Köln | aktualisiert | „Ordnungsamt zum Sessionsstart im Einsatz – Der Ordnungs- und Verkehrsdienst zieht zur Eröffnung der neuen Karnevalssession am heutigen 11.11.2014 eine positive Zwischenbilanz (Stand 15.30 Uhr)“. So heißt es in einer schriftlichen Mitteilung der Stadt Köln. Unter anderem teilt man statistisch mit, dass man weniger Menschen beim Wildpinkeln als noch im Vorjahr erwischt habe. Wer allerdings in der Stadt mit offenen Augen unterwegs war, zweifelt an der Statistik. Mit einem Kommentar der Redaktion. Inzwischen hat auch die Stadt ihre Bilanz veröffentlicht und zählt knapp 300 von Ordnungskräften angetroffene Wildpinkler.

Fotostrecke: Hier wird ungeniert gegen das Rathaus uriniert >

Gegen das Rathaus uriniert

Es ist kurz vor 12 Uhr mittags auf dem Alter Markt. Vor der Video-Leinwand drängeln sich Jecken, vor dem Rathaus hat der Malteser Hilfsdienst eine Rettungsstation aufgebaut, die U-Bahn-Zugänge sind bewacht. Auf dem Alter Markt gibt es neben den dort vorhandenen Kneipen und Kiosken rund 10 Buden die mit Bier handeln und diverse Anbieter von Bratwürsten und Co. Einen Toilettenwagen und sechs Dixie-Klos hat man bereit gestellt. Davor lange Schlangen. Das Toilettenangebot liegt unter dem Angebot an Bierverkaufsständen. Der Platz bei weitem nicht gefüllt. Neben dem Toilettenwagen, der vor dem Historischen Rathaus aufgestellt ist, urinieren ständig Männer gegen die Rathauswand. Ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes kommt vorbei, schaut zu und verschwindet ohne darauf zu reagieren. Wenige Meter daneben stehen Polizeikräfte einer Hundertschaft, sie interessieren sich nicht für das was dort geschieht. Ein als Einsatzleiter gekennzeichneter Polizist kommt mit Kollegen vorbei, betrachtet die Urinierenden und geht weiter.

Mangelndes Problembewusstsein

Nach rund 20 Minuten geht ein älterer Mitarbeiter des Malteser Hilfsdienstes zu den Beamten der Einsatzhundertschaft und bittet diese sich des Problems anzunehmen. In diesen 20 Minuten ist auf diesem Teil des Alter Markts, einem der zentralen Plätze auf dem gefeiert wird, kein Mitarbeiter des Ordnungsamtes zu sehen. Die Polizeibeamten ändern ihren Standort, ermahnen noch einen Wildpinkler. Niemand uriniert mehr gegen die Hauswand des Historischen Rathauses. Nur der Standortwechsel um 10 Meter hat Wirkung gezeigt. In der Zeit in der die Beamten dort stehen traut sich kein Mann mehr dort zu urinieren. Zwar verrichten Frauen weiter ihre Notdurft vor den Augen der Beamten zwischen den dort aufgestellten Wagen und Männer im Schutz der Schlange, aber es trat dennoch ein Besserung ein. Nach rund 30 Minuten zeigt sich auch das Ordnungsamt mit rund sieben Mitarbeitern wieder und übernimmt dort die Überwachung.

Die Orte sind bekannt

Wieder ist es der Malteser Hilfsdienst, der die Mitarbeiter des Ordnungsdienstes auf das nächste Problem aufmerksam macht. Hinter den aufgestellten Dixieklos urinieren Männlein, wie Weiblein gegen die Zelte der Rettungsstation. Das Ordnungsamt greift ein und für wenige Minuten ist die Situation geklärt. Als sich die Ordnungskräfte entfernen, dauert es keine Minute und der nächste klettert hinter die Toiletten. Auch rund um das Seidenmacherinnengässchen, am Marsplatz, dem Steinweg und die Bolzengasse das gleiche Bild. Zu wenige Toiletten, Männer die im Stehen an den Bauzaun oder zwischen die Torstangen und in Hauseingänge urinieren, Frauen die sich zwischen die PKW hocken und unter Gegröle vorbeikommender Männergruppen ihre Notdurft verrichten. Das gleiche gilt für den Roncalliplatz, wo vor allem die Jeckinnen die Tiefgarage unter der Domplatte als Toilette nutzen. Die Statistik des Ordnungsamtes zu den Wildpinklern: „Insgesamt 116 Männer (Vorjahr: 146) und 6 Frauen (Vorjahr 13) wurden dabei angetroffen, wie sie ihre Notdurft außerhalb einer Toilette verrichteten. (Stand 11.11.2014, 15:30 Uhr) In den 20 Minuten gegen 12 Uhr mittags rund um den Toilettenwagen vor dem Rathaus am Alter Markt frönten mehr als 50 Personen dem Wildpinkeln unterkannt.

Abschließende offizielle Bilanz des Ordnungsdienstes

Die Stadt veröffentlichte einen Tag nach dem Sessionsauftakt für die Karnevals-Session 2014/15 ihre Bilanz: Darin zählt sie mehr Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz und zieht in puncto Akzeptanz des Glasverbots in der Altstadt eine positive Bilanz.

60.000 Plastikbecher verteilt

Bei der Kontrolle an den Zugängen zu den Glasverbotszonen wurde die Stadt Köln wieder von knapp 200 Einsatzkräften eines Sicherheitsunternehmens unterstützt, die die Feiernden auf das Glasverbot und die für die Entsorgung von mitgeführtem Glas zur Verfügung stehenden Container hinwiesen, so die Stadt in ihrem Resümee einen Tag nach dem „Elften im Elften“.

Das Ordnungsamt sei zusätzlich mit rund 100 Kräften im Einsatz gewesen. Wer mit Glasbehältnissen an einem Kontrollpunkt ankam, konnte den Inhalt in vom Ordnungsamt bereitgestellte und von der AWB gestaltete Plastikbecher umfüllen. Viele Jecken hätten das dankbar angenommen. Insgesamt habe man rund 60.000 Becher an die Feiernden verteilt, so die Stadt. Zwangsgeldandrohungen mussten seitens des Ordnungsdienstes nicht ausgesprochen werden.

Verstärkte Jugendschutzkontrollen

Insgesamt wurden im Tagesverlauf 232 (Vorjahr: 269) Jugendschutzkontrollen durchgeführt. In 78 Fällen (Vorjahr: 71) musste eingeschritten werden, weil Minderjährige Wein, Bier und Spirituosen getrunken hätten, so die Stadt in ihrer Bilanz. Die sichergestellten Getränke seien vor Ort ausgeschüttet worden. 42 Jugendliche (Vorjahr: 18) wurden laut städtischer Bilanz beim Rauchen ertappt und mussten ihre Zigaretten abgeben.

Trotz vorheriger Informationskampagne durch die Stadt wurden in diesem Jahr vier (Vorjahr: 0)Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Verstoßes gegen das Jugendschutzgesetz gegen Gaststätten-, Kiosk- und Trinkhallenbesitzer eingeleitet, so die Stadt.

Zahl der Wildpinkler gestiegen

Die Stadt beziffert die Zahl der in der Öffentlichkeit von Ordnungskräften beim Urinieren Angetroffenen mit knapp 300, davon 280 Männer (Vorjahr: 224) und 17 Frauen (Vorjahr: 18).  Ein Wildpinkler in der Altstadt habe am Nachmittag die Angabe seiner Personalien verweigert und körperlichen Widerstand geleistet, so die Stadt. Er sei mit Unterstützung der Polizei zur Feststellung der Personalien ins Präsidium gebracht worden.

Bei den Kontrollgängen durch den Ordnungsdienst der Stadt Köln wurden 13 hilflose Personen und ein Verletzter angetroffen. In allen Fällen sei medizinische Hilfe gerufen worden.

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Kommentar Wildpinkler: Problemzonen bekannt – Ordnungsamt und Stadt heillos überfordert

„Jedes Jahr im …“ heißt eine Zeile in einem Karnevalsschlager. Jede Sessions- oder Straßenkarnevalseröffnung das gleiche Bild an den immer gleichen Problemstellen und eine heillos überforderte Stadtverwaltung. Oben feiert der Oberbürgermeister mit dem Dreigestirn und Festkomitee und unten pinkeln die Jeckinnen und Jecken fröhlich, öffentlich und vor den Augen der Ordnungskräfte ans Rathaus. Kann man den Jeckinnen und Jecken einen Vorwurf machen? Nein. Das Toilettenangebot der Stadt war wieder einmal erbärmlich. Wohin sollen Sie in Ihrer Not? Wer 60.000 Becher verteilt, mehr Platz an Bierbuden gegen Geld vermietet und zu wenig Toiletten aufstellt, der muss sich nicht wundern, wenn ihm gegen die Wand gepinkelt wird. Nun mag man sagen, wenn gegen städtische Wände uriniert wird, ist einem das driss ejal. Aber was machen Unternehmen, Geschäfte, Bewohner, gegen deren Schaufenster oder Hauseingänge seit Jahren uriniert wird?

Das Beispiel vor dem Rathaus zeigt aber auch, dass mit einem Hauch mehr Kümmerfaktor bei den eingesetzten Kräften das Problem zumindest im Ansatz verbessert werden kann. Dort wo Problemzonen sind, reicht die Anwesenheit von Ordnungspersonal. Dazu einfach mehr simple Toilettenkonstruktionen, wie getrennte Pissrinnen für Männer und Frauen, sichtgeschützt hinter Bauzäunen und mehr Dixiklos. Da würde die Statistik des Ordnungsamtes endlich stimmen und die Not der Jeckinnen und Jecken wäre gelindert. Denn derzeit ist die Statistik ein Zerrbild der Wirklichkeit.

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Autor: Andi Goral
Foto: Rund 10 Männer urinieren neben dem Toilettenwagen gegen das Rathaus, das Ordnungsamt sieht zu und die Polizei hat sich weit abseits aufgebaut. Die Frauen verrichteten hinter dem weißen Kastenwagen öffentlich ihre Notdurft.