Besonders positiv sei dabei, dass sich dieser Aufschwung in allen Branchen zeige. Denn 85 Prozent der Betriebsinhaber beurteilen ihre aktuelle Geschäftslage als gut oder zufrieden stellend, im Rheinland sind es sogar 89 Prozent, ein Bestwert seit 1991. Dennoch dürfe man jetzt nicht in Euphorie verfallen, sondern diese Konjunkturpflanze müsse gehegt und gepflegt werden, so Ortwin Weltrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Köln. Dort trafen sich heute zur Frühjahrs-Konferenz die Hauptgeschäftsführer der 53 Handwerkskammern in Deutschland.


Arbeitnehmerfreizügigkeit bietet vor allem Chancen
Angesichts dieser positiven Entwicklung und der stabilen Beschäftigungslage brauche das deutsche Handwerk die potentiellen Entwicklungen durch die seit dem 1. Mai geltende Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht zu fürchten. „Wir schauen ohne Angst auf diese Veränderungen“, so Schwannecke. Durch die hohe Qualität der Dienstleistungen und Produkte brauche das deutsche Handwerk den Wettbewerb mit den osteuropäischen Nachbarn nicht zu scheuen. Im Gegenteil berge diese neue Regelung vor allem Chancen für das Handwerk, denn sie komme zu einem günstigen Zeitpunkt. Durch die positive konjunkturelle Entwicklung und die gute Verfassung des Arbeitsmarktes hätten in einzelnen Regionen und Branchen die Betriebe bereits Probleme, qualifizierte Fachkräfte und geeignete Auszubildende zu finden. Die neue Arbeitnehmerfreizügigkeit könnte einen Teil zur Fachkräftesicherung beitragen, außerdem könnten auch die deutschen Betriebe durch Aufträge aus dem Ausland profitieren.

Allerdings brauche es auch ein weiches Umfeld und gute Bedingungen, damit Fachkräfte den Weg auf den deutschen Arbeitsmarkt finden. Es müsse aber darauf geachtet werden, dass faire Wettbewerbsbedingungen eingehalten werden und die für die deutschen Unternehmen verpflichtenden Arbeits- und Sozialstandards nicht durch ausländische Anbieter unterlaufen werden. Alles in allem freue man sich aber „auf gute polnische Handwerksunternehmen“, so Weltrich.

Duale Ausbildung zieht Jugendliche aus dem Ausland an
Ein weiteres wichtiges Thema bei der heutigen Tagung des Handwerkskammertages sind Fragen der Berufsausbildung. Die in Europa bekannte und bewunderte duale Ausbildung zieht vor allem Jugendliche aus dem Ausland an. Aufgrund der großen Nachfrage besonders aus osteuropäischen Ländern hat der ZDH eine Informationsseite im Internet eingerichtet, wo Interessierte auf polnisch, tschechisch und englisch über die duale Ausbildung informiert werden. 2010 ist der Anteil Auszubildender mit ausländischer Staatsangehörigkeit bereits um drei Prozent auf 26.074 gestiegen. Im Handwerk der Region Köln-Bonn gab es sogar einen Zuwachs von zwölf Prozent. Dies soll aber noch weiter ausgebaut werden.

"Ausbildung im Handwerk ist keine Einbahnstraße"
Der Mangel an Auszubildenden – 2010 blieben mindestens 8000 angebotene Ausbildungsplätze frei – könne aber dadurch allein nicht behoben werden. Um leistungsstarken Nachwuchs für die Berufe des Handwerks zu gewinnen, sollen auch gezielt Abiturienten angesprochen werden. Eine gute Ausgangsbasis sei der doppelte Abiturjahrgang in Nordrhein-Westfalen 2013. Dafür will die Kölner Handwerkskammer bereits in diesem Jahr damit beginnen, bei den Gymnasiasten um eine Ausbildung im Handwerk zu werben. Diese sei nämlich „keine Einbahnstraße“ und könne durch das triale Studium gerade auch Abiturienten attraktive Karrieremöglichkeiten bieten.

"Die Motivation ist entscheidend"
Aber auch weniger qualifizierten Jugendlichen bleiben im deutschen Handwerk die Türen nicht verschlossen. Nach wie vor rekrutiert das Handwerk die Hälfte seiner Lehrlinge aus den Hauptschulabsolventen und viele Azubis sind sogar ohne qualifizierten Schulabschluss. „Motivation und der Wille zur Leistung sind entscheidend, nicht die Noten“, so Schwannecke. Trotzdem ist es der Handwerkskammer im Interesse der Betriebe wichtig, die vorhandenen Potenziale zu heben und die Ausbildungsreife der Schulabgänger sowie die Berufsorientierung an den Schulen zu verbessern, um so mehr Jugendliche für eine Ausbildung gewinnen zu können. Dabei sind gerade auch Jugendliche mit Migrationshintergrund gefragt, die in deutschen Großstädten wie Köln einen erheblichen Teil der Schulabsolventen ausmachen. „Wir brauchen diese jungen Menschen, deshalb gehen wir auch nach Mülheim, um den Menschen zu zeigen, dass sie eine Chance im Handwerk haben“, so Weltrich. Seinem Anliegen, jungen Menschen unabhängig von Schulbildung, Geschlecht, Alter oder Herkunft eine erfolgreiche berufliche Zukunft zu bieten, bleibt sich der Zentralverband des Deutschen Handwerks damit treu. „Jeder ist willkommen“, ermunterte Weltrich.

Energiewende große Chance für das Handwerk
Ein weiteres zentrales Thema der Tagung ist die Energiewende. Die Schlussfolgerungen aus dem Reaktorunglück in Japan müssten mit Bedacht gezogen werden, sagte Schwannecke. Es brauche eine klare und verlässliche Linie in der Energiepolitik, um die Energiewende zu ermöglichen. Hier wolle das Handwerk einen zentralen Beitrag leisten. Da nachweislich rund 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs auf den Gebäudebereich entfallen, würde sich allein über die energetische Gebäudesanierung ein großes Einsparpotential ergeben. Dafür seien allerdings zwei Milliarden Euro jährlich nötig. Mit den richtigen Rahmenbedingungen könne die Energiewende auch eine große Chance für das Handwerk sein, indem sie Beschäftigung und Auftragslage sichern und aufbauen könnte. So könne die erfreuliche konjunkturelle Entwicklung im Handwerk weiter gestützt werden.

Julia Grahn für report-k.de/Kölns Internetzeitung