Blick auf den Wunderblock auf dem Friesenplatz. Foto: Bopp

Köln Die Kunstaktion „Wunderblock oder Das Imaginäre Archiv“ auf dem Friesenplatz.

Ein Archiv ist ein Ort, in dem die Dinge stets linear nach Daten, Personen oder Themen geordnet sind. Das war auch bei Historischen Archiv der Stadt Köln an der Severinstraße so. Dann kam der Einsturz und die Ordnung wurde von einem Moment auf den anderen einfach ausgelöscht. Die unterschiedlichsten Archivalien fanden bei der Katastrophe unfreiwillig zueinander und gerieten in einen neuen Kontext, was neue Assoziationen möglich machte.

Dieser Einsturz und der Einzug in ein neues Archivgebäude war für das Köln-Berliner Kollektiv „Mythen der Moderne“ der Impuls zu ihrer Kunstaktion „Wunderblock und Das Imaginäre Archiv“, die an diesem Donnerstag, 13. Oktober, ab 8 Uhr auf dem Friesenplatz startet und die noch bis zum kommenden Sonntag, 16. Oktober, 21 Uhr, läuft.

Muss die Institution Archiv neu gedacht werden?

Das klassische Archiv hat die Aufgabe, das kollektive Gedächtnis der Bürger und der Stadt abzubilden. Ein schwerwiegendes Ereignis wie der Einsturz in Köln wirft für die Künstler die Frage auf, ob die klassische Form der Dokumentation überhaupt noch zeitgemäß und sinnvoll ist. Wie wollen die Menschen in Zukunft an das Vergangene erinnert werden?

Durch die Kunstaktion mitten im urbanen Raum beschäftigt sich das Kollektiv mit diesen Themen und Fragestellungen, die besonders in einer Stadt, die gerade ihr kollektives Gedächtnis auf einen neuen Weg bringt, eine große Relevanz hat.

Auf Basis von schriftlichen sowie audiovisuellen Archivalien und Dokumenten aus Köln, zu denen vor Ort auch Beiträge und Objekte der Kölner Bürger kommen, soll mit künstlerischen Mitteln ein neuer Erinnerungsraum entstehen, in dem dem Archivieren und dem Stadtgedächtnis neue Facetten verliehen werden. Die Ergebnisse der viertägigen Dauerperformance werden zum Abschluss dem Kölner Stadtarchiv übergeben.

Die Macher des „Wunderblocks“: die künstlerische Leiterin Pia Janssen, Autorin Bettina Erasmy und Komponist Hannes Strobl (v.l.). Foto: Bopp

Das imaginäre Archiv auf dem Friesenplatz unweit der Limburger Straße besteht aus zwei gläsernen, mit Regalen und audiovisueller Technik ausgestatteten Containern. Nach Einbruch der Dunkelheit werden die Glaswände als Display für Videos, Diaschauen und live gefilmte Aktionen dienen.

Während Aktion ist eine von Hannes Strobl komponierte Klanginstallation zu hören, die sich mit den Geräuschen des Friesenplatzes vermischt. Die Installation besteht aus Alltagsgeräuschen, wie dem Klang von Kirchenglocken, Tönen aus der U-Bahn oder Sirenen, die in den vergangenen Jahrzehnten gesammelt und archiviert worden sind.

Der Protagonist ist die als männlicher Archetyp konzipierte Kunstfigur des „Ewigen Archivars“. Diese wird in Acht-Stunden-Schichten durchgängig bis zum Sonntagabend von elf Schauspielern übernommen. Diese agieren so rund um die Uhr mit dem umfangreichen Material aus den letzten originalen Archivboxen des Historischen Archivs.

Auch Kölner Bürger können Objekte und Beiträge beisteuern

Dieses besteht aus Texten und Bildern sowie audiovisuellen Medien und stammt aus den verschiedenen Archiven der Stadt und aus dem Internet. Auch mehrere Super-8-Urlaubsfilme aus einem privaten Archiv stehen zur Verfügung. Ergänzt wird dieses Material durch den persönlichen Input der Kölner vor Ort. Die zur Verfügung stehenden Materialien sind nach aktuellen Themen wie Kultur, Tourismus, Alltag, Migration, Diversität, Gender oder Postkolonialismus geordnet.

Mit einer völlig freien Improvisation stellen sie ihre Sichtweisen auf Biografien, historische Fakten sowie Erzählungen her. Im Prozess des Entdeckens und Ausprobierens wird Dokumentarisches umgedeutet, in andere Zusammenhänge gebracht und neu definiert. Jeder Performer findet so seinen ganz eigenen Zugang zu der Vielfalt an historischen, soziologischen und künstlerischen Inhalten und thematisiert damit den Wert und die Formen des Erinnerns und Archivierens.

Zuschauer sind am Friesenplatz immer willkommen

Die Menschen vor Ort sind dazu eingeladen, diesen Prozess zu beobachten und zu erleben. Auch eine Interaktion mit dem Performer ist nicht ausgeschlossen. Zu hören sein werden zudem die Selbstgespräche oder das Murmeln der Performer bei ihrer Arbeit im Glaskasten. Neben den schriftlichen Archivalien werden die Schauspieler außerdem extra für dieses Projekt von Autorin Bettina Erasmy verfasste Texte sprechen.

Die Installation im doppelten Glascontainer aus analogen und digitalen Bildmedien von Pia Janssen thematisiert die Materialität der analogen Bildmedien im Vergleich mit der homogenen digitalen Bildproduktion: Das Material formt und verändert unsere Erinnerung.

www.mythendermoderne.art