Für Kölner, die ihre Stadtgeschichte lieben, ist das Motiv vertraut: Der mittelalterlichen Legende nach, für die es keine zeitgenössische Quelle gibt, lebte die bretonische Königstochter Ursula im 4. Jahrhundert. Die fromme Christin sollte mit dem heidnischen Prinzen Aetherius, dem Sohn des Königs von England, verheiratet werden. Ihre Bedingung: Aetherius nimmt den christlichen Glauben an, und es wird eine gemeinsame Wallfahrt nach Rom unternommen, auf der sie 11 Jungfrauen begleiten. Tatsächlich erreicht die Gruppe Rom, und Aetherius wird (in Mainz) getauft. Doch auf der Rückreise geschieht die Katastrophe: In Köln, wo die königliche Pilgergruppe einen Zwischenstopp einlegt, ereilt sie ihr tödliches Martyrium. Während des Aufenthalts wird die Stadt von Hunnen belagert und eingenommen, die Jungfrauen getötet und Ursula, die sich der Heirat mit dem heidnischen Hunnenführer verweigert, von diesem durch Pfeilschuss hingerafft. Geblieben ist die Legende von der heiligen Ursula und den 11.000 Jungfrauen, die sich in der ganzen Welt verbreitet hat.
 
Die Zahl 11.000 gilt heute in der Wissenschaft als möglicher Lesefehler. Aber nicht ohne Hintergrund: Im 12. Jahrhundert wurde vor den Toren Kölns ein römisches Gräberfeld entdeckt. Die große Zahl der Skelette wurde dann schnell den 11.000 Jungfrauen zugeschrieben. Eine geschäftstüchtige Interpretation, wenn man so will: Die Entdeckung führte zu einem schwunghaften Reliquienhandel, der Köln wohlhabend machte, und zu einem wahren Ursula-Kult, der zahlreiche Pilger in die Stadt zog. Heute fast vergessen: Die Kirche St. Ursula (http://gemeinden.erzbistum-koeln.de/st_ursula_koeln/), eine der zwölf großen romanischen Kirchen in Köln, war viele Jahre der wichtigste Grund für Pilger aus dem ganzen Römischen Reich Deutscher Nation, um nach Köln zu kommen. Erst nachdem Erzbischof Rainald van Dassel 1164 die als Reliquien verehrten (vermeintlichen) Gebeine der Heiligen Drei Könige als Kriegsbeute (!) von Mailand nach Köln gebracht hatte, diese im goldglänzenden Dreikönigenschrein zur Schau gestellt und der Dombau begonnen hatte (Grundsteinlegung 1248), verlor die Basilika St. Ursula ihre Vorrangstellung.
 
Beide Heiligenverehrungen waren bildgebend für das Kölner Stadtwappen: Die drei Kronen im oberen Feld symbolisieren die Drei Könige, die elf Flammen stehen stellvertretend für die elf(tausend) Märtyrerinnen der Ursula-Legende.
 
Die nun im Auktionshaus Lempertz zu Versteigerung kommende, 128 x 107,5 cm messende Tafel gehört zu einem kleineren Ursula-Zyklus des Meisters von 1456, dessen Notname von seiner Tätigkeit in Köln 1456 abgeleitet ist und dem drei solcher Zyklen zugeschrieben werden. Von diesem kleineren Zyklus sind nur fünf Tafeln erhalten; darunter zwei, die sich heute in den USA befinden (Museum of Fine Arts, Boston und Privatsammlung). Im Wallraf-Richartz-Museum findet sich eine Tafel des Meisters von 1456, die die Ankunft der Hlg. Ursula und ihres Gefolges in Köln zeigt und die wohl einmal als Deckel einer Truhe gedient hat.
 
Die Heilige Ursula inspirierte auch einen weiteren mittelalterlichen Maler, der um 1500 in Köln aktiv war und nur unter seiem Notnamen bekannt. Sein Zyklus mit Darstellungen zur Legende der Hl. Ursula aus der Kölner Severinskirche machte ihn zum "Meister der Kölner Ursula-Legende". Im zweiten Weltkrieg wurden seine Arbeiten teilweise zerstört oder gingen verloren. Im Wallraf-Richartz-Museum (http://www.wallraf.museum/start.php) sind heute neun der ursprünglich mindestens 19 Leinwandgemälde zu sehen.
 
Doch die Legende der Kölner Jungfrauen ging um die Welt. Vielleicht als Reiseempfehlung taugen die Jungferninseln. Die Inselgruppe in der Karibik erhielt ihren Namen von Christoph Kolumbus zu Ehren der Kölner Märtyrerinnen.

Christoph Mohr