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Köln | Seit etwas mehr als zwei Wochen hat die SPD-Fraktion im Kölner Stadtrat einen neuen Vorsitzenden. Am heutigen Donnerstag haben wir mit dem Nachfolger von Martin Börschel gesprochen. Gelassen, und offen für sachliche Lösungsanlässe, ein Teamplayer, so will der Neue sich und die SPD im Stadtrat positionieren. Das gesamte Gespräch mit Christian Joisten finden Sie im Videointerview vor dem Historischen Rathaus in Köln, dass Andi Goral heute führte. 

Derzeit sind Sommerferien. Üblich ist, dass sich politische Parteien in der schulfreien Zeit weitgehend aus dem politischen Tagesgeschäft zurückziehen und sich in Ruhe auf die hektischen Herbst- und Wintertage vorbereiten. Nicht so die Sozialdemokraten: Erst gestern zwei Statements zu aktuellen politischen Themen, am heutigen Donnerstag ein langes und ausführliches Interview mit dem neuen Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Stadtrat. Die SPD und ihr neuer starker Mann haben sich Einiges vorgenommen.

„Ich stehe persönlich dafür, im Sinne von Köln und den Bürgerinnen und Bürger, von denen wir alle gewählt wurden, an konstruktiven Lösungen zu arbeiten. Das heißt gleichwohl nicht, dass wir nicht mit unserem Profil, unseren Vorstellungen und unseren Ideen nach außen treten und uns im Zweifel auch mal streiten. Aber in der Sache streiten, das ist mein Ziel, und eben nicht auf der persönlichen Ebene“, so das zentrale Ziel des neuen starken Mannes in der größten Kölner Ratsfraktion.

Nach dem Rückzug Martin Börschels nach 16 Jahren an der Spitze der Fraktion in Köln will Joisten vor allem mit Sachlichkeit und Gelassenheit auf die Hektik des politischen Alltagsgeschäfts reagieren. Aus seinen beruflichen Erfahrungen als Rettungssanitäter und Feuerwehrmann weiß er, wie wichtig es ist, auch in „Notfällen“ schnell und selbstbewusst zu agieren. Und angesichts der vielen Probleme in Köln sei dies auch notwendig. Joisten betonte, dass seine Fraktion immer schon ein Team war und es auch weiter bleiben werde. Und auch der neue Vorsitzende ist ein „Teamspieler“.

Als früherer Vorsitzender der Bezirksvertretung Porz könnte er zugleich nach der Ära Börschel durchaus auch neue Impulse für tatsächlich wechselnde Mehrheiten setzen, nachdem in den vergangenen Ratsfraktion die SPD bei vielen Anträgen und Abstimmungen von dem Gestaltungsbündnis von CDU und Grünen und weiteren Fraktionen und Gruppen überstimmt wurden. Angesichts des zuletzt wenig freundschaftlichen Verhältnisses führender Protagonisten von SPD und Grünen könnte Joisten tatsächlich „frischen Wind“ bringen, zumal er selbst über fünf Jahre mit den Porzer Grünen intensiv zusammengearbeitet hatte. Aber auch mit anderen, vor allem der CDU, gebe es große Gemeinsamkeiten.

Politische Arbeit beginnt nach den Sommerferien

In den meisten politischen und personellen Sachfragen, die nun anstehen, ist es für konkrete Aussagen noch zu früh, ebenso für die politischen Schwerpunkte in den anstehenden Rats- und Ausschusssitzungen. Bei der Abstimmung über den Haushalt 2019, der noch in diesem Monat in die Ratsfolge eingebracht werden soll, will sich Joisten mit seiner Fraktion konstruktiv, aber mit eigenen Schwerpunkten und Inhalten an den Beratungen beteiligen. Ähnliches gilt auch für die vielen anderen „Baustellen“ wie Kalkberg, Schulbau und Kita-Notstand und der zu geringen Bauleistung im Wohnungsbau, mit der sich die Bürgerschaftsvertretung in den kommenden Monaten beschäftigen muss.

Der SPD-Politiker will da vor allem pragmatisch agieren. „Wir müssen uns am Ende immer noch in die Augen schauen können und zu Kompromissen fähig sein. Und da hilft es, wenn man sich sehr intensiv um die Inhalte streitet, aber die Gürtellinie nicht aus den Augen verliert“, so sein Appell an den politischen Kontrahenten.

Bescheidenheit und der Zauber des Neuen

Auch in der so wichtigen Frage der Posten und Kontrollmandate in städtischen Gesellschaften nahm sich Joisten spürbar zurück. Ein Teamplayer weiß er, wie wichtig es ist, dass die einzelnen Mitglieder des Teams mit all ihren Stärken optimal zusammenwirken und wer sich für welche Aufgaben besonders eignet. So soll sein Vorgänger Börschel weiterhin dem Finanzausschuss vorstehen, gerade vor dem Hintergrund der nun anstehenden Haushaltsplanberatungen. Auch danach wolle er ihn nicht unbedingt beerben, müsse sich aber intensiver als bisher auch mit Themen wie Finanzen beschäftigen.

„Wir sind gut beraten, jetzt gemeinsam ein Stück zu gehen. Wie weit und in welcher Rollenverteilung wir die Unterstützung von Martin Börschel in Zukunft wahrnehmen werden, das besprechen wir mit ihm unmittelbar nach der Sommerpause“, stellte der gebürtige Kölner klar.

Auch bei der Frage, ob Joisten die zuletzt etwas schwierigen Beziehungen zwischen den verantwortlichen Protagonisten an der Spitze ihrer Fraktionen entspannen kann, ließ er offen. „Es mag sein, dass das bei einigen besser und bei anderen nicht so gut läuft. Wir werden sehen“, gab sich Joisten bescheiden.

Kölsche Mentalität und ein offenbar überraschend schneller Aufstieg

Der heute 46-Jährige wuchs im Kölner Stadtteil Mülheim auf und kennt die Kölner Mentalität seit seiner Kindheit. Sie ist auch der Schlüssel zur Integration, vermittelt sie auf der einen Seite den Kölschen ihr Heimatgefühl und auf der anderen Seite den Zugereisten eine Perspektive. „Das hat bisher gut funktioniert“, so Joisten, der neben dem Themenfeld Wirtschaft auch als integrationspolitischer Sprecher seiner Fraktion fungiert.

Trotz der Konlfikte zwischen SPD und dem Reker-Bündnis sei es nicht gut für Köln, wenn Frau Reker „zunehmend ein Stück weit allein zu Hause sei“. Das bezieht sich auf die angekündigten Veränderungen auf gleich drei wichtigen Positionen. Neben der Stadtkämmerin Gabriele Klug, die etwas abrupt in den Ruhestand verabschiedet werden soll, und Schuldezernentin Dr. Agnes Klein droht mit der Wahl von Dr. Harald Rau an die Spitze der baden-württembergische Stadt Offenburg der dritte Abgang innerhalb weniger Monate. Dabei hat die Stadt mit der Nachfolgerin bzw. dem Nachfolger von Ute Berg als Wirtschaftsdezernent(in) immer noch eine Vakanz aus dem vergangenen Jahr nachzubesetzen. „Angesichts der vielen Herausforderungen ist das keine gute Entwicklung“.

Zur Kölschen Seele gehört unzweifelhaft der Karneval. Hier zeigt sich, dass die Entscheidung, ihn zum Nachfolger Börschels zu machen, offenbar auch für ihn selbst vergleichsweise überraschend kam. Noch im Januar 2018 hätte er, darauf angesprochen, er würde 2019 am Tisch der Fraktionsvorsitzenden bei der Prinzenproklamation sitzen, ungläubig reagiert. Er wird dennoch und das mit Leib und Seele, ist der Sozialdemokrat doch seit vielen Jahren auch in zahlreichen Karnevalsvereinen aktiv. Bis dahin aber gilt es noch viele „Baustellen“ zu bearbeiten. „Ich rede da lieber von Herausforderungen als von Problemen“, gibt sich Joisten optimistisch.

Autor: Andi Goral