Berlin | aktutalisiert | Laut Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) soll die Große Koalition von Union und SPD große Aufgaben meistern. Solide Finanzen, sicherer Wohlstand sowie soziale Sicherheit seien die großen Themen, sagte Merkel am Mittwoch bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags in der Bundespressekonferenz. Der von der SPD vehement geforderte flächendeckende Mindestlohn sei ein „großer Brocken“ in den nächtlichen Verhandlungen gewesen, so Merkel weiter. Die Nacht, der Morgen und der Mittag in Berlin, hier in der kurzen Zusammenfassung. Plus die Kommentierungen

Der nun gefundene Kompromiss sei „fair“. Zudem sei die sogenannte Mütterrente ein „Riesenschritt“. Insgesamt seien die Verhandlungen „sehr gut und von Vertrauen geprägt“ gewesen, so Merkel.

Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel betonte, dass die Verhandlungen fair gewesen seien. „Wir wissen, dass dies Verhandlungen waren, die nie den Eindruck erweckt haben, es würde aus unterschiedlichen Niveaus mit- oder übereinander geredet“, so der SPD-Chef. Der Vorsitzende der Sozialdemokraten sieht drei große Aufgaben für die Große Koalition: Zunächst müsse sich Schwarz-Rot um die Stabilisierung Europas und des Euro kümmern.

Als zweite wichtige Aufgabe sieht Gabriel die Energiewende: Bei diesem Thema schaue die ganze Welt auf Deutschland. Sollte die Energiewende in der Bundesrepublik misslingen, werde sich kein Land mehr an eine derartige technologische Herausforderung wagen. Die dritte große Aufgabe sei die Reform des Finanzausgleichs.

Der Koalitionsvertrag sei „für die kleinen und fleißigen Leute“, betonte der SPD-Chef. „Es ist eine Menge drin, was helfen wird, Fairness und soziale Balance in diesem Land zu stabilisieren oder zurückzubringen.“ Mit Blick auf den SPD-Mitgliederentscheid zeigte sich Gabriel zuversichtlich: Er sei sicher, dass die SPD-Basis dem Koalitionsvertrag zustimme. CSU-Chef Horst Seehofer betonte seinerseits, dass er die Große Koalition „von Anfang an“ wollte und zeigte sich hochzufrieden mit dem Inhalt des Vertrags. „Hier ist vieles an gerechter Sozialpolitik für die kleinen Leute drin.“ Zuvor hatten die Parteichefs von CDU, CSU und SPD den 185-seitigen Koalitionsvertrag mit dem Titel „Deutschlands Zukunft gestalten“ im Reichstagsgebäude vorläufig unterzeichnet.

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Die Kommentare

IW-Chef: Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot belastet Wertschöpfung in Deutschland

Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), übt scharfe Kritik am Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD: „Außer der üblichen Programmprosa finden sich im Koalitionsvertrag überwiegend Vorschläge, die die Wertschöpfung am Standort Deutschland belasten“, sagte Hüther „Handelsblatt-Online“. Er vermisst in dem 185-seitigen Papier Antworten, die für mehr Wachstum und Beschäftigung sorgen. „Die Energiewende wird mit höheren Ausbauzielen forciert statt den Subventionswahnsinn des EEG zu beenden“, kritisiert Hüther.

Außerdem bleibe das Fracking als Methode der Erdöl- und Gasförderung ausgeschlossen. „Der Arbeitsmarkt wird inflexibler, die Sozialabgaben steigen, die Rentenkasse wird ohne Not belastet und die Rente mit 67 durchlöchert.“ Auch die Abstriche beim Ausbau des Breitbandnetzes seien eine „erkennbare Belastung der Unternehmen“.

Kritisch äußert sich auch der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding, über die Pläne für einen gesetzlichen Mindestlohn und die Einschränkung der Zeitarbeit. „Auf dem Arbeitsmarkt macht die Große Koalition eine Rolle rückwärts“, sagte Schmieding „Handelsblatt-Online“. Teile der Erfolgsagenda 2010 würden rückabgewickelt.

„Dass Deutschland in Europa Reformen predigt, aber daheim eigene Reformen zurückdreht, stärkt nicht gerade seine Glaubwürdigkeit und Durchsetzungskraft in Europa.“

Döring, FDP: Rentenpaket von Schwarz-Rot unbezahlbar

FDP-Generalsekretär Patrick Döring hat das Rentenpaket von Union und SPD als unbezahlbar kritisiert. „Das Rentenpaket aus Mütterrente, Rente mit 63 und solidarischer Lebensleistungsrente ist schlicht unbezahlbar. Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn wird Arbeitsplätze kosten und insbesondere für junge Menschen, Arbeitslose und Geringqualifizierte neue Hürden aufbauen“, sagte Döring am Mittwoch in Berlin.

„Schwarz-Rot will uns glauben machen, dass die Quadratur des Kreises aus milliardenschweren Mehrausgaben, weniger Schulden und keinen Steuererhöhungen gelingen könnte. Am Ende werden es die Steuerzahler und die kommenden Generationen sein, die die Zeche zahlen.“ Zudem erklärte Döring, dass Union und SPD bei den Bürgerrechten „nichts verstanden“ hätten.

„Die Vorratsdatenspeicherung soll umgesetzt werden, als hätte es keine NSA-Debatte gegeben. Die Videoüberwachung wird ausgebaut und die Stiftung Datenschutz klein gemacht.“

ADAC: Maut-Beschluss von Schwarz-Rot nicht umsetzbar

Der ADAC hat den Maut-Beschluss von Union und SPD scharf kritisiert: „Die jetzt im Koalitionsvertrag gefundene Vereinbarung ist faktisch nicht umsetzbar“, sagte Maut-Experte Ralf Resch der „Saarbrücker Zeitung“ (Donnerstagausgabe). Deshalb gebe es nur noch zwei Möglichkeiten: „Entweder überhaupt keine Maut oder eine generelle Mautpflicht für alle“, so Resch. Sollte das Europarecht den „populistischen und verkehrspolitisch unsinnigen CSU-Mautplänen“ einen Riegel vorschieben, müssten am Ende alle Autofahrer zahlen.

„Im Raum stehen dann Mehrbelastungen von bis zu 100 Euro für alle Deutschen. Die gehen dann – im übertragenen Sinne – auf das Konto von Herrn Seehofer.“ Zugleich betonte Resch, die deutsche Debatte habe dazu geführt, dass es in einigen mautfreien Ländern bereits konkrete Pläne für die Einführung einer Gebühr gebe, „die jetzt umgesetzt werden sollen“.

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Der Morgen danach

Gröhe: Koalitionsvertrag ist Spiegel des Wahlergebnisses

Der Koalitionsvertrag, auf den sich Union und SPD nach langwierigen Verhandlungen am frühem Mittwochmorgen einigen konnten, trägt laut CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe eine „christsoziale und christdemokratische Handschrift“ und sei ein „Spiegel des Wahlergebnisses“. Auch SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles zeigte sich mit den Ergebnissen zufrieden: Man könne diesen Vertrag den SPD-Mitgliedern zur Abstimmung vorlegen, sagte sie nach den 17-stündigen Verhandlungen. Union und SPD haben sich in dem Koalitionsvertrag unter anderem darauf verständigt, ab 2015 keine neuen Schulden mehr zu machen.

Zudem soll es keine Steuererhöhungen geben. Überdies soll es ab dem Jahr 2015 einen bundesweiten Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde geben. Bis zum Jahr 2017 können die Tarifpartner allerdings auch Abschlüsse vereinbaren, die unterhalb dieser Grenze liegen.

Außerdem einigten sich Union und SPD in der Nacht auf eine abschlagsfreie Rente mit 63, eine Besserstellung älterer Mütter im Rentensystem und eine Lebensleistungsrente. So soll es ab Januar 2014 eine Besserstellung von Müttern, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, im Rentensystem geben. Arbeitnehmer, die mindestens 45 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben, sollen mit 63 Jahren abschlagfrei in Rente gehen können.

Der abschlagfreie Zugang soll schrittweise an die Altersgrenze 65 herangeführt werden. Eine Einigung gab es auch bei einer „solidarischen Lebensleistungsrente“ für Geringverdiener in Höhe von bis zu 850 Euro pro Monat ab 2017 – finanziert nach Informationen der „Welt“ aus Steuermitteln. Union und SPD wollen den Koalitionsvertrag am Mittwochmittag in Berlin vorstellen.

SPD-Mitgliedervotum: Nahles zuversichtlich

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles ist nach dem Verhandlungsmarathon und der Einigung auf einen Koalitionsvertrag mit der Union hinsichtlich des SPD-Mitgliedervotums zuversichtlich. „Ich bin ziemlich sicher, dass wir mit dem Ergebnis dem Ja deutlich näher sind als einem Nein“, sagte Nahles am Mittwoch im „Deutschlandfunk“. „Ich bin sehr selbstbewusst, was das Ergebnis angeht. Ich glaube, wir haben gut verhandelt.“ Für die SPD habe bei den Verhandlungen eine Verbesserung der Lebensbedingungen im Mittelpunkt gestanden, so Nahles weiter. Über die Folgen einer etwaigen Ablehnung des Koalitionsvertrages durch die SPD-Basis wollte die Generalsekretärin der Sozialdemokraten nicht spekulieren.

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Die Nacht der Entscheidung

Koalitionäre machen die Nacht durch

Die Spitzen von Union und SPD haben die Nacht zum Mittwoch im Berliner Willy-Brand-Haus „durchgemacht“: Um kurz nach vier Uhr waren mache Teilnehmer schon 20 Stunden bei den Koalitionsverhandlungen im Dauereinsatz, bevor die große Runde zusammengerufen werden konnte. Seit etwa Mitternacht sollen die Parteichefs von CDU, CSU und SPD, Merkel, Seehofer und Gabriel, unter sechs Augen verhandelt haben, zeitweise mit weiteren Beteiligten wie dem Finanzminister. Knackpunkt soll insbesondere die Finanzierung der schwarz-roten Vorhaben gewesen sein.

In der Nacht war zuvor schon durchgesickert, dass sich Union und SPD auf einen Mindestlohn von 8,50 Euro ab 2015 geeinigt haben. Unklar war aber, welche Ausnahmen und Sonderregelungen es geben soll: So machten Berichte von einer „Bestandsgarantie“ für vorher abgeschlossene Verträge mit niedrigeren Tarifen die Runde. Außerdem einigten sich Union und SPD in der Nacht auf eine abschlagsfreie Rente mit 63, eine Besserstellung älterer Mütter im Rentensystem und eine Lebensleistungsrente.

Demnach soll es ab Januar 2014 eine Besserstellung von Müttern, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, im Rentensystem geben. Arbeitnehmer, die mindestens 45 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben, sollen mit 63 Jahren abschlagfrei in Rente gehen können. Der abschlagfreie Zugang soll schrittweise an die Altersgrenze 65 herangeführt werden.

Eine Einigung in letzter Minute gab es auch bei einer „solidarischen Lebensleistungsrente“ für Geringverdiener in Höhe von bis zu 850 Euro pro Monat ab 2017 – finanziert nach Informationen der „Welt“ aus Steuermitteln. Union und SPD saß die Zeit im Nacken: Bis Mittwochmittag muss ein Koalitionsvertrag präsentiert werden, wenn noch genügend Zeit für den SPD-Mitgliederentscheid bleiben soll – ansonsten gerät der Zeitplan ins Wanken. „Es gibt Momente, da ist ein guter Kaffee noch wertvoller als sonst“, twitterte SPD-Hessenchef Schäfer-Gümbel kurz nach vier Uhr morgens.

Autor: dts