Der Kölner Galerist und Art Cologne-Mitbegründer Rudolf Zwirner erzählt sein Leben

Köln | Es ist für Köln, für die Kölner Kunstszene, das Buch des Jahres: Rudolf Zwirner, legendärer Kölner Galerist und Kunsthändler, Mitbegründer der Art Cologne, hat seine Lebenserinnerungen vorgelegt. Aufgeschrieben von der Journalistin Nicola Kuhn sind sie im Kölner Wienand-Verlag unter dem schönen Titel „Ich wollte immer Gegenwart – Rudolf Zwirner Autobiographie“ erschienen.

Ohne Zwirner gäbe es die Art Cologne nicht, die Pop Art-Sammlung im Museum Ludwig nicht, nicht das Kölner Zentralarchiv des Internationalen Kunsthandels (ZADIK) und so manches mehr.

Es ist ein Buch zum Heulen, weil es zeigt, was Köln einmal war, die kulturelle Hauptstadt (West-)Deutschlands, the place to be, in der Nachkriegszeit, aber auch noch in den 1980er Jahren. Und es zeigt, was eine fähige Kölner Kulturpolitik, was ein Kulturdezernent Kurt Hackenberg (1955-1979), einmal bewegt hat.

Es ist ein Buch der vielen kleinen Entdeckungen. Wer dabei war, wird sich an dies und das erinnern und manches erst jetzt richtig verstehen. Wer nicht dabei war, wird viel erfahren über das Museum Ludwig, seinen Namensgeber Peter Ludwig und seine Sammlung, über die Art Cologne, über Gerhard Richter, über Joseph Beuys, über Kasper König und ihre Karrieren.

Rudolf Zwirner wurde 1933 geboren, in dem Jahr also, in dem Hitler an die Macht kam und aus Deutschland für zwölf Jahre Nazi-Deutschland wurde. Zwirner war somit zu jung, als Soldat am 2. Weltkrieg teilzunehmen oder den Versuchungen und Ambivalenzen einer NS-Jugend zu erliegen, aber alt genug, um von einer Kindheit und Jugend in Nazi-Deutschland und dem Kriegsgeschehen geprägt zu sein. „Bis heute bin ich gegenüber Ideologien misstrauisch und begegne jeder Führung mit Argwohn“, resumiert Zwirner rückblickend diesen Einfluss. Mehr noch: „Das hat mich auch in meinem Berufsleben geprägt. Ich habe mich nie als Galerist verstanden, der seine Künstler ohne Einschränkungen in allen Phasen vertritt, in den Höhen und Tiefen, sondern als ein Kunsthändler, der singuläre Werke vermittelt, die es wert sind. Die Wege der Beteiligten konnten sich auch wieder trennen, denn ich wollte mich nie komplett in den Dienst eines Künstlers stellen.“ Gerhard Richter, den Zwirner zeitweilig vertrat, scheint dies nicht goutiert zu haben.

Zur Kunst kam Zwirner dabei fast zufällig, durch den Besuch der documenta 1 (1955), „ein Erlebnis, das mein Leben von Grund auf veränderte“. Die Kunstausstellung in Kassel war die erste große Ausstellung moderner Kunst nach 1945 und für die meisten der 130.000 Besucher die erste Begegnung mit moderner, insbesondere abstrakter Kunst und der in Nazi-Deutschland verfemten „Entarteten Kunst“. Für Zwirner war es so etwas wie ein Erweckungserlebnis: „Ausschlaggebend für meinen weiteren Lebensweg war die Begegnung mit zeitgenössischer Kunst. Sie packte mich hier im Innersten, anders als die Alten Meister. Plötzlich wusste ich, womit ich mich fortan beschäftigen wollte, wenn auch nicht, in welcher Form. Dafür eines genau: Ich wollte Gegenwart.“ Zwirner schmiss sein Jura-Studium und wurde Kunsthändler! Es ist die Nachkriegszeit, in der die Zukunft offen und die Karrieren schnell sind. Schon bei der nächsten documenta (1959) ist Zwirner ihr Generalsekretär.

1962 gründet Zwirner nach einem wenig erfolgreichen Versuch in der Ruhrgebietsstadt Essen seine eigene Galerie in Köln. Es ist vor allem die elektrisierende Atmosphäre des Kölns dieser Jahre, in der viele Künstler, Schriftsteller und Komponisten leben und arbeiten, die den gebürtigen Berliner nach Köln bringen, auch pragmatische Gründe. Und doch: „Ich mochte Köln vor allem wegen ihrer zwölf romanischen Kirchen, die der Stadt eine ganz andere Fundierung geben.“

In den rund 300 Ausstellungen seiner Kölner Galerie zeigt Zwirner deutsche und internationale Künstler, vieles, was heute große Namen sind: Konrad Klapheck, Gerhard Richter und Sigmar Polke, Georg Baselitz und Blinky Palermo, Antonio Tàpies und Daniel Spoerri, Cy Twombly, Andy Warhol, Robert Rauschenberg und Frank Stella, Jasper Johns und John Chamberlain etc.

Doch was sich heute als eine beeindruckende Liste etablierter Größen der Kunstgeschichte liest, war für den Galeristen Zwirner wirtschaftlich ein Desaster. Zwirner beschönigt nichts: „Die Situation war desolat, nicht nur für mich allein. Die vergleichsweise wenigen Sammler, die es in Deutschland gab und deren Interesse sich vornehmlich auf die Klassische Moderne oder die Ècole de Paris richtete, reisten eher nach Paris, Mailand oder Basel. Insgesamt gab es in Deutschland keine zehn Sammler, die sich dezidiert für zeitgenössische Kunst engagierten.“ Zwirner führt beruflich eine Doppelexistenz: „Als Galerist engagierte ich mich vornehmlich für die Avantgarde, als Kunsthändler arbeitete ich mit klassischer Kunst des 20. Jahrhunderts. Diese Tätigkeit als Kunsthändler, der (für seine Kunden) gezielt Werke suchte, bildete die wirtschaftliche Basis meiner Galerie in Köln.“

Es ist diese wirtschaftliche Not, aus der der Gedanke eines „offenen Marktplatzes für zeitgenössische Kunst“ entsteht. Mit der Unterstützung der Stadt Köln und ihres heute legendären Kulturdezernenten Kurt Hackenberg kommt es zur Schaffung der ersten Kunstmesse der Welt – das, was heute als Art Cologne bekannt ist. Und Kunst wird zur Ware.

Durchaus selbstkritisch resumiert Zwirner heute rückblickend: „In den 1960er Jahren brachten wir jungen Galeristen die Kunst offensiv auf einen regelrechten Marktplatz, sprengten animiert von Andy Warhol die Exklusivität des Geschäfts, um uns in einer Krisenphase neue Kundenkreise zu erschließen. Angesichts der Folgen fühle ich mich manchmal wie Goethes Zauerlehrling, den die von ihm gerufenen ‚Kräfte‘ zu überwältigen drohten. Damals konnten wir nicht wissen, dass wir damit der Galerie, unserer eigenen Basis, eines Tages die Grundlage entziehen könnten, weil die Messe zum wichtigsten Forum wurde, sich die Auktionshäuser dazwischenschoben und der Handel zunehmend ins Netz abwanderte.“

1968 kam es zu der Begegnung, die das Leben des Galeristen nachhaltig bestimmen sollte. Peter Ludwig tritt im wahrsten Sinne des Wortes in Zwirners Galerie und Leben. Der Aachener Schokoladenfabrikant wird dessen größter, ja einziger Kunde, und zum „Großeinkäufer der Pop Art“, Zwirner dadurch auch international eine Größe auf dem Kunstmarkt. Ohne Beschönigungen beschreibt Zwirner sein Verhältnis zum machtbewussten Großsammler – und seine totale Abhängigkeit. Als Ludwig sich, wohl auch von eigenen finanziellen Problemen motiviert, von seinem Galeristen abwendet, ist Zwirner wirtschaftlich am Ende. Bis dahin hat er dazu beigetragen, dass sich heute im Kölner Museum Ludwig eine der wichtigsten Pop Art-Sammlungen der Welt befindet.

1992 zog sich Zwirner aus dem aktiven Galeriegeschäft zurück und lebt seitdem wieder in seiner Heimatstadt Berlin. Mit 86 bleibt er ein wacher Geist, der sich bis heute gerne in aktuelle Diskussionen einmischt. Und der lebt, was der schöne Titel seiner Autobiographie sagt: „Ich wollte immer Gegenwart.“

——————————————————–

Rudolf Zwirner

Ich wollte immer Gegenwart.

Autobiographie. Aufgeschrieben von Nicola Kuhn

Wienand Verlag, Köln, 2019

25€

— — —

[infobox]

David Zwirner – Der Sohn[/infobox]

In dem Augenblick, in dem Vater Zwirner beschloss, eine Galeristentätigkeit aufzugeben, eröffnete Sohn David in New York eine Galerie. Heute zählt David Zwirner zu den wichtigsten Galeristen weltweit, mit Galerien in New York, London, Hong Kong und seit kurzem auch in Paris.

„Zufall oder nicht, genau in dem Moment, als ich die Galerie in Köln endgültig aufgab, beschloss mein Sohn David, in New York eine neue zu gründen. Das passte, denn nebeneinander hätten wir nicht existieren können. Innerhalb der Familie wollte ich keine Konkurrenz, keinen Wettbewerb, bei dem ich nur der Verlierer gewesen wäre.“

„David repräsentiert in allem die nächste Künstler- und Galeristengeneration, die neue Zeit. Während ich auf nur zehn, zwölf Sammler bauen konnte, mich zeitweilig fast völlig auf Peter Ludwig verließ, der dann die Preise diktierte, betreut er heute über 100 internationale Sammler und hat auf der ganzen Welt Kunden. (…) 250 Angestellte arbeiten in der Galerie, für jeden seiner über fünfzig Künstler sind zur persönlichen Betreuung zwei Mitarbeiter zuständig. Zu meiner Zeit waren die Dimensionen noch andere. Ich blieb in Köln, mein Umsatz lag bei zehn, zwölf Millionen Euro im Jahr, das Team war überschaubar.“

Autor: Von Christoph Mohr