Gunter Demnig

Seit 1995 verlegt Gunter Demnig "Stolpersteine". Mit diesem Projekt macht er die Spuren der Opfer des Nationalsozialismus wieder sichtbar. Auf kleinen Messingtafeln schlägt er die Namen ein und die Stationen ihres Leidensweges, so weit bekannt. Die 10 x 10 großen Messingtafeln werden mit 10 x 10 cm großen Steinen verbunden. Diese Steine werden vor den Häusern verlegt, in denen die Menschen vor ihrer Deportation lebten. An rund 280 Orten in Deutschland, Österreich und Ungarn hat Demnig mittlerweile 12.500 "Stolpersteine" verlegt, die an die Verschleppung und Ermorderung von Juden, Sinti und Roma, "Euthanasie"-Opfer, Zeugen, Jehovas, politisch Gefangene, Homosexuelle und andere erinnert. Das Besondere am "Stolperstein"-Projekt ist, dass es aus der abstrakten Millionen-Zahl, wieder den Menschen die Opfer wurden, einen Namen gibt und erinnert. Aber nicht nur das, die "Stolpersteine" sind ein "Denkmal von unten". Sie entstehen dann, wenn sich Einzelpersonen, Vereine, Initiativen oder Schulklassen dafür interessieren, was während der NS-Zeit vor ihrer Haustür geschah. Dann fangen sie an zu recherchieren, übernehmen eine Patenschaft, die übrigens 95,00 Euro kostet, setzen sich ein, dass ihre Gemeinde die Verlegung genehmigt. Die Stolpersteine werden auf öffentlichem Grund und Boden verlegt und gehen in den Besitz der Kommune als Schenkung über. Oft sind die Paten, so zum Beispiel auch der Hamburger Oberbürgermeister Ole von Beust, bei der Verlegung dabei.

"Für mich ist es immer noch eine große Erschütterung, jedes Mal, wenn ich Buchstabe für Buchstabe einzeln einschlage. Das gehört aber für mich mit zu dem Projekt, weil ich mir so immer wieder bewusst werde, dass es sich um einen Menschen, einen einzigartigen Menschen handelt, um den es geht. Das waren Kinder,das waren Männder, Frauen, Nachbarn, Schulkameraden, Freundinnen, Kollegen… Und bei jedem Namen entsteht so eine Vorstellung in mir. Und dann gehe ich auch an den Ort, in die Straße, vor das Haus. Da rückt es noch einmal näher an einen heran. Es ist schmerzhaft, den Stolperstein zu legen, aber es ist auch gut, weil da etwas Zurückkehrt … wenigstens Erinnerung", so beschreibt Gunter Demnig seine Arbeit am Projekt "Stolpersteine". Nicht alle Menschen stehen dem Projekt "Stolpersteine" positiv gegenüber, so kritisiert zum Beispiel die Vorsitzende des Zentralrates der Juden Charlotte Knobloch das Projekt mit der Begründung, dass Demnig die Greuel nicht erlebt habe. Andere behaupten, die Opfer würden mit Füßen getreten. "In sieben Jahren, zwei Morddrohungen", auch das muss Gunter Demnig berichten, aber es gibt auch immer wieder Mutmachbeispiele, so wurden in Halle an der Saale acht Steine herausgerissen, sofort ermittelte der Staatsschutz und das spontan organisierte Benefizkonzert ermöglichte jetzt, dass statt acht 26 Steine in Halle an der Saale verlegt werden können.

Auch in der Ausstellung suchen Steine Paten. So zum Beispiel der Stein für Erich Sander. Der Sohn des bekannten Kölner Fotografen August Sander, engagierte sich seit 1925 in der "Kommunistischen Partei Deutschlands" gegen den aufkommenden Nationalsozialismus. Nach seinem Ausschluss aud er KPD trat Sander der "Sozialistischen Arbeiterpartei" bei. Ab 1932 leitete der die Kölner Gruppe. 1934 wurde Erich Sander von der Geheimen Staatspolizei verhaftet und wurde 1935 wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Seine Befreiung erlebte Erich Sander nicht mehr. Am 23.3.1944 starb Erich Sander im Zuchthaus Siegburg, die Todesursache ungeklärt. Sein Stein wird vor dem Haus Dürener Straße 201 eingesetzt werden.



Das Foto oben zeigt Lotte Siegellack mit ihren Kindern Max, Rosa, Simon und Klara im Jahr 1931 (v.l.n.r.). Darunter die Stolpersteine der Familie Siegellack, die einst in der Thieboldgasse wohnte und für die Paten gesucht werden.

In der Kölner THIEBOLDSGASSE 134 wohnte Familie Siegellack. Das Ehepaar Lotte Sarah und Rafael Siegellack war mit seiner Tochter Rosa während des Ersten Weltkriegs von Polen nach Köln gezo-gen, um vor dem Antisemitismus in Osteuropa Schutz zu suchen. Das Ehepaar führ-te im Viertel um den Griechenmarkt, wo sich viele ostjüdische Zuwanderer nieder gelassen hatten, ein kleines Lebensmittelgeschäft. Unter dem Druck des NS-Regimes wurde die wirtschaftliche Situation der Familie, die inzwischen vier Kinder zählte, immer schwieriger. Im Oktober 1938 wurde Rafael Siegellack nach Neubentschen deportiert; er starb 1939 in Polen, die Todesursache ist ungeklärt.Seine Frau floh mit den Kindern Klara und Simon 1938 nach Antwerpen. Nach der Besetzung Belgiens durch die deutsche Armee starb Klara 1940 auf der Flucht, Simon wurde im Zuge der „Euthanasie“ ermordet. Lotte Sarah Siegellack wurde nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Von den Kindern überlebten Rosa, die bereits 1936 nach Antwerpen emigriert und dort untergetaucht war, sowie Max, der 1939 nach Palästina emigrieren konnte. Als einziges Erinnerungsstück der Familie blieb ein Fotoalbum erhalten, das Max Siegellack mit in die Emigration genommen hatte.


Die Arbeit "Lemniskate 53"

Gunter Demnig entwickelte das Projekt "Stolpersteine" aus der 1990 gelegten Spur der 1000 Sinti und Roma. Mit einer selbstgebauten Druckmaschine, die auch in der Ausstellung zu sehen ist, markierte er in Köln den Weg der Sinti und Roma von ihren Wohnorten und häusern hin zum Kölner Deportationsgleis. Die Spur wurde in Zusammenarbeit mit dem Kölner Rom e.V. umgesetzt. Die Spur ist der Beginn der künstlerischen Auseinandersetzung des Gunter Demnig mit der NS-Zeit. In der Ausstellung zu sehen ist ebenfalls die Arbeit "Lemniskate 53". Dabei handelt es sich um eine Holzkonstruktion in Form einer liegenden Acht. Darauf eine Spielzeuglokomotive, des Modelleisenbahnherstellers Märklin. Der hat eine Kriegslokomotive nachgebaut, das Modell Br. 53, dessen Bau geplant war um die Kapazität der mit einem Zug zu transportierenden Menschen von 1.000 auf 2.000 zu erhöhen. Bei Borsig hatte die Reichsbahn die Lok bestellt, aber sie ging vor Kriegsende nicht mehr in Serie.

Wie wichtig das Projekt "Stolpersteine" auch heute noch ist, zeigt aktuell die Stadt München, in der von den Nationalsozialisten so genannten "Hauptstadt der Bewegung" liegt bis heute kein einziger Stolperstein. Schlimmer noch, bereits gelegte Stolpersteine wurden wieder entfernt. Aber auch in Köln dauerte es von der Idee 1994 bis ins Jahr 2000 bis der Rat der Stadt Köln die Schenkung annimmt. Wenn man Demnig bei der Aufzählung der Ämter mit denen er allen Kontakt aufnehmen musste zuhört kann man nur erahnen wieviel Kraft den Künstler die Durchsetzung dieses Projektes kostete und welche Widerstände zu überwinden waren. Die Ausstellung macht noch einmal klar wie berechtigt die Verleihung der "Alternativen Ehrenbürgerschaft" an Gunter Demnig war und wie sein Wirken für die Bürgerstadt Köln international leuchtet. Aber Demnig wäre nicht Demnig, wenn er sich selbst in den Vordergrund stellen würde, nein es ist seine Arbeit und die Geschichten über die ermordeten Menschen die im Rampenlicht stehen. Zur Ausstellung ist auch ein Buch über das Projekt "Stolpersteine" von Gunter Demnig im Emons Verlag erschienen.

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NS-Dokumentationszentrum bietet größte Stolperstein-Datenbank im Netz
1.539 Schicksale sind bereits im Internet unter
www.nsdok.de dokumentiert. Die Kölner Fotografin Karin Richert hat jeden Stolperstein fotografiert und die Fotos sind jetzt mit der Datenbank des NS-DOK verknüpft, die die Schicksale der Menschen dokumentiert. Das NSDOK plant die vorhandenen Geschichten zu ergänzen und zu erweitern. Das NSDOK bietet interessierten Schülerinnen und Schülern im Rahmen von Projektarbeiten an sich an der Dokumentation und Verbesserung der Dokumentation zu beteiligen.

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Das Buch
Stolpersteine
Gunter Demnig und sein Projekt

Herausgegeben vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Text: Deutsch – Englisch
Broschur, Köln
Emons Verlag 2007
Zahlreiche Abbildungen
96 Seiten
ISBN 978-3-89705-556-9
Preis: 9,80 Euro

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INFOBOX: Gunter Demnig und das Projekt Stolpersteine
Gunter Demnig – die Biografie

1947 >>> geboren am 27. Oktober in Berlin
1967-1979 >>> Studium der Kunstpädagogik an der Hochschule für bildende Kunst Berlin bei Prof. Herbert Kaufmann sowie Industrial Design (1969-1970), der Kunstpädagogik an der Kunstakademie / Gesamthochschule Kassel (ab 1971), der Freien Kunst an der Universität Kassel, Atelier Kramer (1974-1977)
1980-1985 >>> Künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Kunst an der Universität Kassel
seit 1985 >>> Atelier in Köln

Kunstaktionen (Auswahl)
1980 >>> Duftmarken Kassel-Paris
1981 >>> Blutspur Kassel-London
1982 >>> Ariadne-Faden Kassel-Venedig
1982 >>> Flaschenpost Kassel-New York
1983 >>> KASSEL 22. OKTOBER – ZEHNTAUSEND TOTE
1984 >>> Landschaftskonserven
1985 >>> Staubspur Kassel-Köln
1988 >>> Einreise Entry Entré Vjezd Berlin
1990 >>> Mai 1940 – 1000 Roma und Sinti
2000 >>> The walls of Jericho
Hörgänge
2001 >>> Schwarze Mauer
2002 >>> Menschenrechte
HIER WOHNTEN SIE

Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen 1981-2007 (Auswahl)
Kunstakademie Kassel; Alte Oper, Frankfurt am Main; Galerie Brusten, Wuppertal; Moltkerei-Werkstatt, Köln; Het Apollohuis, Eindhoven; Friedensbiennale Hamburg; Kunsthalle Baden-Baden; Kölnisches Stadtmuseum; Hamburger Kunsthalle; Neuer Berliner Kunstverein; Kommunale Galerie Bremen; Münchener Stadtmuseum; Staatliche Gemäldegalerie Moskau; Eremitage Leningrad; Glaskasten Marl; Stichting Logos, Gent; Studio Galerie, Hamburg; Kunstverein Kassel; Künstlerhaus Bethanien, Berlin; Kunstverein Lingen; ZKM Karlsruhe; Ludwig Forum, Aachen; Städtische Galerie Fellbach; EXIT-Art, Köln; Galerie 68elf, Köln; Antoniter-Kirche, Köln; Muzejsko Galerijski Centar, Zagreb; Akademie der Künste, Berlin; Kunsthalle Köln; Kunsthaus Hamburg; Egon-Schiele-Zentrum, Cesky Krumlov; Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin; Akademie der Künste, Berlin; Internationales Klangfestival, Osnabrück; Oberösterreichische Landesgalerie, Linz; Internationales Klangfestival, Luzern; Domforum Köln; Städtische Galerie Katowice; Kunstverein Lingen; Musiques en Scène, Lyon; Hessisches Landesmuseum Darmstadt; Internationales Musikfestival Millstadt; Deutschlandradio Köln; Antwerpen ‘HÖRGÄNGE‘; Stadtmuseum Bydgosz; NS-Dokumentationszentrum, Köln; Städtische Museen, Heilbronn; Galerie 2B, Budapest

Auszeichnungen
2004 >>> Max-Brauer-Preis der Alfred Toepfer Stiftung FVS, Hamburg
Herbert-Wehner-Medaille der Gewerkschaft ver.di
2005 >>> German Jewish History Award der Obermayer Foundation
Jugendpreis „Das rote Tuch“
Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland
2006 >>> Alternative Ehrenbürgerschaft, Köln
[Bericht über die Verleihung der Alternativen Ehrenbürgerschaft lesen >>>]

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Projekt Stolpersteine

1990
Gunter Demnig entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Kölner Rom e.V., einem Verein zur Verständigung von Rom (Roma und Sinti) und Nicht-Rom, das Projekt „Mai 1940 – 1000 Roma und Sinti“. Er markiert mit einer Farbspur anlässlich des 50. Jahrestages der Deportation am 6. Mai 1990 den Weg, über den die Opfer aus Köln von ihren Wohnorten aus zum Deportationsgleis abtransportiert wurden. Die „Spur“ ist zugleich der Beginn einer bis heute andauernden künstlerischen Beschäftigung Gunter Demnigs mit den Verbrechen des Nationalsozialismus.

1992
Wiederum in Kooperation mit dem Rom e.V. erinnert Gunter Demnig am 16. Dezember 1992 in einer Kunstaktion an die Deportation der Sinti und Roma: Anlässlich des 50. Jahrestages des Befehls Heinrich Himmlers, die „Zigeuner“ aus dem Deutschen Reich in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau zu deportieren, legt Demnig den ersten Stolperstein vor dem Kölner Rathaus.

1993
Die 12 Kilometer lange „Spur“ verwittert. Es wird ein Antrag gestellt, die Spur unter Denkmalschutz zu stellen. Der Rat der Stadt beschließt, sie an ausgewählten Stellen zu konservieren. Seit Januar 1993 ist sie an 22 Orten im Stadtgebiet als Messingschriftzug in den Bürgersteig eingelassen. Die Finanzierung erfolgt über Spenden. Diskussionen mit einer Anwohnerin, die abstreitet, dass jemals „Zigeuner“ in der Nachbarschaft gelebt hätten, regen Gunter Demnig dazu an, sein Erinnerungsprojekt noch konkreter auszulegen.

1994
Er entwickelt das Projekt „Stolpersteine – Hier wohnte …“ und fertigt 230 Steine, die an deportierte Sinti und Roma, Juden und andere NS-Opfer erinnern, um sie vor den ehemaligen Wohnhäusern zu  verlegen. Vom 18. September bis zum 10. November 1994 werden die Stolpersteine in der Kölner Antoniterkirche ausgestellt.

1995
Am 4. Januar 1995 werden die ersten Steine im Kölner Griechenmarktviertel verlegt. Eine Genehmigung für das Projekt gibt es noch nicht.

1996
In Berlin-Kreuzberg verlegt Gunter Demnig – erneut ohne Genehmigung  im Rahmen der Ausstellung „Künstler forschen nach Auschwitz“ in der Neuen Galerie für Bildende Kunst 51 Stolpersteine. Bis Jahresende werden weitere Stolpersteine in Köln-Ehrenfeld verlegt.

1997
Gunter Demnig beginnt in Köln einen langen Marsch durch die Institutionen. Er führt Gespräche mit Kunstbeirat, Kulturausschuss, Bezirksverwaltungen, Tiefbauamt, Amt für Straßen- und Verkehrstechnik, Stadtplanungsamt, Haushaltsausschuss. Sein Ziel ist die Erlaubnis der Stadt, die durch Spenden finanzierten Stolpersteine auf öffentlichem Grund – den Bürgersteigen – verlegen zu dürfen. Unterstützung findet er unter anderem beim NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln.

2000
Das Jahr 2000 markiert den Durchbruch für das Projekt: Der Kölner Stadtrat nimmt die Stolpersteine als Schenkung an. Damit ist nicht nur der Weg für die Verlegungen in Köln geebnet, sondern auch ein Vorbild für viele andere Städte geschaffen. In der Bundesrepublik Deutschland, aber auch in der internationalen Öffentlichkeit stößt seitdem Demnigs „dezentrales Monument“ auf eine große Resonanz. An vielen Orten gründen sich Initiativen, die sich für eine Verlegung von Stolpersteinen in ihren Orten einsetzen.

2002
Die Autorin Uta Franke, die nach politischer Gefängnishaft in der DDR seit 1981 in Köln lebt, publiziert und Vorträge über die Geschichte der DDR hält, übernimmt die Gesamtkoordination des Projektes.

2006
Ende des Jahres sind rund 9.000 Stolpersteine in 200 Ortschaften verlegt. Die meisten Orte befinden sich in der Bundesrepublik Deutschland, sieben davon in Österreich.

2007
Das Projekt findet auch international immer stärkere Beachtung. Im Juni und August erste Verlegung von Stolpersteinen in Ungarn, im November in den Niederlanden.

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Die Ausstellung
Ausstellungseröffnung

Freitag, 26. Oktober 2007, 19 Uhr
NS-Dokumentationszentrum
Appellhofplatz 23-25
Köln-Innenstadt
Ausstellungsdauer: 27.10.2007 bis 13.1.2008
Öffnungszeiten: 
Dienstag-Freitag 10-16 Uhr
Donnerstag 10-18 Uhr
Samstag und Sonntag 11-16 Uhr
Eintritt: 3,60 Euro; ermässigt 1,50 Euro
(einschließlich Besuch der Daueraustellung und der Gedenkstätte)


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Andi Goral fürreport-k.de / Kölns Internetzeitung
(Quellen: NS DOK, vor allem Infobox)