Das Projekt "Nürnberg 2.0" plant den "Aufbau einer Erfassungsstelle zur Dokumentation der systematischen und rechtswidrigen Islamisierung Deutschlands und der Straftaten linker Faschisten zur Unterdrückung des deutschen Volkes", um die Verantwortlichen "zur Verantwortung zu ziehen". In Nürnberg wurden auch 24 Todesurteile verhängt. Auf der Liste stehen unter anderem die Namen des SPD-Innenexperten Sebastian Edathy, des CDU-Außenpolitikers Ruprecht Polenz sowie der Grünen-Vorsitzenden Renate Künast. Edathy und Polenz wollen gemeinsam gegen solche Seiten vorgehen. Polenz sagte der "Mitteldeutschen Zeitung" vor dem Hintergrund der Anschläge in Norwegen: "Wir müssen über den Zusammenhang zwischen Unworten und Untaten neu nachdenken. Man darf verbale Gewalt nicht hoffähig werden lassen, wenn man reale Gewalt ächten will."

Das Bundeskriminalamt erklärte die Website in der vergangenen Woche laut der "Mitteldeutschen Zeitung" für im Prinzip unbedenklich. "Abgesehen von der Androhung eines entsprechenden Verfahrens lassen sich der Internetseite keine Drohungen gegen den oben genannten Personenkreis entnehmen", schreibt das BKA. "In der Regel werden derartige Listen genutzt, um Angehörige des jeweiligen anderen politischen Lagers öffentlich im Internet oder in Szenepublikationen bloßzustellen und zu verunsichern. Eine für den genannten Personenkreis bestehende konkrete Gefährdung lässt sich aus den Internetinhalten nicht ableiten und wird daher derzeit nicht gesehen." Die Expertise schränkt allerdings ein, es bestehe "auch bei der aktuellen Aktion das Risiko verbaler Attacken oder vereinzelter Sachbeschädigungen".

Report-k.de: Sehr geehrte Frau Akgün, wie fühlt es sich an, auf dieser Seite in einer "Akte" mit persönlichen Date und sogar einem Foto aufgeführt zu werden?  Fühlen Sie sich durch die Seite bedroht?
Lale Akgün, Kölner Politikerin (SPD): Zuerst war es ein ganz merkwürdiges Gefühl auf einer Seite  aufgeführt zu werden, auf der ich „angeklagt“ werde, weil ich den Islam für demokratiekompatibel halte. Als ich sie mir jedoch etwas genauer anschaute,  merkte ich, wie  dämlich die Seite ist.  Bei mir herrscht weniger das Gefühl der Bedrohung, sondern ein Gefühl der Wut. Besonders wütend werde ich, weil die Betreiber dieser Seite mit der Überschrift „Nürnberg 2.0“  eine Assoziation mit den Nürnberger Gerichten herstellen wollen. Können Sie sich diese Widerwärtigkeit vorstellen? Was wollen sie damit der Gesellschaft sagen? Dass jetzt die Stunde der Abrechnung kommt? Darüber sollten wir diskutieren.  Auf der anderen Seite bin ich in guter, sehr guter Gesellschaft; viele von den  Menschen, die mit mir auf der „Anklagebank“ sitzen, sind mir persönlich bekannt, mit einigen bin ich eng befreundet.

Werden Sie gegen Ihren Eintrag oder die Seite allgemein vorgehen?
Ach, das ist doch genau das, was diese Leute wollen; dass man sich mit Ihnen beschäftigt. Sollen sie sich über mich und andere liberale Menschen aufregen, als überzeugte Demokratin halte ich so ein paar dahergelaufene Rassisten gut aus.

Das Bundeskriminalamt erklärte kürzlich, die Seite im Prinzip für unbedenklich zu halten. Denn laut BKA lasse sich von der Seite keine konkrete Gefahr ableiten. Wie stehen Sie zu dieser Stellungnahme?
Ich bin keine Kriminalistin, ich kann das nicht beurteilen. Es  ist gut möglich, dass von dieser Seite keine Gefahr ausgeht; ehrlich gesagt, interessiert mich das auch nicht besonders, ich habe bis jetzt so viele Drohungen erhalten, auf diese eine Drecksseite kommt es auch nicht mehr an. Ich denke, wir sollten uns auch nicht mit der Gefahr beschäftigen, die von solchen  Seiten ausgeht, sondern mit dem Geist, den sie spiegeln.  Und mit der Frage, wie viel Gift sie in die Atmosphäre spritzen, um das Klima des Zusammenlebens zu vergiften. Solche Seiten werden dann zur wirklichen Gefahr, wenn sie es schaffen, die Gesellschaft zu spalten; zum Beispiel in Muslime und Nicht-Muslime.

Wie sollte Ihrer Meinung nach die Politik und Öffentlichkeit mit Seiten dieser Art umgehen?
Ich bin der Meinung, dass wir öffentlich dagegen halten müssen. Ich persönlich will in nächster Zeit sehr viel mehr mit meinen Thesen an die Öffentlichkeit gehen. Es kann gar nicht oft genug wiederholt werden, dass  Islam und Demokratie selbstverständlich kompatibel sind, dass Muslime genauso Demokraten sind wie Nicht-Muslime und dass nicht jeder muslimische Mann ein Macho ist. Mit einem lebendigen Beispiel lebe ich seit 26 Jahren zusammen:  mein Ehemann ist ein gläubiger Moslem und ein sehr liebenswerter Partner.

Sehr geehrte Frau Akgün, wir danken Ihnen für dieses Gespräch

[cs, Foto: Deutscher Bundestag | Anke Jacob]