern noch nicht ausführlich äußern. Das soll erst im Rat geschehen. Zwei Dinge lagen ihr trotzdem auch aktuell am Herzen. Dazu gehört die Flüchtlingspolitik: „Ich freue mich jeden Tag über unsere Willkommenskultur in Köln. Hier brauchen wir als Stadt ein Handlungsprogramm sowohl für die Grundversorgung als auch für die Frage, was danach kommt – eine erfolgreiche Integration der Menschen.“

Wichtig ist ihr, auch die Veränderung in der Verwaltung gemeinsam mit ihren Mitarbeitern voranzutreiben, mit mehr Effizienz und Entscheidungsfreude. Bewusst steht Reker für ihre parteipolitische Unabhängigkeit. „Ich möchte aus dem politischen Blockdenken herauskommen, weil dieses nicht mehr zu den Erwartungen der Bürger gehört. Wichtig ist eine offene Streitkultur, Transparenz und eine neue Sachlichkeit, wenn es darum geht, Mehrheiten zu finden.“ So solle Köln in den Städterankings wieder dort hinkommen, wo es hingehört. Ihre Mannschaft für das OB-Büro habe sie noch nicht komplett zusammen. Das solle aber in der kommenden Woche gelingen.

Autor: Stephan Eppinger