Die pro-palästinensische Demonstration auf dem Kölner Roncalliplatz am 23. Oktober 2023.

Köln | Es waren 500 Menschen für eine pro-palästinensische Kundgebung auf dem Kölner Roncalliplatz angemeldet. Gekommen sind am gestrigen Sonntag ein wenig mehr. In der Spitze dürften es rund 600 Menschen gewesen sein. Über zwei Stunden lang wurde die Menge mit den immer gleichen Parolen aufgepeitscht und wenn die Stimmung zu kippen drohte, von denen am Mikrofon beruhigt. Es gab Auflagen der Kölner Polizei, etwa das Existenzrecht Israels nicht in Frage zu stellen oder nicht zu Hass und Gewalt aufzurufen. Offen bleibt die Frage, wurde das immer eingehalten und wie viel Interpretationsspielraum gibt es eigentlich?

Ein verschworener Gemeinschaftskreis putscht sich gegenseitig auf

Dicht gedrängt in einer kreisrunden Form standen die Unterstützerinnen und Unterstützer rund um die Menschen, die vor dem Bauzaun des Domhotels standen und die Menge mit Parolen aufpeitschten. Es waren zwei Stunden, in denen immer die gleichen Parolen gerufen wurden. In diesen über zwei Stunden fehlte ein Wort: Frieden. Die Kundgebung war weniger politische Meinungsäußerung als vielmehr ideologische Beeinflussung: sie sollte indoktrinieren, aufpeitschen und aufstacheln. In den Momenten, wo die Macherinnen und Macher befürchteten ihre Aufstachelung könnten die Versammlung kippen lassen, wirkten sie durch Handbewegungen oder Aufforderung einmal ruhig durchzuatmen auf die Versammlung ein. Bei denen, die sich dicht um die Rednerinnen und Redner im Kreis formiert hatten funktionierte das so gut, dass sie immer enger zusammendrängten, dass es selbst den Organisatoren zu eng wurde. Bei Passantinnen und Passanten verfing die Meinungskundgebung gar nicht, sondern führte in den allermeisten Fällen zu Kopfschütteln und Abwendung.

Die politische Forderung wird offen nicht ausgesprochen und versteckt sich hinter Synonymen

Wenn Sie Demonstrationen und Kundgebungen kennen, weil Sie schon einmal eine besucht haben, dann kennen Sie den immer gleichen Ablauf. Es werden Reden gehalten, die politische Forderungen formulieren und ab und an rufen die Demonstranten ihre Parolen. Das war auch bei Demonstrationen zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine so. Daher sind Demonstrationen, Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit unbestritten für die Demokratie so wichtig.

Das gilt auch für Menschen aus Palästina, die sich zur politischen Situation in Gaza oder dem Westjordanland artikulieren wollen.  Auf dem Roncalliplatz in Köln ist daher die Kundgebung als Versammlung an sich nicht zu beanstanden oder in Zweifel zu ziehen. Allerdings muss sie sich inhaltlich und im Kontext der kritischen Prüfung stellen. Und es ist richtig, dass die Polizei Köln im Kontext der aktuellen Konfliktsituation Auflagen macht. Der Staat muss diese Versammlungen dahingehend kontrollieren, ob etwa gegen Auflagen verstoßen wird oder aus dieser Demonstration heraus Straftaten verübt werden. Das ist Aufgabe der Polizei.

Um das Zuhören und das Zusehen zu ermöglichen müssen die Anmelder dies gewährleisten. Für die Polizei und für Medien. Hier wünscht man sich von der Kölner Polizei, dass sie dies sicherstellt, auch um festzustellen, ob ihre Auflagen eingehalten werden. Aber genau das war am Sonntag auf dem Kölner Roncalliplatz nicht immer sichergestellt. Nur wer ganz nahe an die Redner herankam, hatte eine Chance mitzubekommen, was vorne gerufen und gesagt wurde. Selbst aus den Reihen der Demonstrantinnen und Demonstranten wurde immer wieder der Ruf laut, dass das Gesagte zu leise sei.

Die Auflagen der Polizei

Die Kölner Polizei erklärte gegenüber report-K, dass eine der Auflagen war, dass Israel nicht das Existenzrecht abgesprochen werden dürfe. Aber ab wann stellen Redner das Existenzrecht Israels in Frage oder negieren dies? Diese Frage wirft das kurz  vorgetragene Statement eines Mannes auf, der eine der skandierten Parolen in einen Kontext stellte. Er fing historisch im Jahr 1948 an und sprach für die Palästinenserinnen und Palästinenser von „unserer Heimat“. Was er damit meinte, verdeutlichte er und nannte in diesem Zusammenhang die Städtenamen Yaffa und Haifa. Durch diese Einordnung, was der Mann unter Heimat versteht, wurde er konkret und bezog sich auf das Staatsgebiet Israels, das die UNO so in ihrem Teilungsplan bestätigte. Machte der Mann damit nicht aus einer Propaganda-Parole, die auslegungsbedürftig und auslegungsfähig ist, einen konkreten Sachverhalt? Weiter sagte der Mann „das ist unsere Heimat und unser Recht diese zu nehmen“. Er fordere vom „zionistischen Staat“ seine Heimat zurück. Stellt der Mann hier das Existenzrecht Israels nicht in Frage? Aktuell finde dort in seiner Heimat „Kindermord“ statt, sagte der Mann. Die Palästinenser litten seit 75 Jahren. Heute lebten sie in palästinensischen Lagern etwa in Jordanien und auf der ganzen Welt. Dies geschehe vor den Augen der ganzen Welt und vor denen unserer muslimischen Brüder. Es folgen Allahu Akbar Rufe aus der Menge. Es sei Hoffnung da, fährt der Mann fort und sagt: „Wir haben Recht. Die Palästinenser werden sich früher oder später ihr Recht holen“. Sie kommen von überall und damit meint der Mann jüdische Menschen, die nach Israel kommen. Der Redner: „Ich bin der Palästinenser und nicht sie. Ich komme von dort. Wir wollen unsere Heimat zurück. Inschallah.“ Also, so Gott will. Im direkten Anschluss an dieses Statement skandierten die Sprecherinnen und Sprecher, der Mann und die Menge: „Stopp den Mord – Stopp den Krieg – Palästina bis zum Sieg“ und weiter: „Gaza Gaza ist in Not – hat kein Wasser und kein Brot – viele Kinder sind schon tot – Krankenhäuser sind zerstört – Deutsche hört – Deutschland finanziert – Israel bombardiert – Wir sind hier – Weil man uns die Heimat klaut – Deutsche Medien lügen – Lasst Euch nicht betrügen.“ Daneben kam es zu Aussagen wie „Palästina wird eines Tages frei sein“ oder „Palästina bleibt immer bei den Palästinensern“, die Israel in Frage stellen.

Auch „From the River to the Sea – Palestine will be free“ wird auf der Kundgebung genannt. Hier wird ganz klar formuliert vom Fluß Jordan bis zum Mittelmeer werde Palästina frei oder befreit sein. Auch hier kann weit ausgelegt werden, aber am Ende ist eines mehr als klar: Da hat kein Staat Israel Platz.

Diese Parolen wurden, wie auch „Stoppt den Genozid“ oder „Stopp den Kindermord“, „Kindermörder Israel“, „Frauenmörder Israel“ oder „Free Free Palastine“ gerufen. Begriffe wie Apartheid, der Ruf nach internationaler Solidarität und dem „Boycott Israels“ wurden ebenso laut.

Die Fragen, die gestellt werden müssen und die auch vor der Wichtigkeit des Schutzes der Versammlungsfreiheit legitim sind und nicht nur juristisch, sondern auch moralisch ethisch debattiert und definiert werden müssen: Ab wann findet „Aufstachelung zum Hass statt“?

Wie kann geklärt werden, wann Aufstachelung zum Hass stattfindet?

Eigentlich gibt es dazu Regeln und Definitionen aus dem Framework „Faith for Rights“, die im Artikel 20, Absatz 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte „International Covenant on Civil and Political Rights, ICCPR“ aus dem sogenannten Rabat Plan of Action 2012 festgelegt sind. Dabei liegen die Messlatten niedrig und zugleich hoch, da Artikel 20 vermeiden will, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird und dies eine Ausnahme bleiben müsse. So soll durch Gesetz jedes Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass durch Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird, verboten werden. In der Definition sind Begriffe wie „Hass“ und „Feindseligkeit“ auf intensive und irrationale Gefühle der Schande, Feindschaft und Verachtung gegenüber denen die adressiert werden.  Eintreten für Hass findet dann statt, wenn der Hass gegenüber dieser Gruppe öffentlich gefördert wird. Aufstacheln geschieht dann, wenn sich auf Aussagen über nationale, rassische oder religiöse Gruppen, die ein unmittelbares Risiko schaffen für Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt gegen Personen, die diesen Gruppen angehören, bezogen wird. Aber es gibt, herausgegeben von den United Nations Human Rights, einen Schwellenwert-Test, der sechs Punkte umfasst. Gefordert wird eine Analyse des Kontext, in dem die Aussage getroffen wird und die Äußerung sollte in den sozialen und politischen Zusammenhang eingeordnet werden, die zum Zeitpunkt der Rede vorherrschte. In diesem Fall den Terrorangriff der Hamas auf Israel vor zwei Wochen. Die Position des Redners, der zur Gruppe spricht. Das ist in diesem Fall besonders schwierig, da dies für Außenstehende Beobachter wie Polizei vor Ort oder Journalisten nur schwierig sein dürfte, vor allem wenn Reden auch auf Arabisch vorgetragen werden. Artikel 20 des ICCPR setzt Absicht voraus und die Aktivierung einer Dreiecksbeziehung zwischen dem Sprecher, dem Publikum und der Zielgruppe des Hasses. Und es geht um die Prüfung von Inhalt und Form. Wo lag der Grad der Provokation, der Direktheit der Rede, der Stil, die Art, die vorgebrachten Argument und eine Ausgewogenheit zwischen den vorgebrachten Argumenten.

Auch der Umfang der Rede, ob diese einer breiten Öffentlichkeit zugänglich ist, müsse geprüft werden. Nun ist Aufstachelung per Definition ein unvollständiges Verbrechen, denn die aufgestachelte Handlung muss nicht begangen werden. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit einschließlich der drohenden Gefahr, dass es dem Redner gelingt zu einer tatsächlichen Handlung gegen die Zielgruppe anzustiften? Dabei stellt der Aktionsplan von Rabat fest, dass die Täter von Vorfällen, die tatsächlich die Schwelle von Artikel 20 des ICCPR erreichen, häufig nicht verfolgt oder bestraft werden.

Kehren wir zurück auf den Kölner Roncalliplatz

Zwei Wochen nach dem zweifellos rechtswidrigen und verbrecherischen Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel und deren Morden an Jüdinnen und Juden sowie der Geiselnahmen ist ein Kontext gegeben, in den die Versammlung und die dort getroffenen Aussagen gestellt werden müssen. Das machen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch ihre Parolen deutlich und auch durch Tafeln, die hochgehalten werden mit Bildern, die genau diesen Zusammenhang herstellen wollen. Bei der pro-palästinensischen Demonstration auf dem Roncalliplatz wird zumindest ethisch und moralisch zu Hass aufgestachelt. Ob dies immer justiziabel ist, steht auf einem anderen Blatt Papier. Dies gilt es aber entschieden und genauestens zu prüfen. Vor allem vor dem Hintergrund weiterer pro-palästinensischer Demonstrationen in Köln und deren Wertung im Vorfeld. Eines dürfte wichtig sein: Die Kölner Polizei ist in der Pflicht genau hinzuhören und jedes Wort zu wägen – auch wenn es schwierig ist – was dort exakt gesagt wird.

„From the River to the Sea – Palestine will be free“ ist in ihrer abstrakten Form nicht strafbar. Vor dem Hintergrund der Taten der Hamas oder in Bezug auf Gaza ist aber § 140 Strafgesetzbuch („Belohnung oder Billigung von Straftaten“) zu prüfen. Im Zusammenhang mit den Taten der Hamas kann dieser Ausspruch als Billigung ihrer Taten im strafrechtlichen Sinne verstanden werden. Und die Kölner Polizei sollte prüfen wie weit Kundgebungen wie die am gestrigen Sonntag den öffentlichen Frieden stören. Das gilt für die Parolen, die Reden zur „Heimat“ die auf Städte in Israel konkretisiert wurden oder „From the River to the Sea – Palestine will be free“. Denn diese Parolen wurden nicht nur abstrakt gestellt, sondern richten sich an die Menschen, die hier leben und damit auch an die Kölner Jüdinnen und Juden. Schüren die Redner nicht genau Aggression, Unsicherheit und Angst und hetzen in Deutschland lebende Menschen gegeneinander auf, wenn sie solche Parolen in Köln auf dem Roncalliplatz verbreiten?

Es ist richtig, dass die Kölner Polizei die Situation erst einmal beobachtet und prüft. Es wird ein Lernprozess sein, wie damit umzugehen ist, was sagbar ist und was nicht. Demonstrationen grundrechtsfreundlich erst einmal zu gestatten ist richtig. Eines ist aber besonders wichtig: Richtig zuhören, und das muss immer und zu jeder Zeit gewährleistet sein, bei einer öffentlichen Veranstaltung. So wie gestern auf dem Roncalliplatz, dass Reden nur in nächster Nähe hörbar waren, sollte die Kundgebung nicht noch einmal stattfinden.

ag