Da sitzt man, geboren in der Nachkriegszeit, behütete Kindheit, immer in Freiheit aufgewachsen und hört zwei Männer Ihre persönliche Geschichte erzählen. Geschichten von Unrecht, Verfolgung, persönlichem Mut, direkt und nah, nicht abstrakt. Jean Jülich, Kölner Edelweißpirat, zählt die Zahlen der verlorenen Freunde auf, inhaftiert wurden in Köln 150, als Sie nach Siegburg verlegt werden sind Sie noch 74, bei Ihrer Befreiung sind es noch 21 und von Ihnen kommen nach dem Krieg gerade mal 18 noch in Köln an. Diese nüchternen Zahlen werden aber lebendig, wenn Jean Jülich von seinem Freund erzählt, der ihm schon zu Beginn Ihrer Inhaftierung vorraussagt, daß sie das zum Großteil nicht überleben werden.


 


Jean Jülich kam er am Anfang mehr zufällig zu den Edelweißpiraten, eigentlich unpolitisch, Hierarchiegehabe und Befehlsgehorsam in der Hitlerjugend sind ihm zuwider, da trifft er in Sülz auf eine Gruppe junger Leute mit langen Haaren, die sich regelmäßig treffen, keinen Chef brauchen. Sie kleiden sich anders, Jean Jülich bezeichnet das als „lebende Litfaßsäulen“, sie betreiben Opposition, prügeln sich mit der HJ. Sie besorgen sich Informationen, tun sich mit ehemaligen Zwangsarbeitern die entflohen sind zusammen, planen subversive Aktionen, wie dem Sprengen des Glasdaches einer Rüstungsfabrik. Nachts gehen Sie auf Raubzüge um sich Ihr Essen zu besorgen, die untergetauchten Zwangsarbeiter bekamen ja keine Essensmarken. Sie werden verhaftet. Im EL DE Haus sieht er als er in den Keller hinabgestoßen wird einen blutüberstömten Mann. Die gleichen Gestapo Männer, die schon seinen Vater verhaftet haben, quälen nun ihn. Kütter, Höger und Schiefer. 5 seiner Freunde werden in der Schönsteinstraße öffentlich am Galgen hingerichtet. Jean Jülich erzählt, wie sie beim Apell immer wieder mit den Händen auf den harten Schlackeboden des Hofes knallten und er sich dabei verletzte. Als er versuchte mit den Händen ins danebenliegende Gras zu fallen, wurde er von Kütter daran gehindert, mit den Worten: „Du liegst da auch bald drunter“.


 


Jean Jülich selbst sagt, wir waren junge Menschen die aus dem Bauch heraus gehandelt haben, die gefühlt haben, da stimmt was nicht. Sie waren unpolitisch. Besonders schlimm ist aber dann der Umgang mit den Edelweißpiraten in der Bundesrepublik. Sie werden totgeschwiegen, viel schlimmer noch Sie werden als Verbrecher denunziert, das sind doch „Krade, Mob, Kriminelle“. Die Republik versagt Ihnen die Würdigung, nein, noch viel schlimmer, sie führt sie bis in die 70er Jahre hinein vor. Die Eltern von Barthel Schmitz, seinem Freund, stellen einen Antrag auf Widergutmachung, nicht des Geldes wegen, sondern um die Ehre Ihres Sohnes wiederherzustellen. Nach langem Warten, kommt die Ablehnung aus dem Regierungspräsidium Köln, und die ist unfassbar: „Barthel Schmitz, von mittlerer Intelligenz, konnte das Wesen des Nationalsozialismus nicht geistig durchdringen, folglich ist er kein Widerstandskämpfer gewesen.“


 


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Nun muß man wissen, daß zu dieser Zeit, schon vieles bekannt war, die Bläck Föös hatten ein Lied zu den Edelweißpiraten veröffentlicht, das Schauspielhaus ein Theaterstück veröffentlicht. Und Barthel Schmitz, posthum, Jean Jülich persönlich sind nach Israel eingeladen worden und wurden beide in Yad Waschem als Gerechte ausgezeichnet. Trotzdem erlaubte sich das damalige Kölner Regierungspräsidium eine solche, widerliche und unverschämte Herabwürdigung. Aber es sollte noch schlimmer kommen, das ist im übrigen Bundesrepublikanische Wirklichkeit, über die heute immer noch viel zu wenig in der breiten Öffentlichkeit geredet wird: Die Eltern klagten gegen diesen Bescheid des Regierungspräsidenten und im Prozeß wurden die ehemaligen Nazi Schergen Höger und Schiefer als Zeugen gehört. Das ist unfaßbar. Auch in einer Fragestunde des Landtages wurde der Widerstand der Edelweißpiraten als nicht von hoher politischer Ethik getrieben eingestuft. Widerstand, unterteilt nach Klassen. Jean Jülich mußte sich noch von Dr. Dette, der ihn in die Kölner Widergutmachungsbehörde eingeladen hatte, als Krad und Mob bezeichnen lassen! Wie abgestumpft muss man als Schreibtischtäter sein, um zu solchen Einschätzungen zu gelangen.


 


 


Joachim Gauck ging in seiner Rede sehr stark auf diesen Teil ein und forderte eine Neubesichtigung des Plateaus der Würdingung von Widerstand. Und fordert alle auf alle Gerechten dieser Welt zu finden, ihre Geschichte zu hören und da die Gerechten ja in absehbarer Zeit verstummen werden, Ihre Geschichten weiter zu erzählen und zu tragen.


 


Auch die Geschichte von Heini Fritsche beginnt in der Nazi Zeit. Und sie erzählt auch eine eigene Geschichte aus der Zeit der DDR und vor allem auch aus den Gründerjahren der DDR-Diktatur, die häufig von westdeutschen linken Intellektuellen sehr verklärt dargestellt wird. Heini Fritsche wird 1929 in Leipzig geboren. Vater, Kaufmann, Mutter SPD nah, früh schon fühlt er sich der SPD hingezogen, hier spürt er mehr Wärme, Menschlichkeit. Auch vielleicht weil er schon sehr früh von seinen Großeltern erzogen wird, Großvater ist SPD Funktionär. Dies als die Mutter früh stirbt und der Vater an die Front geht.


 


Der Großvater verdankt sein Leben einem Leipziger Kripobeamten der für ihn die sogenannte Loyalitätserklärung unterschrieb. In der Nazizeit, hört er Radio Saarbrücken, Radio Paris, Radio London, schreibt auf seiner Schreibmaschine die Sendezeiten von Radio London auf und schickt Sie in Zusammenarbeit mit seinem Großvater bevorzugt an Nazis. Der Großvater, Berufsverbot, schreibt anonym an Redaktionen und greift deren journalistische Haltung an. Nach der Reichskristallnacht, geht er mit seiner Oma durch Leipzig, die immer nur sagt: „Diese Schweine, diese Schweine…“. Zum Ende des Krieges ist er außerhalb von Leipzig, in Grimma an der Mulde, der Demarkationslinie zwischen den russischen und amerikanischen Truppen. Der Ortsgruppenleiter von Grimma, schützte die jüdische Familie Ephraim und brachte Sie durch den Krieg.


 


Nach 1945 machte Heini Fritsche Abitur, wollte studieren, dies wurde ihm verwehrt. Sein Großvater als SPD Mann wird von Richter Trautsch zu 7 Jahren Haft verurteilt. Auf dem Arbeitsamt trifft er die gleichen Menschen, die vorher unter der Hakenkreuzfahne dort auch schon gesessen haben. Nur die Fahnen wurden ausgetauscht. Er übersetzt einen Artikel aus Readers Digest, wird aus dem Unterricht geholt, kommt vor ein sowjetisches Besatzungstribunal, dort wird ihm sein Text abgetippt vorgelegt. Er behauptet er war es nicht, schließlich waren seine Notizen handschriftlich. Einer seiner Mitschüler hatte ihn denunziert.


 


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Nach dem Abitur wurde er zwangsverpflichtet zur Wissmuth. Dort wurden 400 000 Menschen konzentriert. Er musste seinen Pass abgeben und war somit der Willkür der sowjetischen Besatzungsmacht ausgesetzt. Eigentlich wollte er nach Westberlin, sein Großvater hatte ihn überredet zu bleiben, er geht zu Kriminalpolizei. Und dort erlebt er am eigenen Leib die Wiederaufrüstung der DDR mit. Er kommt zur Ernst Thälmann Bereitschaft. Dort stehen Schützenpanzer mit den Abzeichen des Deutschen Afrika-Corps. Und anstatt zu Polizisten ausgebildet zu werden, bekommen Sie Wehrkunde und lernen, wie soll es anders sein Marschieren und exerzieren an schwerem Gerät. Dann wird er nach Zentralberlin versetzt und kommt zur Artillerie. Und das zu einer Zeit vor 1950! Die Führung sagte Ihnen in wenigen Wochen könnten Sie in Köln, Frankfurt stehen, hier wurde offensichtlich der Krieg vorbereitet.


 


Heini Fritsche machte sich auf den Weg nach Westberlin. Zum RIAS. Dort traf er den Journalisten Herz. Er übergab ihm vertrauliches Material über die Wiederbewaffnung der DDR, sein Freund Franz arbeitete damals in der Verschluß-Sachenabteilung. Er bestand darauf, dieses Material ausschließlich für die Pressearbeit zu verwenden und auf keinen Fall für Spionagezwecke. Heini Fritsche arbeitete auch nicht für Allierte Geheimdienste, auf diese Feststellung besteht er bis heute. Er gelang damals zu der Überzeugung, die sowjetischen Besatzer das sind keine Befreier, sie benutzen die gleichen Gefängnisse und Lager, genau wie die Braunen. Also statt Braun, jetzt rot.


 


14 Tage bis zur Wahl der ersten Volkskammer am 15. Oktober tickerte der Fernschreiber: „bis zur Wahl der Volkskammer durften die „Polizeieinheiten“ nicht mehr mit Sonder-KFZ (=Panzer) und schweren Maschinenwaffen (=Artillerie) ausrücken“. Dieses Fernschreiben, brachte Heini Fritsche noch in der gleichen Nacht mit einem Paddelboot in der Nähe der Glienicker Brücke über die Spree. Im Gasthaus Westberlin traf er Peter Herz, der eine Waffe trug. In der gleichen Nacht gegen 2:00 Uhr morgens sendete der RIAS Berlin diesen Befehl. Im Hauptquartier warf man zwie junge Sekretärinnen dafür raus, weil man glaubte, das die Tickermeldung, die die beiden einfach in den Mülleimer geworfen hatten auf diesem Weg in den Westen gelangt waren. Grotewohl verkündetet zum gleichen Zeitpunkt: „Schwere Panzer, so was gibt´s in der Deutschen Demokratischen Republik überhaupt nicht.“


 


Das Paddelboot wurde noch oft genutzt, auch um Flugblätter in einem Koffer zu transportieren, Heini Fritsch als Polizist konnte natürlich gut und unerkannt weiterleiten. Trotzdem flogen sie auf. Verhaftung. Er kommt in einen der schlimmsten Gulags in der Sowjetunion: Workuta. Das stand schon vor seinem Prozeß fest. Feststellen konnte er das anhand der Stasiunterlagen die es über ihn gibt. Trotzdem sagt er habe er Glück gehabt, seine Kameraden in den DDR-Knästen wären da viel schlimmer dran gewesen: „Die Deutschen sind brutal, die Sowjets nur grausam“.


 


Dazu erzählt er eine Geschichte, er kam in den Kältekarzer, splitternackt bei unter 0 Grad. Er war bereits blaugefroren, als so gegen 22:00 Uhr ein sowjetischer Soldat die Türen schloß und die Heizung anstellte und ihm etwas zu essen brachte. Und damit es niemand auffällt stand der Soldat noch Schmiere.


 


Nach seiner Freilassung ging Heini Fritsche 1945 nach Westdeutschland. Fritsche beklagt den bis heute anhaltenden verklärten Blick auf die Realität der DDR. Für ihn war und ist die DDR die Tyrannei der Parteischicht über das arbeitende Volk.


 


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Diese bewegenden Geschichten veranlassten Joachim Gauck, dazu seinen Vortrag umzustellen um auch direkter auf das jetzt Gehörte einzugehen und vor allem die Frage zu stellen, was qualifiziert Widerstand, wie wird Widerstand. Auch Gauck beginnt mit zwei Beispielen, der Swing Jugend in Hamburg, die von den Nazis verfolgt wurden und so dargestellt wurden: staatsfeindlich, degeneriert, kriminel, mischblütig, musikalische Gangsterbands, die die gesunde Bevölkerung mit ihren musikalischen Exzessen terrorisieren. Hier wird ein Stück Subkultur zum Politikum. Er erinnerte an die Werwölfe, die in der DDR nicht existent waren und dennoch mußten 95 Menschen sterben, weil die Parteifühurng und Besatzermacht das so glauben wollte. An Arno Esch, einen Mann der sich in der LDP engagiert hatte und obwohl das legal war erschossen wurde.


 


Gauck ermahnte uns alle, daran dies nicht zu vergessen, zu übersehen. Er selbst kannte den Fall Esch jahrelang nicht, obwohl das in seiner Heimatstadt Rostock passiert ist. Er stellte klar, daß die DDR und sowjetische Besatzungsmacht, gerade auch bis 1950, nicht nur Akten, sondern auch tausende von Toten hinterlassen hat. In Gaucks Vortrag fallen viele Namen und Ungerechtigkeiten, Ammer, der Eisenberger Kreis. Aber er sagt auch es gibt viele Unentdeckte, da gab es Widerstand bei den Studenten um Ernst Bloch, Gunther Zeh, Georg Urbach.


In den Kirchen, Aktionen wie Bäume pflanzen, der Versuch an die Progrome der Nazis zu erinnern, indem man jüdische Friedhöfe besuchte und pflegte. All dies war für die Kommunisten bereits subversiv.


 


Wie entsteht Widerstand? Es ist die eigene innere Wahrheit die man erkennen muss und das Erkennen von gesellschaftlichen Misständen. Gauck formulierte es so: „ Die Distanz zur Norm ist der erste Schritt auf dem Weg zum Widerstand“. Und hier spricht Gauck vor allen Dingen auch Jean Jülich an, mit „lieber Pirat“: „gab es einen verwaisten Lehrstuhl an einer deutschen Uni in der Nazizeit: Nein, die Mediziner in den Konzentrationslagern, die Juristen“ und verweist so eindrucksvoll auf das Fehlen des Widerstands in der bürgerlichen Klasse. Er geht sogar einen Schritt weiter: „ Bei den Intellektuellen ist es oft so, mehr Argumente für die Ausrede fehlender Zivilcourage zu suchen, als dafür.“


 


Von der politischen Klasse fordert Gauck, nicht nur vollkommene Menschen auf den Altar zu heben, sondern den „Gedächtnishaushalt“ aller Formen des Widerstand zu erhalten. Und wir sollen allen die Widerstand geleistet haben unseren Respekt und Dank entgegenbringen. Hier kam auch der klare Hinweis auf die Würdigung der Deserteure der Wehrmacht, die bis heute nicht stattfindet.


 


„Wir haben eine Wahl“, das ist die Erkenntnis für Gauck aus dem blutigen letzten Jahrhundert. Und anzuerkennen, das das Verrückte oftmals das Normale ist. Und er mahnte den Gerechten, die noch leben aufmerksam zuzuhören und Ihre Geschichten weiterzuerzählen.


 


Diesem wollen wir hier ein wenig nachkommen, wir konnten nicht alle Namen nennen und alle Schicksale erzählen, der Artikel ist uns sowieso zu lange geraten. Eine Veranstaltung im EL DE Haus , die ergreifend war, die wahr war und die Mut macht.