Köln | Im Rahmen der Passagen 2015 präsentiert report-K „Moderne Kunst aus Ruanda – Interieur in Afrika und die Reflexion von Kunst im Alltagsleben“, die ruandischen Künstler Emmanuel Nkuranga und Innocent Nkurunziza. Unsere Gastautorin Barbara Huebscher bereiste mehrfach den Kontinent und im Speziellen Ruanda. Dort entdeckte sie in Kigali das „Inema Arts Center“ in dem die beiden Künstler leben und arbeiten. In einer Artikelserie beleuchtet Huebscher das Leben, die Wohnverhältnisse und Kunst in Ruanda, als Reflexion auf die Internationale Möbelmesse in Köln 2015. 05 – Leben in Ruanda: Auf dem Land

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Zu Fuß unterwegs mit Lasten auf dem Kopf

Auf unserer Rundfahrt durch Ruanda konnten wir vieles sehen, das für uns in Europa fremd ist: da wären beispielsweise die vielen Menschen, die zu Fuß unterwegs sind. Frauen, meist in bunte Stoffe gekleidet und oft mit einem Baby auf dem Rücken und weiteren kleinen Kindern um sich herum, balancieren mehr oder weniger schwere Lasten auf dem Kopf. Sie sind unterwegs zum Feld oder kommen von der Feldarbeit. Sie wollen zum Markt im nächsten Dorf, um z. B. Bananen, Zwiebeln, unterschiedlichstes Gemüse dort zu verkaufen. Alles wird auf dem Kopf transportiert: Bündel aus zusammengeknoteten Tüchern, Körbe, Schüsseln aus Plastik, Reisigbündel, einfach alles, sogar Regenschirme.

Schon die kleinen Kinder lernen es und hier und da sieht man auch einen Mann, der auf diese Weise seine Lasten trägt – und das kann auch mal ein Bierkasten sein. Apropos Bier: Primus und Mützig sind die beiden Sorten, die u. a. in Ruanda gebraut werden und fast als Nationalgetränk bezeichnet werden können. Bestellt man ein Bier, sollte man sich nicht wundern, wenn man gefragt wird, ob man es kalt oder warm trinken möchte. Nicht überall auf dem Land gibt es Kühlmöglichkeiten und daher sind viele Einheimische gewohnt, Bier warm zu trinken.

Fahrräder

Kommen wir zurück auf die Straße: Die meisten Landbewohner sind immer nur zu Fuß unterwegs, weil sie sich niemals im Leben ein Auto leisten könnten. Wenn überhaupt, wird vielleicht ein Fahrrad angeschafft, aber nicht, um damit Sport zu treiben oder zum Vergnügen herumzufahren. Fahrräder dienen als Lastesel, mit denen wirklich alles transportiert wird: ganze Kochbananenstauden, Holz, Säcke mit Holzkohle, lebende Tiere wie Hühner, Ziegen, Schafe oder sogar Schweine, ganze Betten, Zementsäcke. Einmal habe ich jemanden gesehen, der mit seinem Fahrrad Kanister mit Wasser von einem Brunnen zu einem Hotel gebracht hat. Er hatte 12 Kanister auf seinem Rad festgezurrt – jeder Kanister mit 20 Litern Wasser gefüllt. Unermüdlich hat der so den Wassertank des Hotels aufgefüllt.

Viele der Räder haben nicht einmal mehr Pedale, sie können nur geschoben werden, endlose Kilometer weit. Und selbst wenn diese Räder noch Pedale hätten, ist die Ladung oft so groß, sperrig und schwer, dass man überhaupt nicht fahren, sondern nur schieben kann.

Dörfliches Leben

Wenn wir so über Land fahren, sehen wir nur dann weniger Menschen am Straßenrand, wenn kein Ort in der Nähe ist. Und je näher wir einem Dorf kommen, umso mehr Leute sind unterwegs. Die Häuser der Ortschaften scharen sich fast ausnahmslos entlang der Straßen. Und dazwischen kleinere Läden mit wenigen Lebensmitteln oder Fleisch, Stände mit Obst, Gemüse, getrocknetem Fisch, Getränken, Mobiltelefonzubehör – vor allem SIM- oder Prepaidkarten und Akku-Aufladestationen, denn ein Handy besitzt fast jeder – auch wenn es keinen Strom im Dorf gibt.

Geschäfte, wie wir sie kennen, sucht man auf dem Land vergeblich. Auch Handwerker stellen ihre Erzeugnisse am Straßenrand aus: Töpfer stellen Töpfe und sonstige Gebrauchsgegenstände aus Ton her, von Frauen aus Sisal geflochtene Körbe, Schreiner fertigen Betten, Stühle, Tische, Schränke, einfach alles, was man zum Wohnen benötigt und nicht selbst herstellen kann. Selbst in Kigali finden sich solche Möbelhersteller, auch wenn es dort vielleicht ein Möbelgeschäft gibt, was unserer Vorstellung von einem Möbelladen entfernt nahe kommt.

Ein typisches ruandisches Haus

Betreten wir eines der Häuser auf dem Land und nehmen die Einladung der überaus gastfreundlichen Menschen an, werden wir feststellen, dass die Einrichtung sehr spartanisch ist. Es gibt eine Kochstelle, einen Bereich, wo gegessen wird und einen, wo das Bett steht, eine Toilette. Möbel jedoch, wie sie in unseren Wohnungen selbstverständlich sind, können sich viele Menschen nicht leisten. Ein Bett, ein Stuhl, vielleicht ein einfacher Tisch, das sind für viele Ruander die einzigen Möbel, die sie besitzen.

Das Leben findet draußen, vor den Häusern statt: Kinder spielen direkt am Straßenrand, selbst die Kleinsten. Oft wird die Wäsche draußen, vielleicht auch an einem Bach, gewaschen. Abends trifft man sich im Freien, geht in Gruppen ein wenig spazieren, sitzt, isst und trinkt zusammen, unterhält sich. Die oft einzige Beleuchtung sind mit Kerosin gefüllte Lampen. Das Kerosin kann man an allen Tankstellen bekommen. Strom gibt es selten – nur in den größeren Städten und selbst dort kann er schon mal ausfallen. Das gleiche gilt für Wasser: wohl jeder Ort hat einen öffentlichen Brunnen. Doch muss das Wasser von dort in Eimern oder Kanistern nach Hause geschafft werden.

Die Sprache

Lauscht man einer Unterhaltung, wird man selten ein Wort verstehen, es sei denn, man beherrscht Kinyarwanda, eine Bantu-Sprache. 88 % der Ruander beherrschen nur diese Sprache. Kinyarwanda ist – neben französisch und seit 1994 englisch – Amtssprache. Kisuaheli, die in Ostafrika am weitesten verbreitete Sprache, wird nur vereinzelt gesprochen, ist in Ruanda eine Fremdsprache. In der Schule, für die in den ersten acht Jahren Schulpflicht besteht, findet sowohl der Unterricht als auch jede Prüfung seit einigen Jahren nur in Englisch statt. Es ist erklärtes Ziel der Regierung, die aus der Kolonialzeit stammende frankophone Prägung zugunsten von Englisch aufzugeben. Damit soll das Land besser den Anschluss an die übrigen ostafrikanischen Staaten finden.

Impressionen von unterwegs

Wir sind nun schon so viel im Land herumgefahren, haben vieles gesehen, doch einige besondere Eindrücke fehlen noch, z. B. zu sehen, wie ein Hirte eine Herde Ankolerinder (auch Watussirinder genannt) über die Straße zur Weide treibt. Diese Ankolerinder wurden traditionell von den Tutsi gezüchtet und waren ein Zeichen für ihre Macht und ihren Reichtum. Noch heute dienen sie zuweilen als Zahlungsmittel und je größer die Hörner sind, umso wertvoller sind sie.

Vielleicht haben wir unterwegs auf einem Reisfeld aus der Ferne kleine orangerote Punkte gesehen und beim Näherkommen festgestellt, dass das alles Menschen in einer einheitlichen, orange gefärbten Uniform sind. Diese Männer sind Gefangene, die aus welchem Grund auch immer zu einer Haftstrafe verurteilt wurden. Doch statt diese nur „abzusitzen“ müssen sie bei der Feldarbeit helfen.

Es gibt noch etwas, was wir auf dem Land unbedingt erlebt haben sollten, und zwar an einem beliebigen Sonntag! Man muss einfach gesehen haben, wenn sich am Sonntagmorgen Frauengruppen mit Kindern auf den oft kilometerlangen Weg zur Kirche machen, in ihre schönsten und buntesten Kleider gehüllt und bei Sonne oder Regen ihre bunten Schirme aufspannen. Die Ruander gehören überwiegend einer christlichen Religion an, doch viele haben sich auch neuen Kirchen, z. B. den Erweckungskirchen angeschlossen. Dann treffen sie sich in ihren Gotteshäusern, hören den überaus lauten, manchmal sogar über Lautsprecher nach draußen übertragenen Predigten zu, verweilen bei den oft stundenlangen Gottesdiensten und ihr Gesang ist weithin zu hören. Jeder Sonntag ist ein Feiertag, den die Männer gerne und früh am Tag mit einem Bier begrüßen.

Gemeinschaftsarbeit und Umweltschutz

Und dann gibt es noch den Umuganda-Day. Der findet am letzten Samstag jeden Monats statt – und ist ein staatlich verordneter und trotzdem von der Mehrzahl der Einwohner akzeptierter und praktizierter Gemeinschaftsarbeitstag. An diesem Tag werden mit vereinten Kräften Straßen ausgebessert, Bäume gepflanzt, es wird allgemein für Sauberkeit gesorgt und – als wichtigstes – die Genozid-Gedenkstätten instandgehalten.

Sicher tragen die Arbeiten dieses Tages auch dazu bei, dass Ruanda eines der saubersten Länder in Afrika ist. Und natürlich die Tatsache, dass es in Ruanda keine Plastiktüten gibt! Egal, wo man etwas kauft: alles wird in braune, stabile Papiertüten gepackt.

Autor: Gastautorin Barbara Huebscher