Köln | Vom 27. August bis 2. November 2014 zeigt das NS-Dokumentationszentrum Köln (NS-DOK) eine groß angelegte Ausstellung des 2008 verstorbenen NO!Art-Künstlers und KZ-Überlebenden Boris Lurie. Die Ausstellung ist die erste umfassende Werkschau seiner frühen Schaffenszeit der 1940er und 1950er Jahre, darunter auch bisher in Europa erstmals ausgestellte Werke.  

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Die Arbeiten des Boris Lurie schockieren. Auch fünfzig Jahre nach ihrem Entstehen haben sie von ihrem Potential zu brüskieren, an den Rand des Erträglichen zu führen und zu polarisieren nichts eingebüßt. So zeigt eines seiner späteren Werke, „Railroad to America“ ein Foto von gestapelten Leichen auf einem offenen Wagon, aufgenommen nach der Befreiung eines Konzentrationslagers durch die Alliierten. Darüber setzte Lurie ein Pin-Up-Bild einer jungen Frau, die sich in aufreizender Pose ihren Slip abstreift. Das schockierende Missverhältnis zwischen den beiden Bildelementen erzeugt beim Betrachter spontane Abwehr, Empörung und das Bedürfnis, sich der Darstellung zu entziehen. Ähnliche Erfahrungen machte Lurie gegen Ende der 1940er Jahre, als die ersten Bild-Reportagen über die Öffnung von Konzetrationslagern im „Time Life Magazine“ neben Anzeigen für Schönheitsmittel zu sehen waren.

Frühe Werke erstmals in Europa ausgestellt

In seinen Werken aus der „War Series“, entstanden in den 40er Jahren, verarbeitet Lurie die grauenvollen Erlebnisse während seiner Zeit im Ghetto von Riga, seiner Zeit im KZ sowie direkt nach seiner Befreiung aus dem KZ Buchenwald. Viele der unbetitelten Werke sind erstmals in Europa zu sehen. Im Kellergeschoss wird erstmalig auch eine Auswahl seiner beeindruckenden skulpturalen Werk aus den 1970er Jahren vorgestellt.  

Die Ausstellung entstand in enger Kooperation mit der Boris-Lurie-Foundation, New York, und unter der kuratorischen Leitung der Galeristin Gertrude Stein. Die zutiefst menschlich existenziellen und eigentümlich europäischen Züge seines Werkes und nicht zuletzt dessen aggressiv politische Ausrichtung machten Lurie zu einem Fremdkörper in New Yorks Kunstwelt des Abstrakten Expressionismus und der Pop-Art, eine Position, die ihm bis zu seinem Tod 2008 bleiben sollte.

Mehrere KZs überlebt

Der 1924 in Leningrad geborene, aus einer wohlhabenden jüdischen Bürgerfamilie stammende Künstler, durchlitt die großen Katastrophen und Umbrüche des 20. Jahrhunderts unmittelbar. Er überlebte gemeinsam mit seinem Vater die Konzentrationslager Stutthof und Buchenwald. Seine Mutter Schaina, seine Großmutter, seine jüngere Schwester Jeanna sowie seine große Jugendliebe Ljuba Trekunova wurden 1941 in dem Massaker von Rumbula, in der Nähe von Riga, ermordet.

Lurie sah sich als KZ-Überlebender nie in der Opferhaltung, seine Kunst nicht als Opferkunst. 1946 emmigrierte er gemeinsam mit seinem Vater zu seiner älteren Schwester Assya nach New York, wo er bis zu seinem Ende lebte und arbeitete.

NO!art-Mitbegründung in den 50ern

Die Schrecken des Erlebten wurden in den Künstlerkreisen, die er in New York suchte und fand, nicht als persönliches Schicksal thematisiert. Jedoch formulierte er seinen Widerstand gegen Ohnmacht und Gewalt, die sein Leben in der prägenden Jugendphase überfallen und dominiert hatten, mit einem entschiedenen NEIN.

Die von ihm 1958 mitbegründete Künstlergruppe NO!art sah sich in scharfem Kontrast zum abstrakten Expressionismus und zur Pop-Art. Imperialismus, Rassismus, Sexismus, Konsumrausch und nukleare Bedrohung waren die Themen der Künstlergruppe, die nur wenige Jahre gemeinsam agierte.

„Man musste in der Kunst damals immer indirekt sein. Wir waren zu subjektiv und zu politisch“, beschrieb Lurie die schwierige und oft ignorierte Position der streitbaren Gruppe in einem späten Interview. Boris Lurie verfasste neben zahlreichen Poemen in baltisch-deutscher Sprache auch Romane und Erzählungen. Einige der Manuskripte sowie Fotos und Originaldokumente sind ebenfalls in der Ausstellung zu sehen.

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„KZ – Kampf – Kunst. Boris Lurie: NO!Art“

27. August bis 2. November 2014

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

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Autor: Daniel Deininger
Foto: Vom 27. August bis 2. November 2014 zeigt das Kölner NS-DOK die Ausstellung „KZ – Kampf – Kunst. Boris Lurie: NO!Art“