Dieser Koffer birgt möglicherweise wichtige Dokumente der Zeitgeschichte. Der Kölner Regisseur Franz Josef Heumannskämper entdeckte ihn Anfang 2022 bei einer Wohnungsauflösung im belgischen Viertel. Foto: Pia Janssen

Köln | Ein unscheinbarer Lederkoffer. Darin ein Batzen vergilbter Papiere, Fotos, Karten und Aufzeichnungen. Nichts wert? Keines Blickes würdig? Franz Josef Heumannskämper sah Anfang Januar 2022 genauer hin.

Als der Kölner Regisseur bei einer Wohnungsauflösung im belgischen Viertel vorbeikam und in den zu entsorgenden Sachen zufällig stöberte, nahm er das Utensil – mit Erlaubnis der Mitarbeiter des Entsorgungsunternehmens – spontan an sich und seine Neugier war geweckt. Der Rest ist buchstäblich Geschichte.

Kölner Regisseur findet historische Zeugnisse aus dem Zweiten Weltkrieg

Denn der Inhalt des besagten Köfferchens könnte historischen Wert haben – und ist aktueller denn je. „Bevor das auf den Müll kommt, nehme ich das mal mit und sehe es mir genauer an“, erinnert sich der Buchautor gegenüber report-K, „durch einen Zeitungsartikel sah ich, dass der Vorbesitzer offenbar versucht hatte, das Material dem Stadtarchiv zu übergeben, das aber unmittelbar danach, nur 24 Stunden später, einstürzte.“

Der Kölner Regisseur Franz Josef Heumannskämper im Gespräch mit report-K. Vor ihm die historischen Aufzeichnungen. Foto: Eddy Bopp

Seither lagerte der Koffer unbeachtet in der besagten Wohnung im belgischen Viertel und wäre vernichtet worden, wenn nicht Heumannskämper per Zufall und Interesse hineingeschaut hätte.

Was er entdeckte, ist eine Kölner Leidensgeschichte: Es sind die Aufzeichnungen des seinerzeit 17-jährigen Landsers Waldemar, Spitzname: „Waldi“, Bauer von der Ostfront, der ab Sommer 1944 im Gebiet der heutigen Ukraine kämpfte.

Es gibt die Parallelen zur heutigen Zeit mit dem Krieg in der Ukraine. Auch sogar örtlich. Wenn Waldi an der Front nicht vergessen wird, wäre das eine große Freude

Franz Josef Haumannskämper über „Waldi an der Front“

Heumannskämper scharte eine Gruppe von Studenten und Künstlern wie Pia Janssen um sich, und man begann die Briefe von „Waldi an der Front“ akribisch zu transkribieren.

Das Ergebnis sind erschütternde Zeugnisse einer finsteren Zeit, die gewiss das Zeug für ein (Dreh-)Buch, Podcast oder einen Film hätten. Gerade momentan, angesichts der Parallelen in Osteuropa. Und eines regelrechten Filmbooms zum Thema Erster und Zweiter Weltkrieg, wenn man an die erfolgreichen Streifen „Unsere Mütter, unsere Väter“, „Der Hauptmann“, „1917“ oder „Im Westen nichts Neues“ denkt.

Bei den Briefen fand der Regisseur auch alte Fotos, Angehörige von „Waldi“ konnte er aber noch nicht aufstöbern. Foto: Pia Janssen

Der Kölner Waldemar Bauer schreibt seinen Eltern regelmäßig und schildert, anfangs noch kriegsbegeistert, die zunehmende Sinnlosigkeit an der Front auf dem Weg der Wehrmacht in den militärischen Untergang, mit steigender Verbitterung und Schonungslosigkeit. Angesichts des defätistischen Tons mutet es als Wunder an, dass die Briefe nicht durch die Zensur entdeckt und Waldi – wie etwa der große deutsche Dichter Wolfgang Borchert – wegen Wehrkraftzersetzung vom Tyrannenregime in Haft oder ins KZ gesteckt oder zum Tode verurteilt wurde.

Kölner Landser (17) wandelte sich im Lauf des Krieges – erschütternde Zeugnisse

„Es gibt Frontbriefe, Lazarettbriefe und Briefe aus der britischen Gefangenschaft. Es stimmt, dass er eine Entwicklung nimmt“, so Heumannskämper, „Waldi benutzt eine unglaublich moderne Sprache, wenn man seine Briefe mit der Feldpost Anderer vergleicht. Allein, wie innig er seiner Mutter schreibt, ist sehr bemerkenswert. Wo deutlich wird, dass er den Krieg nicht gut heißt, ist die Stelle, dass er seinem jüngeren Bruder Schläge androht, wenn der sich freiwillig melden sollte.“

Waldemar Bauer schrieb seinen Eltern regelmäßig von der Ostfront. Die Briefe sind erhalten. Foto: Eddy Bopp

Den „Führer“ erwähnt er sehr selten, stattdessen schimpft der letztlich schwer verwundete Waldi darüber, wie er und seine Kameraden ohne echte Ausbildung in den Kampf gehetzt und verheizt werden.

Der Kölner Katholik ist sehr gläubig. „Eine der wichtigsten Stellen ist, als die Russen die Front beschallen und erzählen, was die Deutschen machen. „Wenn das wirklich das ist, was wir tun, dann wird es uns nicht mehr geben“, drückt Waldi aus“, so der Entdecker der Briefe bewegt.

Angehörige von „Waldi“ haben seine Mitstreiter und er (noch) nicht ausmachen können. Die Briefe sind transkribiert, Heumannskämper hofft darauf, einen Verleger zu finden, damit die viele intensive Recherchearbeit, die in Stunden längst nicht zu greifen mehr ist, nicht umsonst gewesen ist. „Es gibt die Parallelen zur heutigen Zeit mit dem Krieg in der Ukraine. Auch sogar örtlich. Wenn Waldi an der Front nicht vergessen wird, wäre das eine große Freude“, sagt er.