Das Auktionshaus Sotheby’s, wo Richter-Arbeiten in den vergangen Jahren immer wieder zu Rekordpreisen versteigert worden sind,  taxiert das 1997 entstandene Doppelbild, eine übermalte Photographie, sehr zurückhaltend auf mehr als 20.000 Euro. Am 30. Juni soll es bei Sotheby’s in London unter den Hammer kommen. Den Katalog zur Auktion finden Sie  hier: http://www.sothebys.com/minisite/pdf/L11023/flash.html

Die Serpentine Gallery ist seit einigen Jahren nach der Tate Gallery der wichtigste Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst in London. Nach eigenen Angaben besuchen jährlich 800.000 Besucher das Ausstellungszentrum in den Kensington Gardens, einer Verlängerung des Hyde Parks im Westen Londons; allein die Ausstellung des deutschen Photo-Künstlers Wolfgang Tillmans sollen 2010 in zwölf Wochen über 200.000 Besucher gesehen haben. (Zum Vergleich: Das Museum Ludwig in Köln besuchten im ganzen Jahr 2009 nach offiziellen Zahlen knapp 248.000 Kunstinteressierte.)

International bekannt machte sich die Serpentine Gallery auch mit einer anderen Aktion: Seit dem Jahr 2000 bietet die Serpentine Gallery jedes Jahr einem der weltweit führenden Architekten die Möglichkeit, auf dem Gelände einen temporären Pavillon zu bauen. Die Liste der bislang eingeladenen Architekten liest sich wie das Who’s who der zeitgenössischen Architektur: Zaha Hadid (2000), Daniel Libeskind (2001), Oscar Niemeyer (2003), Rem Koolhaas (2006), Frank Gehry (2008), Jean Nouvel (2010) etc. Den diesjährigen Pavillon, der vom 1. Julli bis 16. Oktober 2011 in Funktion sein wird, gestaltet der Schweizer Stararchitekt Peter Zumthor.

Zeitgleich zu den Olympischen Spielen in London im nächsten Jahr will die Serpentine Gallery ein neues Ausstellungsgebäude, die Serpertine Sackler Gallery eröffnen. Dafür sucht sie nun Geld. Viele international namhafte Künstler unterstützen das Projekt, indem sie dem Ausstellungszentrum eigene Arbeiten schenken, insgesamt 46 Arbeiten, deren Versteigerung mehrere Millionen Euro einspielen dürften.

Sichtbar drückt sich hier auch die Dankbarkeit vieler Künstler mit der Serpentine Gallery aus, deren Ausstellungen oft wichtige Meilensteine ihrer Karriere waren, manchmal sogar den internationalen Durchbruch bedeuteten. Umstrittene Künstler wie der US-Amerikaner Jeff Koons (2009) oder der Japaner Takashi Murakami (2002) bekamen hier wegweisende Einzelausstellungen. Der heute durch seinen in Formaldehyd eingelegten Tigerhai (1991) und den mit mehreren Tausend Diamanten besetzten Totenschädel (2007) weltweit bekannte britische Künstler Damien Hirst hatte 1994 in der Serpentine Gallery seine weltweit erste Einzelausstellung; eine weitere Ausstellung im Jahre 2006 zog über 90.000 Besucher an. Chris Ofili hatte 1998 als 29-Jähriger in der Serpentine Gallery eine Einzelausstellung – er bekam noch im gleichen Jahr mit dem Turner Prize den wichtigsten Kunstpreis in Großbritannien.

Zufall oder nicht, gerade Werke dieser Künstler taxiert Sotheby’s sehr hoch, zum Teil auf mindestens 200.000 bis 300.000 Euro.

Doch Obrist ist weit mehr als der Co-Direktor der Serpentine Gallery. Der heutige 43-jährige Schweizer, der als 23-jähriger Nobody seine erste Ausstellung in seiner privaten Küche in St. Gallen organisierte, ist ein weltweit aktiver Ausstellungsmacher, den das Kunstmagazin "Art-Review" auf seinem einflussreichen jährlichen Ranking ("The ArtReview Power 100") der weltweit einflussreichsten Persönlichkeiten der Kunstszene 2009 als Nr 1 und 2010 als Nr 2 führte.

Obrist, der sich selbst als Ermöglicher sieht, hat in den letzten zwanzig Jahren angeblich über 150 Ausstellungen weltweit organisiert und kuratiert, an den internationalen hot spots Paris, London, Berlin, München, Wien, Zürich, Venedig, Rom und Moskau genauso, wie an ungewöhnlicheren Orten wie Reykjawik und Helsinki, Dakar (Senegal), Guangzhou (China), Seoul und Tokyo, Ljubljana (Slowenien) und Mexico City.

Gegenwärtig läuft in Berlin die von Obrist mitkuratierte große Überblicksschau über die aktuelle Berliner Kunst-Szene „based in Berlin“.

Dass der Kunststar Gerhard Richter gerade dem Starkurator Obrist ein Geschenk macht, kommt sicher nicht von ungefähr.

Angeblich kennen sich Obrist und der fast vier Jahrzehnte ältere Richter seit 1985 – da wäre Obrist erst 17 gewesen. Was den Auslöser für die bis heute bestehende langjährige Verbundenheit gegeben hat, bleibt im Unklaren.

Fest steht jedenfalls, dass Obrist 1992 als in der Kunstwelt weitgehend unbekannter 24-Jähriger, seine erste Gerhard Richter-Ausstellung im Nietzsche Haus in Sils Maria (Schweiz) organisierte. Ein Jahr später (1993) gab er dann einen Band mit Richter-Texten und Interviews heraus. Und über die Jahre folgten immer weitere Projekte – Bücher, wie der 1996 im Cantz-Verlag erschienene Titel "Gerhard Richter, 100 Bilder" und Ausstellungen.

Die Serpentine Gallery zeigte Ende 2008 die Richter-Ausstellung „4900 Colours: Version II“, die unmittelbar mit dem Richter-Fenster im Kölner Dom (fertig gestellt 2007)

korrespondierte: Wie beim Dom-Fenster beruhen auch die hier ausgestellten 49 Gemälde mit jeweils 100 Quadraten (vermeintlich) auf dem Zufallsprinzip, das zur ungeplanten/unbeeinflussten Anordnung der Quadrate zu einem vielfarbigen Gesamtbild führt.

Ein Video über die Ausstellung, das auch Gerhard Richter und Hans-Ulrich Obrist beim Aufbau zeigt, finden Sie hier: http://www.serpentinegallery.org/2008/06/gerhard_richter4900_colours_ve.html

Auch das jetzt von Gerhard Richter der Serpentine Gallery geschenkte Werk hat einen direkten Bezug zu Obrist. Das "20.05.07./21.05.07" betitelte Doppelbild entstand in der für Richter typischen Technik der mit Ölfarbe übermalten Photographie auf der Grundlage eines Photos von Hans-Ulrich Obrist. Es steht im Zusammenhang mit der Arbeit an dem im Kölner Verlag der Buchhandlung Walter König im letzten Jahr (2010) erschienen Künstlerbuch "Gerhard Richter: Obrist – O’Brist", das wohl auch Ausdruck einer langjährigen Verbundenheit sein soll.

„Der Text wurde mithilfe eines Zufallsgenerators aus englischsprachigen, von Hans Ulrich Obrist geführten Interviews generiert und ohne Einzüge und Absätze flächig gesetzt“, entnimmt man dem Klappentext – einer Vorgehensweise, die der Konzeption des Kölner Domfensters ähnelt. Die künstlerische Sinnhaftigkeit erschließt sich nicht jedermann; ob bei dem Buch tatsächlich ein künstlerischer Mehrwert entstanden ist oder ob es sich doch um eine leicht eitle Spielerei handelt, mag jeder selbst entscheiden.

Mit Köln verbindet Obrist neben seiner Zusammenarbeit mit Gerhard Richter vor allem der Verlag der Buchhandlung Walter König, in dem mehrere seiner Bücher erschienen sind. Aber auch mit Kasper König, dem Direktor des Kölner Museum Ludwigs, hat Obrist gemeinsam einige Projekte realisiert, darunter die Ausstellungen "Paris-Hamburg-Frankfurt: Neue Kunst in Hamburg" im Kunstverein Hamburg 1994 und "Der Zerbrochene Spiegel" in der Kunsthalle Wien und den Deichtorhallen in Hamburg (1993/94).

Man könnte sich Obrist auch als perfekten Nachfolger für Kasper König vorstellen, wenn der 2012 seinen Chefsessel räumt. Einen besseren Mann dürfte Köln nicht finden können.

Christoph Mohr
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