Lessings momentan sehr populäres Ideendrama:
Lessings letztes dramatisches Werk gilt als erstes weltanschauliches Ideendrama. Die darin propagierte Toleranz gegenüber anderen monotheistischen Weltreligionen ist eng verknüpft mit den Grundsätzen der europäischen Aufklärung. Die bekannte Ringparabel, der Kern von "Nathan der Weise", hat dabei ihren Ursprung in Boccacios Decamerone, einem Schlüsselwerk der europäischen Renaissance: Ein Ring soll nach dem Tod des Vaters an den liebsten der drei Söhne vererbt werden. Da der Vater sich aber nicht für einen entscheiden kann, lässt er perfekte Plagiate anfertigen, so dass am Ende alle einen Ring erhalten und das Original nicht mehr bestimmt werden kann.

"Nathan der Weise" ist mittlerweile 228 Jahre alt, aber die angesprochene Problematik gerade in der letzten Zeit wieder beängstigend aktuell: Religionskritik und damit zusammenhängende soziale Fragen spielen in unserer Gesellschaft eine weitaus größere Rolle als noch vor wenigen Jahren. Die Konkurrenz von Judentum, Christentum und Islam scheint mittlerweile fast ein zeitloses Problem geworden zu sein. Gleichzeitig werden die Grundsätze der europäischen Aufklärung immer wieder diskutiert. So ist Lessings Drama heute wieder viel mehr als dröge Schullektüre. Das hat zweifellos auch die deutsche Theaterwelt erkannt: "Nathan der Weise" ist nach wie vor ein enorm populäres Stück an deutschen Bühnen. So ist beispielsweise eine Bearbeitung am Schauspiel Köln in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Thalia Theater für das Frühjahr 2010 angekündigt.

Die Aufführung im Theater Tiefrot:
Das kleine, engagierte Theater Tiefrot hat sich seit seiner Gründung durch Volker Lippmann im Jahr 2002 einen festen Platz in der vielfältigen Kölner Theaterlandschaft erarbeitet. Als Literaturtheater liegt der Schwerpunkt dabei auf Klassikern wie Brechts "Baal" und Schillers "Die Braut von Messina". Aber auch modernere Stücke wie zuletzt "Clockwork Orange" finden sich im Programm. Mit etwa 60 Plätzen handelt es sich dabei um eine der kleineren Kölner Bühnen, was einerseits natürlich die inszenatorischen Mittel einschränkt, andererseits aber auch mehr Intimität zwischen Schauspielern und Publikum zulässt als manche größere lokale Bühne. Dass beim Theater Tiefrot der Idealismus an erster Stelle steht, versteht sich dabei von selbst, da so gut wie kein Theater dieser Größenordnung ohne Unterstützung finanziell überleben könnte.

Lippmanns Inszenierung von "Nathan der Weise" konzentriert sich auf das Wesentliche und nimmt dabei die Kernaussage von Lessings Stück ausgesprochen ernst. Modernisierungen halten sich dabei in Grenzen, und eine allzu deutliche Symbolik wird vermieden. So ist die Darstellung des Religionskonfliktes nicht überstrapaziert. Mehr als in manchen anderen Aufführungen des Klassikers scheint hier das Thema der Finanzen im Vordergrund zu stehen: Es geht um Geld und Zinsen, um Schulden und Abhängigkeit.

Auf ein ausgearbeitetes Bühnenbild verzichtet Lippmanns Inszenierung, bietet den Schauspielern lediglich zwei Hocker und einen schwarzen Hintergrund, so dass die Konzentration ganz auf den Darstellern und dem dargebotenen Text liegt. Das Ende des Stückes im Anschluss an den Enthüllungsdialog Nathans wirkt dabei ein  wenig abrupt, so dass die Isoliertheit des zentralen Charakters ebenso wie die durch Verwandtschaft unmöglich gemachte Liebesbeziehung zwischen Recha und dem jungen Tempelherren etwas untergeht.

Dezente musikalische Untermalung wird von Georg Wissels Klarinette erzeugt. Der Musiker hat militärische Kleiung an und sitzt anfangs und am Ende der Aufführung auf der Bühne, hält das Instrument in den Händen wie eine Schusswaffe. Dabei wechseln sich harmonische Abfolgen mit disharmonischen Tönen ab.

Joachim Berger verkörpert den reichen Kaufmann routiniert als im Wesen eher dezenten Geschäftsmann. Die Ringparabel wird von ihm ohne übertriebenen Pathos und fast schon im Plauderton als Anekdote erzählt. Volker Lippmann in der Rolle des Patriarchen überzeugt mit einem kleinen, aber sehr intensiven Auftritt. Hervorzuheben ist außerem Marcus M. Mies in der Rolle des Sulan Saladin, der dem Charakter das Wesen eines eher skrupellosen Geschäftsmannes gibt. Der Rest des kleinen Ensembles bietet den Zuschauern eine routinierte schauspielerische Leistung.

Sprache und Hintergrund von Lessings Stück mögen noch so altbekannt sein – Themen wie Humanismus und Toleranz bleiben gerade in Verbindung mit religiösen Aspekten brandaktuell. Die Inszenierung von Volker Lippmann verzichtet auf zwanghafte Modernisierungen, bleibt bodenständig und konzentriert sich auf zentrale Aspekte von Lessings dramatischem Gedicht.

Premiere:18.9. 2009
weitere Aufführungen: 19.9., 30.9., 1.10., 21.10.,23.10., 24.10., 4.11., 5.11., 5.11., 5.11., 7.11.,
Nathan der Weise
Theater Tiefrot
Dagobertstraße 32, 50668 Köln

mit: Marcus M. Mies, Fabienne Hesse, Joachim Berger, Gila Abutalebi, Ursula Wüsthof, Emanuel Fleischhacker, Mario Böttrich, Volker Lippmann, Jörg Kernbach
Regie & Bühne: Volker Lippmann
Kostüme: Dejan Radulovic
Licht & Technik: Lars Zastrow
Musik: Georg Wissel

Edgar Naporra für report-k.de / Kölns Internetzeitung
Foto: Theater Tiefrot