Der berühmte böse Blick der Elfriede Jelinek
Elfriede Jelinek, Literatur-Nobelpreisträgerin des Jahres 2004, kommentiert in ihren Texten regelmäßig die Tagespolitik. Zuletzt konnte man das bei der Kölner Uraufführung von „Die Kontrakte des Kaufmanns“ beobachten. Das erste Theaterstück zur Wirtschaftskrise war 2009 unter der Regie von Nicolas Stemann am Kölner Schauspielhaus ein großer Erfolg. An diesem Freitagabend brachte die Regisseurin Karin Beier gleich drei Theaterstücke der Nobelpreisträgerin auf die Bühne: „Das Werk“ wurde schon vor sieben Jahren geschrieben und behandelt die Geschichte des Wasserspeichers von Kaprun. „Im Bus“, ursprünglich für den vor kurzem verstorbenen Christoph Schlingensief geschrieben, ist dabei das kürzeste der drei Stücke und kann in der Aufführung als Zwischenspiel betrachtet werden. Der Hintergrund: 1994 stürzte in München ein Linienbus in eine Grube, die durch einen U-Bahnbau entstanden ist. Zuletzt dann noch „Ein Sturz“, der um den Einsturz des Kölner Stadtarchivs im letzten Jahr geht. Insgesamt also ein volles Programm, das eine ganze Menge Hintergrundinformationen erfordert.

Die neuen Texte entsprechen dabei ganz der Verfahrensweise Jelineks, mit der wohl nicht jeder Leser etwas anzufangen weiß: Mit Ausnahme von „Die Klavierspielerin“ hat es eine klassische Romanhandlung bei dieser Autorin nie gegeben. Stattdessen bekommt man vielschichtige Wort- und Satzkompositionen vorgesetzt, die der Leser selbst entziffern und einordnen muss. Jelineks produktiver Schwerpunkt hat sich in den letzten Jahren vom Roman zum Theater gewendet. Prinzipiell aber sind die Texte in ihrer Struktur ähnlich geblieben. Ein Vorteil beim Theater liegt darin, dass man als Zuschauer einen professionell gesprochenen Text und damit schon einen Interpretationsansatz mitgeliefert bekommt.

Karin Beiers aufwändige Inszenierung
Wer ein Stück von Elfriede Jelinek auf die Bühne bringen will, muss das auf eine Weise tun, die sich prinzipiell von herkömmlichen Aufführungen unterscheidet. Die aufgeteilte Rede mit Unterbrechungen und Zwischenrufen macht es schon auf dem Papier immer wieder schwer, dem Text mit seinen Anspielungen und Zitaten zu folgen. Aber bei dieser Autorin ist das nichts Neues. Man hat bei Regisseuren wie Einar Schleef, Nicolas Stemann oder Christoph Schlingensief schon beobachten können, wie die vielschichtigen Kompositionen aus Rede und Gegenrede in eine Form gepresst werden. Und ähnlich verfährt auch Baier: Ein Kölner Männerchor in Unterhemden erinnert in seiner Aufstellung an Schleefs mittlerweile klassische Bühnenversion von Jelineks „Ein Sportstück“. Wenn die Autorin von einer Schauspielerin auf der Bühne durch übertriebenen Dialekt und eine zeitweise aufgesetzte Rehmaske ironisch dargestellt wird, erinnert das an die Regie von Nicolas Stehmann. Und die manchmal hysterischen Unterbrechungen und Zwischenrufe können mit Schlingensiefs Bühnenstil verglichen werden.

Dennoch kopiert Karin Beier nicht ältere Inszenierungen, sondern orientiert sich stellenweise an bewährten Konzepten, die das mitunter sehr sperrige Material in der Vergangenheit in eine Form gebracht haben. Die Übergänge der einzelnen Teile sind in diesem Fall zwar klar umrissen, aber die Themen sind so ähnlich, dass dieses Stückwerk am Ende doch so etwas wie ein harmonisches Ganzes ergibt. Nicht nur in dieser Hinsicht hat die Regie ganze Arbeit geleistet.

Technik und Versagen – „Das Werk“ und „Im Bus“
Der Anfang des Theaterabends ist fast schon minimalistisch gehalten: Ein einzelner Sprecher rezitiert mit Mikro die ersten Zeilen von Jelineks Text als schmieriger Verkäufer mit dem Pathos eines Politikers. Nach der Einleitung geht der Vorhang auf und zeigt mehr als ein Dutzend teilweise maskierte Figuren. Wasserflaschen stehen und liegen auf Holztischen. Es tropft. Während der Bühnenboden immer nasser wird, ist eine Putzfrau damit beschäftigt, den Boden zu wischen. Bald schon sprühen und spucken die Schauspieler Wasser auf die Bühne, während Sand von der Decke träufelt. Während die Unordnung immer größer wird, rezitieren die Schauspieler Jelineks Sätze. Das ist ein solider Anfang, aber noch kein Höhepunkt des Theaterabends. Die Inszenierung nimmt erst am Ende von „Das Werk“ wirklich an Fahrt auf. Ein Dirigent koordiniert dabei etwa vierzig Stimmen eines Chors, der mit- und gegeneinander spricht und singt. Die komplexe akustische Einlage ist der Höhepunkt der Aufführung vor der Pause.

Mit dem sich direkt anschließenden „Im Bus“ verwandelt sich die Bühne in ein Trümmerfeld, auf dem Tote und Halbtote trauern und streiten. Drei Bauarbeiter-Architekten erscheinen als hysterische Knallchargen und weisen – natürlich – jede Schuld von sich. Überhaupt: Kein Verantwortlicher will mit bösen Folgen etwas zu tun haben. Und an Rücktritt denkt auch auf dieser Bühne niemand. Das kennt man längst aus der Tagespolitik – und nicht nur aus Köln oder Duisburg. Schuld sind immer höhere Kräfte. In diesem Fall die Elemente Wasser und Erde, die nicht recht zusammenpassen wollen.

Dat Wasser kütt! – „Ein Sturz“ des Kölner Stadtarchivs
Der letzte Teil, „Ein Sturz“, ist für die Stadt Köln ohne Zweifel die interessanteste Angelegenheit. Das Bühnengeschehen ist passend dazu besonders aufwändig. Der letzte Teil ist ganz vom Wasser bestimmt – und zwar buchstäblich: Hat es vorher noch aus Flaschen auf den Boden getropft, lautet das Motto zuletzt „Wasser Marsch“: Ein Spalt in der Bühnenmitte wird zum Tümpel, aus Rohren sprudelt es kräftig und eine Fontäne sprüht senkrecht in die Höhe, so dass die Bühne zunehmend geflutet wird und man sich Sorgen macht, wie das zusammen mit der Elektrik funktionieren kann.

Das Versagen von Technik steht auch thematisch immer wieder im Vordergrund. Notebooks und Aktenordner versinnbildlichen die sterile Bürokratie einer Stadt, die sich verkauft hat. Absurde Bürotüchtigkeit ist hier die Karikatur der modernen Leistungsgesellschaft. Der Text wird zeitweise monoton und stotternd von einer Computerstimme rezitiert. Kritik am Vorgehen tönt als Störfunk aus einem Radio, das im Wasser oder in einer Mülltonne versenkt wird. Die Regie stellt immer wieder direkte Bezüge zum Ereignis her: Texte werden auf Kölsch vorgetragen, Karnevalsjecken treten auf und auch der Obrbürgermeister wird erwähnt. Der Schwerpunkt der Vorlage liegt aber nicht auf einer Analyse des Einsturzes.

Beeindruckendes Theater im Schauspielhaus
Insgesamt ist die Aufführung beeindruckendes Theater –  was auch auf die Schauspieler zurückgeht. Erwähnenswert sind dabei vor allem Thomas Loibl, der vor allem im ersten Teil eine tragende Rolle spielt, und Susanne Barth durch ihre gelungene Darstellung der Autorin. Herausragend ist aber vor allem Kathrin Wehlisch, deren extreme Verkörperung des Wasserelements eine wirkliche Leistung ist. Dennoch kann man bei einer Inszenierung, die keine klassischen Charaktere auf die Bühne bringt, nur schlecht einzelne Schauspieler hervorheben.

Anhaltender Applaus beendete zuletzt einen gelungenen Theaterabend, der kaum schlechte Kritiken nach sich ziehen dürfte. Selbst wenn man sich einen deutlicheren Bezug zur Kölner Katastrophe gewünscht hätte, bringen Stück und Aufführung doch ein Ereignis in Erinnerung zurück, das nicht sonderlich lange im medialen Gedächtnis erhalten geblieben ist. Man muss dankbar sein, dass es solche künstlerischen Zwischenrufe heute überhaupt noch gibt. Vor allem dann, wenn sie schnell erfolgen. Elfriede Jelineks Wunsch nach einer „theatralen Eingreiftruppe“ sollte sich mit der Inszenierung von Karin Beier auf jeden Fall erfüllt haben.

Edgar Naporra für report-k.de/ Kölns Internetzeitung