Das Museum Weserburg wurde 1991 als erstes „Sammlermuseum“ in Deutschland eröffnet und wollte damit einen neuen Typus von Museum darstellen. Elf prominente Sammler wie Ingvild Goetz, Thomas Olbricht oder Reinhard Onnasch stellten dem Museum dafür Teile ihrer privaten Kunstsammlungen als Dauerleihgabe zur Verfügung. Als „Public-Private-Partnership“ bekam das Haus aus dem staatlichen Kulturetat nur Geld für die laufenden Kosten; die Ausstellungen mussten durch zusätzliche private Aufwendungen finanziert werden. Das Modell funktionierte nur einige Jahre, heute ist das Museum in den roten Zahlen. Um sein Überleben zu sichern, will sich das Haus von einem der wichtigsten Kunstwerke in eigenem Besitz trennen: Am 9. November soll bei Sotheby’s in New York das Gerhard Richter-Bild „Matrosen“ unter den Hammer kommen und mindestens 6-8 Millionen US-Dollar einspielen.

Das großformatige (1,5 x 2m) Bild [Hier auf der Seite von Gerhard Richter zu sehen] ist nicht irgendein Werk des Kölner Künstlerstars. „Matrosen“, entstanden 1966, gilt als eine der wichtigsten Arbeiten aus der ersten Schaffensphase Richters, in der aus dem Kunststudenten innerhalb eines Jahrzehnts eine etablierte Größe der westdeutschen Kunstszene wurde.

Es ist interessant, sich die Situation zu vergegenwärtigen, in der das Bild, das demnächst Millionen einspielen wird, entstand. Richter, der heute wegen der Rekordpreise, die seine Werke bei Kunstauktionen in London und New York einspielen, gerne als der „teuerste Künstler der Welt“ apostrophiert wird, war 1966 sehr weit von dem heutigen Starruhm entfernt.

1932 in Dresden geboren und aufgewachsen und Ende Februar 1961 noch vor Beginn des Baus der Berliner Mauer aus der DDR geflüchtet, hatte er von 1961 bis 1964 sein Kunststudium an der Kunstakademie Düsseldorf fortgesetzt. Richters überhaupt erste Ausstellung hatte erst 1963 stattgefunden, also in der Zeit seines Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf, nicht in einer der etablierten Galerien, in denen man seine Arbeiten heute finden würde, sondern in einem leeren Laden. Da war der Künstler bereits 35. Materiell musste er sich anfangs noch als Kunsterzieher durchschlagen; 1967 wurde er Gastdozent an der Hochschule der Bildenden Künste in Hamburg, 1971 aber dann schon Professor für Malerei an der Düsseldorfer Kunstakademie.

Die Düsseldorfer Ausstellung 1963 markiert auch die erste öffentliche Präsentation seiner sogenannten grauen Fotobilder, zu denen auch „Matrosen“ gehört“. Vorlagen für diese Bilder sind Reproduktionen aus Massenmedien und Fotos aus privaten Familienalben. Richter vermalt beim Auftrag die Farbe so, dass eine Unschärfe entsteht, so als ob man Photos verwischen würde.

Richter hat durch verschiedene Äußerungen den Eindruck suggeriert, dass die Auswahl der Motive für diese Arbeiten reiner Zufall sei, wie er ja  auch die Anordnung der Farbfelder seiner späteren Arbeiten bis hin zum Kölner Domfenster nach dem Zufallsprinzip behauptet hat.

Das darf durchaus bezweifelt werden. So fällt auf, dass in diesen Jahren plötzlich verstärkt militärische Motive in Richters Arbeiten auftauchen: 1965, also ein Jahr vor „Matrosen“, entstand „Onkel Rudi“, ein Ganzkörperportrait in Armeemantel und Mütze. Und schon aus den Jahren 1963 und 1964 gibt es mehrere Leinwände, die Flugzeugbomberstaffeln zeigen. Man könnte behaupten, dass auch „Matrosen“ (1966) in diesen „militärischen“ Zusammenhang gehört.

Eines der Schlüsselwerke dieser Zeit besitzt im Übrigen heute das Museum Ludwig in Köln (http://www.museenkoeln.de/museum-ludwig/default.asp?s=781). „Ema. Akt auf einer Treppe“, ebenfalls 1966 entstanden, beruht auf einem Photo seiner damaligen schwangeren Ehefrau Marianne Eufinger. Zugleich ist „Ema“ ein Spiel mit der Kunstgeschichte, zitiert es doch (angeblich) ein berühmtes Bild von Marcel Duchamp aus dem Jahr 1912: „Nu descendant un escalier“ (Akt, eine Treppe herabsteigend), das heute im Philadelphia Museum of Art zu sehen ist.

Das kubistische Bild, das Duchamp malte, noch bevor er das Ende der Malerei verkündete, rief in den USA einen Skandal hervorrief und machte den französischen Avantgardisten schlagartig berühmt. Richter variiert hier die Herangehensweise: Statt kubistischer Verschachtelung bei Duchamp arbeitet Richter mit Unschärfe.

Überhaupt spielt Köln, wo Richter auch seit Anfang der 80er Jahre wohnt und sein Atelier unterhält, eine nicht ganz unwichtige Rolle für die wachsende Anerkennung des Künstlers. Im Januar und Februar 1969 werden zwei Richter-Arbeiten als Teil der Ausstellung „Kunst der Sechziger Jahre. Sammlung Ludwig“ im damaligen Wallraf-Richartz-Museum gezeigt, die zugleich so etwas wie die Auftaktveranstaltung des Aachener Unternehmers und Kunstmäzens Peter Ludwig in der Domstadt war.

Die Kölner Ausstellung war ein wichtiger Meilenstein in der Karriere Richters. Gruppenausstellungen in New York (Guggenheim) und Tokio folgen im gleichen Jahr. 1972 dann der ganz große Durchbruch. Gerhard Richter ist Teilnehmer der legendären Documenta 5 in Kassel, die als die wichtigste Ausstellung zeitgenössischer Kunst nach dem 2. Weltkrieg gilt. Im gleichen Jahr vertritt Richter die Bundesrepublik Deutschland auch auf der Biennale in Venedig, zum ersten Mal überhaupt, dass ein einzelner Künstler den Biennale-Pavillon alleine bespielt.

Dass „Matrosen“ Anfang November bei Sotheby’s in New York versteigert wird, ist kein Zufall. Das Auktionshaus hat wesentlichen Anteil daran, dass Gerhard Richter heute als der teuerste lebende Künstler der Welt gelten kann. Cheyenne Westphal, Sotheby’s deutsche Contemporary Art-Chefin in London, gilt als Richter-Spezialistin mit besten Kontakten zu den wichtigsten Sammlern weltweit. Wohl kaum jemand weiß so genau wie Cheyenne Westphal, welcher Sammler wo auf der Welt welches Richter-Werk besitzt oder kaufen möchte.

Mehrfach wurden bei Sotheby’s Höchstpreise für Richter-Arbeiten erzielt, darunter für mehrere "Abstrakte Bilder". Wie Sotheby’s mitteilt, gehören zu den Preisrekorden des Auktionshauses das "Abstrakte Bild 722-2" (1990), das bei Sotheby’s in New York am 14.Mai 2008 astronomische 15,161 Millionen US-Dollar erzielte, sowie ein "Abstraktes Bild 596" (1986), das ebenfalls in New York ein halbes Jahr zuvor (14.11.2007) für 9,785 Millionen US-Dollar unter den Hammer kam.

Das teuerste jemals bei Sotheby’s versteigerte Richter-Bild war allerdings eine "Kerze" aus dem Jahr 1983. Das Ölgemälde fand bei Sotheby’s in London am 27. Februar 2008 für 7,972 Millionen Pfund, zu diesem Zeitpunkt knapp 10 Millionen Euro einen Käufer. So viel war zu diesem Zeitpunkt noch nie für einen Richter bezahlt worden.

Ein Indikator, wie viel Richter-Arbeiten gegenwärtig auf dem internationalen Kunstmarkt einspielen, ist die Sotheby’s-Auktion der Kunstsammlung der bankrotten Investmentbank Lehman Brothers (http://www.report-k.de/content/view/31403/), die kürzlich in New York stattfand. Ein „Abstraktes Bild“ (763-9) aus dem Jahr 1992 war einem US-Sammler  506.500 US-Dollar wert (Schätzpreis 300.000-400.000 US-Dollar), ein ähnliches Bild aus demselben Jahr (Abstraktes Bild 763-5), das nur auf 200.000-300.000 US-Dollar geschätzt war, erzielte den gleichen hohen Preis. Fast sensationell der Preis für „Betty“, eine Lithographie aus dem Jahr 1991, die 458.500 US-Dollar erzielte.

Richter-Werke aus der Frühphase sind auf dem internationalen Kunstmarkt selten und gesucht, was den Schätzpreis von 6-8 Millionen US-Dollar erklärt. Die Antwort gibt es am 9. November. Es darf als sicher gelten, dass „Matrosen“ danach nicht in Köln landen wird. Aber mit „Ema“ besitzt das Museum Ludwig ja die vielleicht wichtigste Richter-Arbeit aus dem Jahr 1966 – und mit dem Domfenster ohnehin ein weithin strahlendes Meisterwerk.

Christoph Mohr

Weitere Report-K Artikel zu Gerhard Richter:
Die Richter der Lehman Brothers 

Ein Unbekannter macht einen Gerhard Richter zu Geld 

Gerhard Richter: Ein Kölner Künstler bricht Preisrekorde 

Gerhard Richter: Scharfe Kritik an Biennale-Künstler Christoph Schlingensief

Ein Portrait von Cheyenne Westphal/Sotheby’s finden Sie hier:
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/koepfe/valentinsgruesse-aus-der-new-bond-street;1389258

Weitere Christoph Mohr-Artikel auf Report-K:
Kölner Top-Galeristin Linn Lühn geht nach Düsseldorf

Was das Handelsblatt über Köln denkt

Warum der Kölner Galerist Karsten Greve nach Paris ging

Galerie Nagel: Kunstobjekt am Aachener Weiher 

Kölner Künstlerin Alexandra Bircken im Interview