Berlin | Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hätte entgegen anders lautenden Bekundungen schon im Juni wissen können, dass sich ein steiler Anstieg der Asylbewerberzahlen anbahnt. Das geht aus Zahlen der behördlichen Datenbank „Easy“ hervor, die der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ vorliegen. Darin werden die ankommenden Flüchtlinge erfasst, noch bevor sie einen förmlichen Asylantrag stellen. Innenminister De Maizière nennt die Aufnahme unregistrierter Flüchtlinge eine „richtige Entscheidung“. Eine RTL-Umfrage sehen die Deutschen zusehends gespalten in der Flüchtlingsfrage und der ungarische Regierungschef Orban warnt vor einer „Islamisierung Europas“. Die Linke fordert von CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel die CSU in der Flüchtlingsfrage zur Räson zu bringen.

Nachdem die Zahl der dort registrierten Ankünfte von Januar bis Mai zwischen 31.000 und 39.000 pendelte, schoss sie im Juni auf fast 54.000 empor, berichtet das Blatt. Im gleichen Zeitraum wurden laut den bisher veröffentlichen Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aber nur knapp 33.000 Erstanträge auf politisches Asyl gestellt, was auch zeigt, dass den Behörden schon in diesem Monat die Kontrolle entglitt. De Maizière hielt trotzdem an seiner Prognose von Anfang Mai fest, es würden in diesem Jahr lediglich 400.000 bis 450.000 Flüchtlinge kommen.

Aus der Statistik geht außerdem hervor, dass die Zahl der Flüchtlinge aus den Ländern des westlichen Balkans inzwischen stark zurückgegangen ist. In nennenswerter Anzahl reisen nur noch Asylbewerber aus Albanien ein, auch hier hat sich die Zahl der Ankünfte jedoch von 17.346 im Juli auf 8.524 im August halbiert. Darüber hinaus trafen im August lediglich 2.159 Serben und 1.343 Mazedonier ein.

Der Kosovo, im Januar mit 8.680 Personen noch auf Platz eins, taucht unter den zehn wichtigsten Herkunftsländern gar nicht mehr auf. Insgesamt kamen im August nur noch gut zehn Prozent aller Flüchtlinge vom westlichen Balkan, im Januar waren es noch fast 50 Prozent. Die Flüchtlingshilfe-Organisation Pro Asyl wertet das als Zeichen, dass von einer Erweiterung der sicheren Herkunftsländer kein nennenswerter Rückgang der Flüchtlingszahlen zu erwarten ist.

Bisher hatte die Bundesregierung immer den Eindruck erweckt, eine rasche Rückführung der Balkanflüchtlinge könne das Asylproblem entschärfen.

De Maizière: Aufnahme unregistrierter Flüchtlinge war „richtige Entscheidung“

Innenminister Thomas de Maizière hat die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) verteidigt, Zehntausende Bürgerkriegsflüchtlinge unregistriert aus Ungarn nach Deutschland einreisen zu lassen. „Es war die richtige Entscheidung, um in einer humanitären Ausnahmelage vielen Flüchtlingen zu helfen und um die weitere Zuspitzung in einer Notlage zu verhindern“, sagte der Innenminister dem „Tagesspiegel“ (Sonntagausgabe). Er trat damit Vorwürfen der CSU entgegen, die Merkel eine historische Fehlentscheidung vorgeworfen hatte.

Zugleich machte de Maizière allerdings deutlich, dass die Aufnahme unregistrierter Flüchtlinge eine Ausnahme bleiben müsse: „Wir müssen jetzt schnell wieder zu den geregelten Verfahren zurückkehren.“ Nach den Worten de Maizières arbeiten die Sicherheitsbehörden daran, die Identität aller Flüchtlinge im Nachhinein festzustellen. „Wir sind auch dabei, diejenigen, die wir noch nicht erfassen konnten, möglichst schnell zu registrieren.“

Angesichts des großen Flüchtlingsandrangs und den Schwierigkeiten der Bundesländer bei der Aufnahme der Asylbewerber sagte de Maizière: „Wichtig ist, dass wir das Tempo verringern, in dem die Flüchtlinge nach Deutschland kommen.“ Dafür benötige Deutschland europäische Solidarität. Er werde beim Treffen der EU-Innenminister am Montag dafür kämpfen, dass „hier endlich etwas passiert“.

Umfrage: Deutsche in Flüchtlingskrise gespalten

Die Bundesbürger sind in der Flüchtlingskrise zunehmend gespalten: In einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag von „RTL Aktuell“ gaben 53 Prozent an, dass das Land den Zuzug von voraussichtlich 800.000 Flüchtlingen in diesem Jahr verkraften könne. 45 Prozent meinen hingegen, Deutschland sei mit der Anzahl der Flüchtlinge überfordert. Mehr als Dreiviertel (79 Prozent) der Bundesbürger glauben laut Forsa zudem, dass sich die Gesellschaft in Deutschland durch den Flüchtlingsandrang verändern werde.

Die Befragten, die an Veränderungen innerhalb Deutschlands durch den Flüchtlingsstrom glauben, erwarten mit 82 Prozent besonders häufig, dass es zu mehr Konflikten in der Gesellschaft kommen werde. Knapp die Hälfte (48 Prozent) derer, die von einer gesellschaftlichen Veränderung in Deutschland ausgehen, erwarten überdies, dass die Kriminalität steigen werde. 60 Prozent sind laut der Umfrage zugleich der Überzeugung, dass Deutschland durch den Flüchtlingszuwachs weltoffener und toleranter werde.

Linke: Merkel muss CSU in Flüchtlingskrise zur Räson rufen

Linken-Chef Bernd Riexinger hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aufgefordert, die CSU in der Flüchtlingskrise zur Räson zu rufen. „Nachdem bislang fast Jeder aus der CSU mit fragwürdigen Äußerungen über Flüchtlinge vorpreschen durfte, setzt Seehofer jetzt noch einen drauf und macht damit klar, dass die CSU sich systematisch als `Alternative für Bayern` mit einem strammen Rechtskurs profilieren will“, erklärte Riexinger mit Blick auf Äußerungen des CSU-Chefs Horst Seehofer, der die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin scharf kritisiert hatte. „Spätestens mit der Ankündigung, gemeinsam mit Ungarns Regierungschef Orban nach Lösungen suchen zu wollen, zeigt Seehofer eindeutig in welche Richtung es gehen soll.“

Es sei langsam Zeit, „dass Merkel sich der bedenklichen Rechtstendenzen ihres Koalitionspartners annimmt“, forderte Riexinger.

Orban warnt vor Islamisierung Europas

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban will einen eigenen Plan für die Lösung der Flüchtlingskrise vorlegen und warnt vor einer zunehmenden Islamisierung Europas: „Wir haben einen Plan, den ich den anderen Ministerpräsidenten der EU bei unserem nächsten Treffen vorlegen werde. Dazu gehört, dass wir die Nachbarstaaten Syriens mit massiven Finanzhilfen unterstützen“, sagte Orban der „Bild“ (Samstag). „Dazu gehören die Türkei, Libanon, Jordanien.“

Allein die Türkei leiste seit langer Zeit „Ungeheures in der Flüchtlingsfrage“, erklärte Orban. Die Europäer sollten daher „eigentlich jede Woche eine Messe für Präsident Erdogan lesen, unabhängig von verschiedenen politischen Ansichten. Wir dürfen Länder wie die Türkei nicht im Stich lassen und dabei dürfen wir nicht geizig sein.“

Die Hilfen für die Nachbarländer Syriens bezifferte der ungarische Regierungschef im Gespräch mit der Zeitung auf drei Milliarden Euro: „Ich schlage vor, dass jedes Land ein Prozent zusätzlich in den Haushalt der EU einzahlt. Zugleich senken wir die Ausgaben für andere Zwecke generell um ein Prozent. Das ergibt rund drei Milliarden, mit denen wir die Nachbarstaaten Syriens unterstützen können. Und wenn mehr Geld nötig ist, stocken wir die Hilfen auf – so lange, bis der Flüchtlingsstrom versiegt. Dieses Verfahren verhindert, dass wir unter einander endlos über Haushaltsfragen debattieren. Denn jetzt ist schnelle Hilfe nötig.“

Der ungarische Regierungschef warnte zugleich vor einer wachsenden Islamisierung Europas: „Durch Zuwanderung werden Muslime in absehbarer Zukunft in Europa in der Mehrheit sein. Wenn Europa einen Wettkampf der Kulturen zulässt, dann werden die Christen verlieren. Das sind die Fakten. Der einzige Ausweg für diejenigen, die Europa als christlichen Kulturkreis erhalten wollen, ist, nicht immer mehr Muslime hereinlassen. Aber darüber reden Europas Spitzenpolitiker nicht gern.“ Orban betonte zugleich, er persönlich sei ein „Verehrer“ des Islam: „Ohne die Philosophie des Islam wäre ein Teil der Welt längst der Barbarei verfallen.“

Bei der Zusammenkunft werde sich zeigen, ob alle Länder verstanden hätten, was für Europa auf dem Spiel stehe. „Wenn es nicht zu einer Einigung auf eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge per Quote kommt, wird es innerhalb der EU Abschottungen geben. Das wäre für das europäische Projekt ein herber Rückschlag.“

Autor: dts
Foto: Hinweis auf ein Registrierungszelt in einem Flüchtlingslager in Köln-Chorweiler