Köln | Am 13. September 2020 wird Köln einen neuen Stadtrat wählen, sofern die Kommunalwahl 2020 trotz Corona-Krise regulär stattfindet. Im Interview mit report-K spricht Ethel Strugalla von der Wählergruppe „Deine Freunde“ über die frauenpolitischen Forderungen anlässlich der Kommunalwahl 2020 in Köln. Auf Grund der aktuellen Lage in Deutschland wurde das Inteview von Greta Spieker mit der Wählergruppe Deine Freunde schriftlich geführt.

Die Wählergruppe „Deine Freunde“ saß von 2009 bis 2017 im Kölner Stadtrat. Wenn Sie ein Resumeé ziehen, wie wichtig waren frauenpolitische Themen in der vergangenen Wahlperiode?

Ethel Strugalla: Wir sind seid 2009 in der Kölner Kommunalpolitik aktiv und mischen mit. Bis 2017 im Stadtrat, seit 2014 bis heute mit zwei Mandaten in den Bezirksvertretungen in Ehrenfeld und in der Innenstadt. Streng genommen ist Deine Freunde übrigens weiterhin im Kölner Stadtrat vertreten. Denn die Mandate, die Herr Zimmermann und Herr Scholz innehaben, sind von der Deine Freunde-Liste und wenn sie ihre Mandate niederlegen würden, könnten wir sie direkt wieder mit Mitgliedern der Wähler und Wählerinnengruppe DEINE FREUNDE besetzen – somit: die Mandate gehören weiterhin zu Deine Freunde.

Zurück zur Frauenpolitik: Seit 2009 bis heute gibt es keine wirkliche Frauenpolitik in der Stadt. Wichtig finden wir, hier erstmal eine Begriffsklärung vorzunehmen: Was meint denn Frauenpolitik überhaupt? Und ist dieser Begriff überhaupt noch zeitgemäß? Denn wenn wir von „Frauenpolitik“ sprechen, dann bleiben wir tendenziell in einem rein binären Mann-Frau-Denken, das wir als überholt betrachten, da es immer ausgrenzend und trennend agiert. Wir wünschen uns grundsätzlich mehr Vielfalt und Diversität.

Daher an dieser Stelle eine Einschätzung zum Begriff Diversität:
Noch immer wird der Begriff Diversität oft ausschließlich im Hinblick auf die Herkunft einer Person oder das Geschlecht einer Person verwendet. Diversität hat aber sehr viele Aspekte und jeder Mensch ist divers in vielerlei Hinsicht – wir sprechen daher von intersektionaler Diversität und diese unterschiedlichen Sektionen sind in jedem Menschen zu finden. Hier ein paar Beispiele für mögliche Sektionen: Geschlecht, Ethnie, sexuelle Orientierung, Glaube, Alter, kultureller Hintergrund, Behinderung/Nicht-Behinderung, gesprochene Sprachen und so weiter.

Wenn Frauenpolitik Gleichstellungspolitik oder Diversitätspolitik bedeutet, dass systematisch daran gearbeitet wird, dass Menschen wirklich gleichberechtigt sind, dann stellen wir fest: Diese Thematik kommt im Diskurs in der Stadtgesellschaft wie in der Politik eindeutig zu kurz.

Gab es Ereignisse in den vergangenen Jahren, beispielsweise die Silvesternacht 2015, die Einfluss auf die Wahrnehmung von frauenpolitischen Themen im Rat nahmen? Wie bewerten Sie dies?

Ethel Strugalla: Natürlich hat die Silvesternacht für einen massiven Einfluss auf die Debatte innerhalb der Stadtgesellschaft gesorgt – auch deutschlandweit. Im Fokus stand das Thema Sicherheit und Schutz vor Übergriffen, Belästigung und sexualisierter Gewalt im öffentlichen Raum – was durch die #MeToo-Debatte sich darüber hinaus zusätzlich in den privaten und beruflichen Kontext erstreckte. Das sind essentielle Themen für eine Stadt und für eine Gesellschaft: Also die Frage, wie wichtig ist der Schutz vor solchen Übergriffen? Und wie weit sind wir als Gesellschaft bereit zu gehen, um solche Übergriffe zu verhindern? Welche Maßnahmen treffen wir und ganz besonders, wie viel Geld stellen wir dafür bereit? Etwa für die Stärkung von Frauenhäusern, für eine konsequente Jugend-, Familien- und Sozialarbeit, für die Unterstützung von Gewaltopfern im Allgemeinen.

Denn diese Fragen betreffen nicht nur Frauen, sondern auch Minderheiten oder andere Gruppen, die von potentiellen Gewalttätern und Gewaltäterinnen als potentielle Opfer gesehen werden könnten. Wie gesagt, es ist essentiell und einer der Grundpfeiler einer funktionierenden Stadtgesellschaft, dass wir uns alle mit einem Gefühl von Sicherheit im öffentlichen Raum bewegen können. Das große Thema Diversität nun auf diese Frage zu begrenzen, das halten wir für viel zu kurz gegriffen.

Diversitätspolitik umfasst unbedingt die Fragen nach Chancengleichheit, nach gerechter Teilhabe, nach Mitbestimmung, nach gleicher Bezahlung für gleiche Arbeit, nach Unterstützungsangeboten für Eltern und Elternteile mit Kindern, die zu betreuen sind, nach Sichtbarkeit im politischen und gesellschaftlichen Diskurs, nach Repräsentation, Sichtbarkeit und Würdigung von Care-Work, nach diversitätssensibler Sprache, mehr Unterstützung für geschlechterpolitische und diversitätspolitische Projekte und Ehrenamtsarbeit … Sicherheit ist nur ein Aspekt.
Gleichwohl, das Thema „Häusliche Gewalt“ wird jetzt, in dieser besonderen Zeit, in der wir uns alle gerade befinden, mit seinen psychologischen Herausforderungen, noch einmal ganz besonders brisant werden. Und hierbei sind die Opfer leider zumeist Frauen und Kinder.

Veränderte sich die Kölner Frauenpolitik dadurch, dass Köln seit 2015 eine Oberbürgermeisterin hat?

Ethel Strugalla: Die Politik hat sich dadurch nicht verändert, unserer Einschätzung nach, nein. Gleichwohl ist es natürlich ein wichtiger Schritt und ein wichtiges Signal, dass in Köln eine Frau den Posten der Oberbürgermeisterin inne hat.

51,1 Prozent der Kölner Stadtbevölkerung sind weiblich. Im Kölner Stadtrat sind nur 30 Prozent der Mitglieder weiblich. Braucht der Kölner Stadtrat eine Quote?

Ethel Strugalla: Das ist in der Tat ein echter Misstand und eins der Dinge, die wir unbedingt ändern wollen! Die Frage der Repräsentativität der Stadtbevölkerung steht bei uns ganz oben auf der politischen Agenda. Der Stadtrat in Köln, ebenso die Bezirksvertretungen, das sind politische Gremien, die die Stadtbevölkerung repräsentieren sollen. Also ein Abbild, ein Spiegelbild der Stadtbevölkerung sein sollen. Auch hier wieder: Nicht nur, was Frauen angeht, es geht auch um andere Geschlechter, es geht um people of colour, um unterschiedliche Berufsgruppen – um Diversität allgemein. Wir sind unbedingt der Meinung, dass der Stadtrat und alle anderen politischen Gremien paritätisch besetzt sein müssten. Und ja, eine Quote, das ist die schnellste und einfachste Lösung für dieses Problem. Die Erfahrungen in allen gesellschaftlichen Bereichen zeigen ja, dass sich die Teilhabe anderer Geschlechter ohne Quote nicht verbessert. Nirgendwo. Die Grünen hingegen zeigen: Wo es festgeschrieben ist, dass ebenso viele Frauen wie Männer aufgestellt werden, da ist das dann einfach so. Wenn wir nun nur die Dimension Geschlecht betrachten, dann schlagen wir eine Quote für Frauen vor (50 Prozent) und gerne würden wir auch über eine Quote für Menschen diskutieren, die sich im Geschlecht als „divers“ bezeichnen würden.

Was sind die 3 wichtigsten frauenpolitischen Forderungen der Wählergruppe „DEINE FREUNDE“ und wie wollen sie diese umsetzen? 

Um unseren Standpunkt allgemein noch einmal zu verdeutlichen: Wir stehen für einen Ansatz der intersektionalen Diversität (Definition siehe erste Frage) und setzen uns für eine diverse Repräsentation in allen Gremien ein. Hierfür müssen zukünftig Maßnahmen geschaffen werden um eine temporäre Teilhabe aller in der Kommunalpolitik zu ermöglichen – durch Zeit, Raum und finanzielle Unterstützung. Wir sehen es als am Sinnvollsten an die Maßnahmen mit Expertinnen und Experten fachlich auszuarbeiten und in einem dezidierten Prozess, der alle Einwohnerinnen und Einwohnern Kölns mit einbezieht.

Um eine repräsentativere und diversere Kommunalpolitik zu gewährleisten, hier drei konkrete Ansätze:
– Quoten für alle politischen Gremien (W/M/Divers)
– Teilhabe ermöglichen
– Equal pay konsequent durchsetzen

Welches Thema sollte darüber hinaus die nächsten Jahre in der Kölner Frauenpolitik bestimmen?

Alltagstaugliche Partizipationsformen für Politik und die Frage, was Frauen und Menschen anderen Geschlechts sich wünschen.

Und, ein Thema, das vielen von uns bei Deine Freunde sehr wichtig ist: Der Umgang mit Frauenbildern im Stadtbild. Ein Beispiel: Viele von uns empfinden es als unerträglich und unfassbar aus der Zeit gefallen, dass das Bordell Pascha eine riesige und massiv sexualisierte Frauendarstellung als Werbung hat. Weg damit! Was für ein Frauenbild wird damit transportiert, wollen wir das wirklich in Köln haben? Dass sexistische und sexualisierte Werbung und Darstellung von Menschen aus dem Stadtbild verschwindet, das würden wir gerne erreichen.

Sollten sich die Kölnerinnen stärker für Frauenpolitik engagieren und wie kann man sie dazu motivieren?

Vielleicht ist ein schöneres Wort, die Kölnerinnen und Kölner dazu einzuladen, dass alle mithelfen, dass die Stadt noch diverser, noch diversitätsfreundlicher, noch offener und toleranter wird. Dazu können wir alle einen Beitrag leisten. Und natürlich ist es sehr wirkungsvoll, wenn die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung hier mit gutem Vorbild vorangehen. Also selbst auf eine diversitätssensible Sprache achten, sich aktiv für Gleichstellung einsetzen, zum Beispiel bei Einstellungen von Personal oder bei der Besetzung von Projektgruppen und Gremien, bei der Einladung von Gästen und Rednerinnen und Rednern auf Veranstaltungen und solchen.

Übrigens werden auch wir nicht mehr lange Deine Freunde heißen – unter anderem genau deshalb, weil wir diese männliche Form nicht mehr zeitgemäß finden. Offen ist noch, ob wir Deine Freund*innen heißen werden – oder ganz anders. Und, ebenfalls wichtig: Wir sind die bisher einzige Wählerinnen- und Wählergruppe in Köln, die einen reinen Frauenvorstand hatte. Das war 2016 und 2017. Und es war nichtmal Absicht, sondern ergab sich einfach so. So richtig aufgefallen ist uns das erst, als wir das Foto des neuen Vorstands auf die Website gestellt hatten.

Es gibt die Forderung nach einem Gleichstellungsausschuss im Rat. Unterstützen Sie das?

Ja!

Unterstützen Sie die Idee des Gender-Budgetings?

Unbedingt! Denn die Erfahrung zeigt, dass es ohne solche Steuerungsmaßnahmen viel zu lange dauert, bis eine Veränderung in Gang kommt. Wichtig finden wir, dass ein solches System für eine Transformation der Stadt insgesamt eingesetzt wird.

Wir sind zum Beispiel auch Verfechterinnen und Verfechter der Gemeinwohlökonomie. Daher denken wir generell, dass es Ressourcen für eine nachhaltige, systemische Transformation geben soll. Ein Teil kann das Gender-Budgeting sein. Wichtig ist aber auch, dass Maßnahmen verwaltungstechnisch möglich gemacht werden, sodass es nicht bei nur kleinen Einzellösungen bleibt.

Autor: Greta Spieker
Foto: DEINE FREUNDE (v.l.n.r.: Harald Schuster, Ethel Strugalla, Ute Symanski, Adrian Kasnitz und Christian Pütz)