Köln/Düsseldorf | aktualisiert | Sandra Riedesel rückt ihrer neunjährigen Tochter Stella noch schnell die Engelsflügel zurecht. Gleich starten die Kölner „Schull- und Veedelszög“, da muss alles stimmen. „Karneval liegt unserer Familie im Blut“, sagt die 38-jährige Riedesel. Sie und ihre Tochter haben sich an diesem Karnevalssonntag als plüschige Engel verkleidet, Opa Rainer Decker trägt ausnahmsweise kein Kostüm. Jetzt mit den Gewinnern bei den Wagengruppen und der Fußgruppe, die beim Rosenontagszug mitlaufen dürfen:  Bei den Fußgruppen gewann der „Stammdesch Kölsche Sonnekinder“ und bei den Wagengruppen der „Veedelsverein Kölsche Adel“

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Pünktlich um 11.11 Uhr setzt sich dann der Zug auf seinem 7,5 Kilometer langen Weg durch Köln in Bewegung. Insgesamt rund 8.000 Teilnehmer – darunter viele Kapellen – freuten sich ebenso wie tausende Zuschauer über sonniges Wetter.

Doch auch wenn es kalt gewesen wäre oder geregnet hätte – Familie Decker-Riedesel hätte das nichts ausgemacht. Denn sie wollte unbedingt den Wagen der Katholischen Grundschule Zugweg sehen, die seit 1951 dabei ist, als erstmals ein „Schullzog“ durch Köln zog. Opa und Enkelin lernten hier schreiben und lesen – und besuchten freiwillig die Arbeitsgemeinschaft „Kölsches Brauchtum“.

Im vergangenen Herbst setzten sich Eltern, Lehrer und Schüler zusammen. Am Ende stand fest: Wir gehen als Engel, die bei allen Schulproblemen helfen. 300 Euro haben sich die Riedesel-Frauen Kostüm und Wurfmaterial kosten lassen.

53 Schulen bei Umzügen mit dabei

Insgesamt 53 Schulen ließen ihre Phantasie spielen – von Grundschulen und Förderschulen bis zu Gesamtschulen, Gymnasien und Berufskollegs war die gesamte Kölner Schullandschaft vertreten. Sie feierten eine neue Mensa und beklagten überlange Sanierungsarbeiten. Sie machten sich über das Lernen mit Apps – Spickzettel-App inklusive – lustig oder fürchteten, beim doppelten Abiturjahrgang die „Arschkarte“ zu ziehen. Sie verkleideten sich als Leseratten, Schmetterlinge oder Bauarbeiter.

Den Schulen folgten am Karnevalssonntag die „Veedelszög“: 50 kleine Karnevalsvereine, Stammtische oder Sportvereine können hier davon träumen, am folgenden Tag beim Rosenmontagszug mitzugehen. Denn der originellsten Fußgruppe und dem phantasievollsten Wagen winkt die Teilnahme als Preis. Einmal dort mitzumarschieren – davon träumen alle Kölner Jecken.

Die Durchführung der „Schull- und Veedelszög“ stand lange auf der Kippe. Denn seit der Loveparade-Katastrophe müssen Sicherheitskonzepte für alle nur denkbaren Fälle entwickelt werden. Und weil den Sanitätsdiensten die Zivildienstleistenden ausgehen, mussten Helfer aus karnevalsfreien Zonen engagiert werden. Das trieb die Kosten für die Sanitätsdienste von bisher 8.300 auf 48.000 Euro. Zwei Spenden von je 10.000 Euro waren Rettung in letzter Minute.

Die Gewinner bei den Veedelszöch

Kategorie Wagengruppe

01. Veedelsverein Kölsche Adel
02. Stammtisch Raderthaler Pänz
03. Fidele Höhenberger e.V.
04. Lumpenclub Vogelsang 1958
05. Düxer Jecke
06. Stammtisch Löstige Kalker
07. Riehler Lotterboove vun 1956 e.V.
08. Spillmannsgasser Junge e.V.
09. Vogelsanger Kappes-Köpp

Kategorie Fußgruppe – die Top Ten

01. Stammdesch Kölsche Sonnekinder
02. Die Neppeser Ahr-Schwärmer Veedelsverein vun 1959 e.V.
03. Vringsveedeler Pänz
04. Rattekoepp Schmoelzje
05. Stammdesch De Knollendorfer
06. Kath. Jugend rund um den Chlodwigplatz
07. 11.000 Kölner Jungfraue
08. Stammdesch Kölsche Klüngel
09. Stammtisch Urjemötlich
10. Stammdesch Südstadtjecke

Karnevalisten feiern friedlich in Köln und Düsseldorf – Bislang keine nennenswerten Zwischenfälle

Bei sonnigem Himmel und kühlen Temperaturen haben die Jecken am Sonntag in den nordrhein-westfälischen Karnevalshochburgen ausgelassen gefeiert. „Es ist in diesem Jahr sehr ruhig“, sagte ein Sprecher der Polizei in Köln auf dapd-Anfrage. „Bislang gab es keine nennenswerten Zwischenfälle. Auch aus Düsseldorf meldete die Polizei bis zum Nachmittag keine größeren Vorfälle.

In Köln säumten seit dem Vormittag Hunderttausende Schaulustige den Weg der traditionellen „Schull- un Veedelszög“ (Schul- und Viertelzüge). Insgesamt 53 Schulen und 50 kleine Karnevalsgesellschaften und Sportvereine beteiligten sich an den Zügen. Die Viertelzüge haben eine lange Tradition und sind auf mittelalterliche Gesellenbanden zurückzuführen, die ihren mühseligen Alltag aufs Korn nahmen. Seit 1952 ziehen die Schulzüge gemeinsam mit den Viertelzügen durch die Straßen Kölns.

In Düsseldorf trafen sich die Narren unterdessen zum sogenannten Kö-Treiben auf der Königsallee in der Innenstadt. Das bunte Treiben in beiden Karnevalshochburgen dauerte am späten Nachmittag weiter an.

Buntes Treiben auf der Königsallee

Auch auf der Prachtstraße der Landeshauptstadt feierten die Jecken am Karnevalssonntag. Bei strahlendem Sonnenschein flanierten Zehntausende Narren über die Königsallee. Gucci, Armani und Swarovski verbarrikadierten ihre Luxus-Schaufenster mit Holzbrettern, den Kö-Graben säumten Bratwurst-Buden und Bierstände. Die Stimmung war entspannt, die Gruppen Kostümierter spazierten mit Handwagen voller Proviant und Kinderwagen über die Einkaufsstraße.

Eine Gruppe Neandertaler in zotteligen braunen Westen und Hosen mit Leopardenmuster hat am südlichen Ende der Kö ihren Pavillon aufgebaut, davor steht ein umgebautes Fahrrad mit Licht- und Musikanlage. Ein Stück weiter steht die „Arsche Noah“, davor springen Anne und ihre Bekannten als Schafe, Tiger und Elche herum. „Ich finde es super, dass hier auch Familien unterwegs sind und nicht überall Betrunkene in den Ecken liegen“, sagt die 31-Jährige. Stolz zeigt sie das Innenleben des Wagens: Dort stapeln sich Frikadellen, Hähnchenschenkel und Brezen, Bierfässer und Prosecco-Flaschen. „Wir wollen ja ein paar Stunden durchhalten“, erklärt sie und lacht.

Der Wagen ist das Werk von Bernd. Der 63-jährige Arzt ist Bastler aus Leidenschaft: „Drei Monate habe ich daran gebaut“, sagt er stolz. Vor einigen Jahren hat er bei dem Düsseldorfer Wagenbauer Jacques Tilly ein Seminar besucht. „Für mich ist es das Tollste, wenn sich die Leute vor meinen Wagen stellen und Fotos machen“, sagt der Mann im Elchkostüm. Und davon gibt es an diesem Karnevalssonntag in Düsseldorf jede Menge.

Autor: Jürgen Schön und Kathrin Aldenhoff, dapd, ag