Lübeck | Berge weißen Stoffs liegen in der Mitte der Lübecker Halle. „Bloß nicht drauf treten“, mahnt Projektleiter Wolfgang Volz. Für besonders schlammige Schuhe liegen Stoffslipper bereit. In der Lübecker Firma „Geo – die Luftwerker“ wird in einem kleinen unscheinbaren Backsteingebäude in einem Industriegebiet Christos neuestes Kunstwerk gefertigt.

Volz, Projektleiter sowie Fotograf und seit Jahren für Christo tätig, führt um den Stoffberg herum, nicht ohne diesen aus den Augen zu lassen. 6.000 Quadratmeter liegen hier, sagt er während die Nähmaschinen rattern. Drei Näherinnen finden sich irgendwie in diesen Stoffhaufen zurecht, wissen, wo Anfang und Ende sind und nähen das „Big Air Package“ zusammen.

Überraschend klein und normal sind sie, diese Nähmaschinen, mit denen laut Volz die „größte Luftskulptur, die es je gab“ hergestellt wird. Aber sie sind auch das einzige, was normal ist. Ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Projekt sei das, sagt Geschäftsführer Robert Meyknecht, dessen Firma eigentlich Ballonhüllen und größere Luftskulpturen fertigt.

Für den Gasometer in Oberhausen haben die Lübecker bereits einmal einen Mond mit 25 Metern Durchmesser gefertigt und so kam es auch zu dieser Zusammenarbeit für Christos neues Kunstwerk, das ab dem 15. März kommenden Jahres im Gasometer zu sehen sein soll.

94 Meter hoch und 54 Meter breit

94 Meter hoch und 54 Meter breit soll das Luftpaket sein, sagt Meyknecht. Eine selbsttragende Skulptur, die in 60 Stunden mit 177.000 Kubikmetern Luft gefüllt wird. 20.350 Quadratmeter reißfester, nicht ganz weißer, aber lichtdurchlässiger Polyesterstoff, eingeschnürt mit 4.500 Metern Seil, damit „das typische Christo-Gebilde entsteht“, sagt Projektleiter Volz.

Insgesamt drei Tonnen Stoff werden verarbeitet, im gefüllten Zustand soll die Hülle 5,3 Tonnen wiegen. Bis zu 2.800 Stunden Näharbeit für die 12.500 Meter Naht rechnet Meyknecht. In Lübeck werden die 600 Stoffbahnen zugeschnitten und vernäht, sodass sieben Einzelteile entstehen, die schließlich in Oberhausen mit einem Spezialklettband zu der Figur zusammengefügt werden sollen.

Alles scheint an diesem Projekt spezial zu sein. Eine spezielle Beschichtung macht den Stoff feuerfest. „ETex Medium Christo“ nennt sich der Stoff, sagt Volz. Genäht wird mit Spezialfäden, die etwas aufquellen und so die Naht noch besser verschließen. Denn es soll so wenig Luft wie möglich entweichen, wenn die gefüllte Hülle im 110 Meter hohen Gasometer schwebt.

Mitten zwischen den Stoffbergen hebt Volz eine Christo-Zeichnung hoch, die einen Eindruck davon vermittelt, was den Besucher erwartet: ein Riesenzylinder, ungleichmäßig eingeschnürt, frei hängend in einem hohen Raum. Gleich auf mehrere Arten werde das Luftpaket erlebbar sein: Unterhalb des in der Luft hängenden Packages können die Besucher flanieren, sie können um das Paket herumlaufen, mit einem gläsernen Fahrstuhl bis unter die Decke des Gasometers fahren und von oben auf die Skulptur herabschauen. Und sie können durch zwei Drehtürschleusen hinein.

„Wenn man drinnen nach oben schaut, sieht man einen Raum, den man perspektivisch nicht einordnen kann, da man keinerlei Größenvergleich hat“, sagt Volz. Er spricht von einem „Raumerlebnis, dass es so bisher noch nicht gab“. Oberlichter und künstliche Beleuchtung von oben sollen wie „eine Riesensonne“ wirken, da die Hülle lichtdurchlässig aber nicht völlig transparent sei.

Die Ausstellung im Gasometer in Oberhausen soll am 15. März 2013 eröffnet werden und bis zum 30. Dezember 2013 für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Der Gasometer rechnet mit mindestens 300.000 Besuchern, die sich das Kunstwerk des Verpackungskünstlers Christo, der 1995 zusammen mit seiner Frau Jeanne-Claude den Reichstag verhüllte, anschauen wollen. Ihr letztes und bis heute größtes Luftpaket errichteten die Künstler bei der documenta IV 1968 in Kassel: Es umfasste mit 85 Metern Höhe und einem Durchmesser von zehn Metern ein Volumen von 5.600 Kubikmetern.

Autor: Nathalie Klüver, dapd | Foto: Philipp Guelland/dapd
Foto: Eine Skizze des Ballonprojektes „Big Air Package“ des bulgarischen Künstlers Christo liegt in der Werkstatt der Ballonnäherei „geo – Die Luftwerker“ in Lübeck auf einem Tisch, während eine Näherin an der Ballonhülle für das Kunstwerk arbeitet.