Köln | Man könnte ihn „ne Kölsche Jung“ nennen: Bevor Peter Paul Rubens, 1577 in Siegen als Kind flämischer Religionsflüchtlinge aus Antwerpen geboren, der Malerstar des 17. Jahrhunderts wurde, verbrachte er seine Kindheit bis 1587 in Köln. Und für die Kölner Jesuitenkirche Sankt Peter malte er eines seiner späten Meisterwerke. Nun widmet das Frankfurter Städel-Museum dem Malerfürsten des Barock eine große Ausstellung. Zentrales Beweisstück: Eine Zeichnung aus Köln. Christoph Mohr sprach mit dem Ausstellungsmacher Prof. Jochen Sander.

Sie zeigen in Frankfurts großem Kunstmuseum eine große Rubens-Schau. Dies ist nun nicht gerade die erste Rubens-Ausstellung in Deutschland. In Braunschweig (Herzog Anton Ulrich-Museum), Dresden (Gemäldegalerie Alte Meister), Kassel (Gemäldegalerie und Schloss Wilhelmshöhe) oder München (Alte Pinakothek) sind solche „alten Schinken“ sogar jederzeit zu sehen. Was ist das Besondere an Ihrer Ausstellung?
 Prof. Jochen Sander: Rubens ist als einer der Gründerväter des Barock eine wichtige Figur im Altmeister-Ausstellungswesen; fast jedes Jahr findet irgendwo in Europa oder Nordamerika eine Rubens-Ausstellung statt. Was unsere Ausstellung allerdings von allen bisher gezeigten unterscheidet, ist ihr Fokus. Während bislang immer die Rezeption von Rubens´ durch nachfolgende Künstlergenerationen bis zur Gegenwart im Zentrum stand, nimmt unsere Ausstellung erstmals Rubens´ Interesse an seinen unglaublich vielfältigen Anregungen und Quellen in den Blick. Das geht von der Antike bis zu seiner eigenen Gegenwart, von Malerei, Skulptur, Zeichnung und Druckgraphik bis zur Kleinkunst. Und noch ein Wort zu „Schinken“: Die Rubens-Werkstatt hat zwar viele Bilder produziert, die auch nicht alle höchsten Ansprüchen genügen. Aber wenn Peter Paul Rubens eigenhändig tätig wurde, dann steht man vor atemberaubend intelligent konzipierten und großartig gemalten Bildern, die in ihrer Unmittelbarkeit auch den heutigen Betrachter unmittelbar ansprechen. Und nur solche haben wir für die Frankfurter Ausstellung ausgesucht!


Peter Paul Rubens (1577-1640), Kentaur von Cupido gezähmt, um 1601/02

Ein wichtiges „Beweisstück“ ist eine Zeichnung, die vor einigen Jahren im Wallraf-Richartz-Museum in Köln „entdeckt“ wurde. Was heißt eigentlich „entdeckt“?
Im Wallraf-Richartz-Museum waren zwei großformatige Kohlezeichnungen nach antiken Skulpturen jahrzehntelang als mittelmäßige Kopien nach Rubens betrachtet und in die „Reserve“ verbannt worden. Uwe Westfehling, der damalige Leiter des Kupferstichkabinetts, hat die beiden Blätter damals erstmals genauer untersucht und festgestellt, dass alles andere als schwache Kopien, sondern zwei Meisterzeichnungen von Peter Paul Rubens.

Was hat es mit dieser Zeichnung auf sich? Was beweist sie?
Uwe Westfehling erkannte, dass es sich bei der aktuell in der Rubens-Ausstellung im Städel gezeigten Zeichnung um die Darstellung einer damals hochberühmten antiken Skulptur handelt, die sich zu Anfang des 17. Jahrhunderts in Rom (heute im Pariser Louvre) befand, als Rubens sie zeichnete: Ein mythologisches Wesen, ein Kentaur, halb Mensch, halb Pferd. Und Westfehling erkannte auch, dass Rubens Jahre später, wieder zurück in Antwerpen, diese Zeichnung als Ausgangpunkt für sein großartiges Gemäldes der Ecce Homo-Szene, bei der der gegeißelte Christus von Pilatus dem Volk vorgeführt wird, benutzte. Dieses Bild, das heute zu den Hauptwerken der Eremitage in St. Petersburg gehört, ist gleichfalls aktuell im Städel zu sehen.   


Römisch, Der von Cupido gezähmte Kentaur, 1.–2. Jh. n. Chr.

Noch einmal langsam. Die Zeichnung ist sozusagen das missing link zwischen einem Pferdemenschen und Jesus Christus?!!!
Beginnen wir vielleicht mit dem Kentaur, diesen merkwürdigen Pferdemenschen aus der griechischen Mythologie. Sie zeigen eine antike Skulptur aus römischer Zeit („Der von Cupido gezähmte Kentaur“), genauer: einen Gipsabguss dieser Skulptur, die sich heute im Louvre in Paris befindet. Was hat die mit Rubens zu tun?
Wir zeigen einen Gipsabguss, weil das antike Marmororiginal zu fragil ist, um es aus Paris ausleihen zu können. Als Rubens es zeichnete, befand es sich noch in der römischen Sammlung Borghese. Er war so begeistert von diesem antiken Meisterwerk, dass er es nicht nur einmal, sondern ein Dutzend Mal gezeichnet hat – aus allen Richtungen!

Was wissen wir über Rubens‘ Italien-Aufenthalt?
Rubens ging als Dreiundzwanzigjähriger im Jahr 1600 nach Italien, nachdem er zwei Jahre zuvor seine Malerausbildung in Antwerpen beendet hatte und Freimeister in der dortigen Malergilde geworden war. Dank seines Talents und der guten Beziehungen seiner Familie, die zu den wichtigsten Patrizierfamilien Antwerpens gehörte, wurde er in Mantua direkt Hofmaler des dortigen Herzogs. In dieser Rolle öffneten sich ihm alle bedeutenden Sammlungen Italiens, in Venedig und Florenz, vor allem aber in Rom. Dort begeisterte ihn vor allem die antiken Skulpturen, in denen er sein Idealbild des Menschen wiedererkannte. Als er 1608 nach Antwerpen zurückkehrte, hatte er seinen unverwechselbaren Stil gefunden – dank der antiken Skulpturen, dank der Malerei der Venezianer, aber auch dank der Kunst von Caravaggio und Adam Elsheimer. Seine Eindrücke sammelte er in einer Zeit, die den Fotoapparat oder das Internet natürlich noch nicht kannte, in Form von Zeichnungen.  

Zeichnungen, viele Zeichnungen also. Weiß man, wie viele es von diesen Zeichnungen gibt?
Es gibt bis heute kein verbindliches Werk, das sie zusammengetragen hat; die Zahl dürfte aber in die Tausende gehen.

Und diese Zeichnungen hat Rubens gehütet wie einen Schatz – oder besser wie ein Bildarchiv, auf das er später immer wieder zurückgegriffen hat?
Ja, diese Zeichnungen waren ihm so wichtig, dass er sogar testamentarisch angeordnet hat, dass dieser Bilderschatz erst dann verkauft werden dürfte, wenn klar war, dass keiner seiner Söhne, aber auch keiner seiner Schwiegersöhne, jemals Maler werden würde.

Rubens lebte acht Jahre, von Mai 1600 bis Herbst 1608 in Italien, vor allem in Mantua als Hofmaler von Herzog Vincenzo Gonzaga, einem der größten Kunstmäzene der Zeit. Mehrere längere Rom-Aufenthalte sind verbürgt. Nach der Rückkehr nach Antwerpen etablierte sich Rubens dort sehr erfolgreich mit seiner Malerwerkstatt. In diese Zeit fällt die Entstehung des Ecce Homo-Bildes, das den Aufmacher für Ihre Ausstellung bildet.
Rubens hat das Bild nicht datiert, aber es muss spätestens 1612 entstanden sein.


Peter Paul Rubens (1577-1640), Ecce homo, vor 1612

Was weiß man über die Entstehung des Ecce Homo-Bildes?
Leider ist über die Entstehungsbedingungen des Bildes nichts Näheres bekannt. Wir wissen nicht, ob das Bild als Auftragswerk oder für den freien Markt entstand.

Datierungsfragen gehören zu den Lieblingsbeschäftigungen von Kunsthistorikern. In Ihrem Katalog findet sich die Angabe „Nicht später als 1612″. Warum kann man das Bild nicht genau datieren? Und warum kann man dann sagen, dass es nicht später als 1612 gemalt wurde?
Das Bild zeigt mit dem Antikenbezug, aber auch mit der dramatischen Inszenierung typische Gestaltungselemente, die für die Jahre unmittelbar nach Rubens´ Rückkehr nach Antwerpen sprechen. Andererseits scheint ein um 1612-13 entstandenes Ecce Homo-Gemälde von Abraham Janssen, heute im Nationalmuseum in Warschau, seinerseits das Rubens-Gemälde vorauszusetzen.

Und wo befand sich das Bild in den letzten 400 Jahren?
Das Bild wurde 1922 von der Akademie der Bildenden Künste an die Eremitage in St. Petersburg übergeben; es scheint zuvor im Besitz des Petersburger Kunstsammlers Nikolai Alexandrovich Kushelev-Bezborodko (1834-1862) gewesen zu sein, dessen Sammlung an die Akademie der Bildenden Künste ging.

Das Bild kommt aus der Eremitage in St. Petersburg nach Frankfurt. Die deutsch-russischen Beziehungen sind derzeit nicht einfach. Wie schwierig war es, eine solche Leihgabe aus Russlands wichtigstem Kunstmuseum zu bekommen?
Wichtige Leihgaben werden weltweit zugesagt, wenn das Konzept Ihrer Ausstellung überzeugt. Und das war bei unserer Rubens-Ausstellung der Fall – von St. Petersburg über Wien, Rom, Paris und Madrid bis nach New York, Washington und Los Angeles, um nur ein paar Spitzenleihgeber zu nennen.

Ecce Homo ist ein sehr verbreitetes Motiv der christlichen Ikonographie: Jesus, den seine Anhänger für den Messias und Sohn Gottes halten, wird von dem römischen Statthalter Pontius Pilatus nach Folterungen vorgeführt. Die römischen Soldaten haben Jesus einen purpurroten Mantel umgelegt, ihm eine Dornenkrone aufgesetzt und ihn als König der Juden verspottet. Pontius Pilatus führt Jesus nach Verhör und Folterung öffentlich vor.  Findet sich in der Bibel im Johannesevangelium (Joh 19,5), in der lateinischen Fassung als „Ecce Homo“; über die deutsche Übersetzung ringen seit Luther die Theologen. „Seht, da ist der Mensch!“ ist die heute gebräuchliche Einheitsübersetzung. Seht, es ist nur ein Mensch (und nicht ein König), wäre eine Variante. In der Bibel geht es weiter mit der Kreuzigung Jesu. Es ist das, was wir heute Karfreitag nennen.

Bei Rubens sieht man aber etwas ganz anderes als auf den gewohnten Ecce Homo-Darstellungen, auf denen Jesus immer leidend dargestellt wird. Der Jesus auf Rubens‘ Ecce Homo-Bild sieht nicht sehr leidend aus…
Genau das ist bei diesem Bild auffällig. Der Blick, den Jesus auf den Betrachter richtet, weckt sehr ambivalente Empfindungen – da ist Leid und Mitleid, aber auch Überlegenheit, ja Triumph enthalten. All dies sind natürlich Elemente der überaus komplexen „Persönlichkeit“, die die Theologen und Gläubigen der Christusgestalt über die Jahrhunderte beigelegt hatten. All das kommt auch in Rubens´ Bild vor. Und wie bei jedem großen Kunstwerk lässt es ich eben nicht eindimensional lesen, sondern weckt im Betrachter unterschiedliche Emotionen.

Die formale Ähnlichkeit zwischen dem Kentaur und Rubens‘ Ecce Homo-Jesus ist offenkundig. Ist es nur eine formale Übereinstimmung (muskulöser Oberkörper in Brustpose) oder sehen Sie auch eine inhaltliche Verbindung. Einige kluge Kommentatoren wollen eine Parallelität zwischen der Doppelnatur des Kentaur (Pferd und Mensch) und der Doppelnatur von Jesus Christus (Gott und Mensch) erkennen. Valide oder Überinterpretation?
Es ist schon ein extremer Sublimationsvorgang, der hier aus dem triebgesteuerten Kentauren den leidenden und Mitleid heischenden Christus macht! Aber letztlich dient die formale Übernahme des athletischen Kentaurenkörpers vor allem der besonderen Darstellung des Körpers Christi durch Rubens. „Leib des Herrn“ (oder auf Latein „Corpus Domini“) ist die Bezeichnung auch der geweihten Hostie, die in der katholischen Messfeier den Gläubigen ausgeteilt wird. In der körperintensiven Inszenierung des Körpers Christi wird dieser Bezug zur Messe und Eucharistie im Bild herausgearbeitet.

Wenn heute ein Künstler auf den Gedanken käme, sich für eine Christus-Darstellung ein erotisch aufgeladenes Motiv als Vorlage zu nehmen, würde es wahrscheinlich Proteste nur so hageln. Der Vergleich stimmt nicht ganz, aber man könnte an die Reaktionen denken, die Madonna mit ihrem Musikvideo zu „Like A Prayer“ (1989) entfachte, in dem sie auch Sexualität und den gekreuzigten Christus verband. Warum ist dies bei diesem Bild ausgeblieben?
Das liegt an Rubens´ grandioser Gestaltungskraft. Der Betrachter, damals wie heute, sieht bei Betrachtung des Ecce Homo-Bildes aus St. Petersburg zunächst eine unmittelbar wirkende, ja durchaus auch eine durch ihre Körperlichkeit herausfordernde Christus-Darstellung. Der Bezug auf die antike Kentaurenfigur werden zur Entstehungszeit nur wenige, aber für Rubens wichtige Kunstkenner erkannt und geschätzt haben. Für sie war es Ausdruck von Rubens´ unglaublicher Gestaltungskraft, dass er bei formaler Übernahme eben doch etwas voll kommen Neues zu schaffen verstand.

Eine andere antike Skulptur, der Rubens während seines Rom-Aufenthalts begegnet ist, ist der so genannte „Herkules Farnese“, den Sie in Ihrer Ausstellung in einer verkleinerten Bronze-Kopie zeigen, die von der National Gallery of Art in Washington ausgeliehen ist. Was ist der „Herkules Farnese“?
Vorbild der Kleinbronze ist erneut eine monumentale antike Skulptur des mythischen Helden Herkules, die sich zu Rubens´ Zeiten im Palazzo Farnese in Rom befand. Mit der Kunstsammlung der Farnese gelangte auch der Herkules im späten 18. Jahrhundert nach Neapel, wo sie heute zu den Highlights des Archäologischen Museums gehört.

Und davon gibt es nun auch wieder Rubens-Zeichnungen, die er als Grundlage für spätere Gemälde genommen hat?
Ja, auch von dieser Antike war Rubens begeistert, weshalb er auch sie in zahlreichen Zeichnungen für sich dokumentierte. Diese Zeichnungen verwandte er später für Heldendarstellungen – sei es Herkules selbst wie in dem Gemälde „Herkules bei Omphale“, heute im Louvre in Paris, sei es ein christlicher „Held“ wie der Heilige Christophorus, der die Außenseiten des monumentalen Kreuzabnahme-Triptychons in der Kathedrale von Antwerpen schmückt. Wir zeigen Rubens´ Entwurf für diesen Altarflügel im „Modello“ aus der Alten Pinakothek in München, gleich neben der Bronzereplik des „Herkules Farnese“ aus Washington.  
 
Wenn man sich den „Herkules Farnese“ in Ihrer Ausstellung anschaut, dann ist das kein griechischer Modellathlet mehr, sondern das, was wir heute als Bodybuilder kennen. Wären heutige Bodybuilder Rubens‘ Ideal vom männlichen Körper?
Rubens´ Körperideal war in perfekter Form in der antiken Skulptur überliefert. Seiner Meinung nach war das Menschengeschlecht seit der Antike verweichlicht und daher nicht mehr in der „Form“ wie die antiken Helden. So griff er auf das Vorbild der antiken Bildhauer zurück. Dennoch wollte er keine angemalten Skulpturen in seinen Bildern zeigen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut. Das führte gelegentlich zu einer Überbetonung der Muskeln der Männer, mit dem Ergebnis, dass einige tatsächlich an moderne Bodybuilder erinnern.

Rubens‘ muskulöse Männerkörper orientieren sich an antiken Skulpturen, die er während seines Rom-Aufenthaltes zu Gesicht bekam und auf Zeichnungen festhalten konnte. Warum arbeitete Rubens eigentlich nie mit lebenden Aktmodellen?
Überspitzt gesagt, interessierte sich Rubens nicht für die Natur, sondern immer für die Kunst. Insofern sind seine Aktfiguren auch nie das Ergebnis eines aktiven Aktstudiums nach lebenden Modellen, sondern immer Verwandlung antiker Vorlagen.

Wir haben jetzt viel über Männer, bzw. Männerkörper gesprochen. Landläufig ist Rubens eher für seine Frauendarstellungen bekannt, eben Frauen mit „Rubensfigur“, das was man als füllig bezeichnet, Schwabbelbauch und Hüftringe. Fast beiläufig räumt Ihre Ausstellung auch damit auf. Rubens‘ Frauenideal hat sich über die Jahre gewandelt, sagen Sie (und Ihre Ausstellung zeigt das). Wie das?
Rubens Schaffenszeit erstreckt sich mehr als 40 Jahre – da kann es nicht ausbleiben, dass sich auch sein weibliches Figurenideal wandelt. Er beginnt mit sehr schlanken, elegant gedrehten Frauenkörpern, wie es dem Spätmanierismus seiner Lehrergeneration entsprach. Diesen Stil sehen wir dementsprechend in seiner noch vor 1600 entstandenen Darstellung des „Urteils des Paris“, wer denn die schönste aller Göttinnen sei, das wir aus der National Gallery in London ausgeliehen haben. Zwei spätere Darstellungen des Paris-Urteils, beide aus dem Prado in Madrid, zeigen in unserer Ausstellung dann, welche Folge zunächst der Eindruck der venezianischen Malerei, dann der antiken Skulptur auf Rubens hatte. Noch ein Wort zu einem der zählebigsten Rubens-Vorurteile in Sachen Frauendarstellung: Orangenhaut! Wenn Sie bei irgendeinem Rubens-Bild so etwas wie Orangenhaut sehen, dann ist das nicht Rubens´ Schönheitsideal weiblicher Haut, sondern das Ergebnis einer dramatischen Fehlbehandlung seines Bildes durch spätere Künstler oder Restauratoren, die die Malerei mit zu viel Hitze behandelt haben, so dass sich die Malschicht in einem klassischen Schadensbild pünktchenartig zusammengezogen hat…

Ihre Ausstellung wartet noch mit einer zweiten These auf…
Erneut etwas zugespitzt: Rubens sucht immer die Auseinandersetzung mit der Kunst seiner Vorläufer. Er tritt mit ihnen in einen künstlerischen Überbietungswettbewerb ein, bei dem der gebildete zeitgenössische Kunstkenner im neu entstehenden Gemälde den überbotenen Ausgangspunkt im Werk eines anderen Künstlers – idealiter eines berühmten, allseits bekannten – wiedererkennt. Dieser künstlerische Wettbewerb, der in der barockem Kunsttheorie mit dem gelehrten latenischen Begriff der „Aemulatio“ bezeichnet wird, prägt Rubens´ Werk in ganz besonderem Maße, es sei exemplarisch nur an das Ecce Homo und den Kentauren erinnert!   

Insbesondere auf Tizian, den führenden Vertreter der venezianischen Malerei im 16. Jahrhundert, scheint es Tizian abgesehen zu haben. Warum nicht auf Michelangelo, dessen Werke Rubens ja in Rom gesehen haben wird, und dessen Ideal des muskulösen männlichen Körpers ihm viel näher gewesen sein dürfte.
Tizian war für Rubens das große Vorbild, wenn es um Malerei und Kolorit ging. Außerdem strebte er dem großen Künstler auch deshalb nach, weil der erstmals als Maler in den Adelsstand erhoben worden war. „Malerfürst“ – das wollte Rubens auch werden, und das wurde er auch gleich zweifach, weil ihn sowohl der spanische König Philipp IV. als auch der englische Monarch Karl I. in den späten 1620er Jahren in den Adelsstand erhoben. Michelangelo interessierte Rubens durchaus, als berühmter Künstler des 16. Jahrhunderts, aber vor allem als Vermittler antiker Skulptur.

War Rubens ein Angebertyp, der es allen zeigen musste („Alles, was Ihr könnt, kann ich besser als Ihr“), oder war ein solcher Wettbewerb unter Künstlern im 17. Jahrhundert gang und gäbe?
Wettbewerb war ganz normal, aber Rubens brachte nicht nur ganz außergewöhnliches Talent mir, sondern auch ein megagroßes Ego, keine Frage.

Der Erfahrungshorizont des Kunstpublikums im 17. Jahrhundert war natürlich ganz anders als unserer heutiger. Wenn ein kunstsinniger Betrachter im 17. Jahrhundert ein Rubens-Gemälde anschaute, erkannte er die antiken Vorbilder (Skulpturen) oder die Bilder, die Rubens  übertreffen wollte oder sind diese Verbindungen gleichsam Ihre Entdeckung?
Die zeitgenössischen Kunstkenner waren zu diesen Entdeckungen schon fähig, der „normale“ Sammler und Betrachter sicher nicht. Das war damals so wie heute. Insgesamt muss man sich aber natürlich klarmachen, dass die Kunst im 17. Jahrhundert kein Massenphänomen war, sondern etwas, was sich primär an eine Elite richtete.

Hätte eigentlich das Kölner Rubens-Bild, die in der Jesuitenkirche Sankt Peter gezeigte „Kreuzigung Petri“ (1604/05), auch in Ihre Ausstellung gepasst?
Keine Frage, das Bild steckt ja voller Anspielungen auf Rubens´ Lieblingsvorbilder, beginnend mit Caravaggio und endend mit Antikenbezügen, etwa zum Laokoon. Aber das Gemälde hat eine Größe, die eine Ausleihe aus konservatorischen Gründen absolut ausschließt. Aber so kann das ja auch ein schöner Anlass sein, im Anschluss an den Besuch der Rubens-Ausstellung im Städel auch einen Abstecher nach St. Peter zu machen!
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Die Ausstellung „Rubens – Kraft der Verwandlung“ im Städel-Museum Frankfurt am Main ist noch bis zum 21. Mai 2018 zu sehen.
www.staedelmuseum.de

Autor: Von Christoph Mohr
Foto: Peter Paul Rubens (1577-1640), Ecce homo, vor 1612