Blick auf die Menschen jenseits des Rheins

Köln | Der 14-jährige Lenni ist schon als Kind seinen ganz eigenen Weg gegangen. Dazu gehört, dass er sich nicht den gängigen Geschlechterrollen unterwerfen will. Sein Haar ist lang, er schminkt sich und trägt auch schon mal Kleidung, die eher für Mädchen gedacht sind. Das macht ihn in der Schule zum krassen Außenseiter, denn viel Verständnis bekommt er für seine Haltung nicht. Da ist nur Cleo, die mit ihm befreundet ist und die ihm immer wider den Rücken stärkt und Mut macht. Mit Emil, dem neuen Schüler aus seiner Klasse hat er eine Schicksalsgemeinschaft gebildet, man gibt sich Alibis, um den eigenen Eltern ein normales Leben vorspielen zu können. Auch Emil ist unter seinen Mitschüler nicht besonders beliebt und wird immer wieder drangsaliert.

Noch schlimmer trifft es Lenni, er wird von Luzie und ihrer Bande brutal gemobbt und erpresst. Um sicher und unversehrt leben zu können, muss er Geld zahlen und auch schon mal seine neuen Sneaker abgeben, die Luzie dann trägt. Die Bande zwingt der Jungen, auch von anderen Mitschülern erbeutetes Diebesgut abzukaufen. Lenni wird von dem rücksichtslosen Trio auch selbst zum Täter gemacht und muss selbst seinen Schicksalsgenossen Emil misshandeln. Besondere Begehrlichkeit weckt bei der fiesen Bande, dass Emils Mutter Polizistin ist und eine Waffe besitzt, die Luzie und ihre Gang über Lenni unbedingt in ihren Besitz bringen möchte.

Mit den eigenen Eltern kann Lenni nicht über seine Sorgen reden. Seine Mutter kämpft sich durch ihr Leben als Einzelhändlerin in einer Boutique für Kinder. Und Lennis Vater, ein Musiker und Alleinunterhalter, führt ein Doppelleben, zu dem eine zweite Familie mit zwei Töchtern und einer Ehefrau gehören. Entscheiden will sich Jo nicht, weil er gerne beide Welten aufrechterhalten müssen.

Der einzige dem Lenni wirklich vertraut, ist Zachäus, ein schrulliger, aber liebenswerter Typ, der in seinem Haus mit zahlreichen lebensgroßen Puppen zusammenlebt, die er wie lebendige Mitbewohner behandelt. Lenni lernt er am Rhein kennen. Der Junge vertraut dem Mann und gemeinsam beginnen die beiden an einem Kanu nach alter indigener Tradition zu bauen. Das Glück währt aber nicht lange, denn Zachäus Bruder Gabriel entdeckt Lenni und hat Angst, dass sein Bruder unter Verdacht gerät, ein Kinderschänder zu sein.

Und plötzlich ist Lenni verschwunden. Eigentlich müsste er wie immer pünktlich vom Fußballtraining zurückkommen. Doch von ihm fehlt jede Spur. Seine Mutter Katharina bekommt Panik und informiert die Polizei über den Fall. Ihre Ansprechpartnerin ist Maline, die für einen Erfahrungsaustausch von der Mordkommission zur Vermisstenstelle gewechselt ist. Viel kann sie zunächst nicht tun, doch schon bald bekommt der Vermisstenfall eine gewisse Dramatik – am Rheinufer wird ein Turnschuh und das Rad von Lenni entdeckt.

Malines Freundin Lou arbeitet weiter in der Mordkommission, wo sie diese als Partnerin schmerzlich vermisst. Zu Hause kündigt sich Stress mit Lou’s Tochter Frieda und ihrer Enkelin Tessa an. Denn ein alter, gefährlicher Bekannter taucht plötzlich auf und bedroht die gesamte Familie. Und dann spitzt sich auch noch der Fall Lenni zu und die beiden Polizistinnen werden wieder zum Team.
„Jenseits des Rheins“ ist ein spannender Köln-Krimi mit Tiefgang. Im Mittelpunkt stehen zwei Menschen, die sich nicht ins Raster der modernen Gesellschaft einordnen können und wollen. Sie werden zu Außenseitern und müssen den Hass und das Unverständnis ihrer Mitmenschen ertragen. So führt Autorin Myriane Angelowski ihre Leser wieder einmal zu den Abgründen des menschlichen Zusammenlebens und der menschlichen Seele in einer Großstadt.

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Myriane Angelowski: Jenseits des Rheins, Emons-Verlag, 272 Seiten, 13 Euro

Autor: Von Stephan Eppinger