Köln | Der Angeklagte Ralf S. wurde vom Landgericht Düsseldorf am gestrigen Dienstag freigesprochen. „NSU Watch NRW“ verfolgte den Prozess und fordert nun nach dem Freispruch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Kritik übt „NSU Watch NRW“ an der Darstellung der „Tagesschau“, dass Ralf S. aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde. Die Initiative unterstellt, dass Wesentliches im Ermittlungs- und Strafverfahren fehlte – von der Beweiswürdigung bis zur Einschätzung der Person des Angeklagten.

„NSU Watch NRW“ wirft den Ermittlern des Anschlages vom 27.7.2000 vor schlampig gearbeitet zu haben und Ermittlungsergebnisse nicht richtig miteinander in Beziehung gesetzt zu haben. Zudem hätten die Ermittler die rechte Szene in Düsseldorf falsch eingeschätzt und Zusammenhänge verharmlost. Dass ein Indizienprozess, 18 Jahre nach der Tat, der sich vor allem auf die Aussagen von Zeugen stützt und deren Erinnerungen und Aussage-Verhalten in Zweifel zieht, weil sie sich nach so langer Zeit nicht mehr kongruent an ihre Aussagen vor mehr als einem Jahrzehnt erinnern, mit dem Freispruch endete, bezeichnet „NSU Watch NRW“ als „bitter“.

Vorwurf an die Kammer

„NSU Watch NRW“ zieht vor allem die Zeugenaussagen aus der Düsseldorfer Nazi-Szene, der „Kameradschaft Düsseldorf“ in Zweifel und wirft der Kammer vor hier nicht alle rechtstaatlichen Mittel angewandt zu haben, bis hin zur Vereidigung von Zeugen, um deren Auslassungen vor Gericht auf Glaubwürdigkeit hin zu überprüfen. „NSU Watch NRW“ erläutert dies an einem Beispiel aus dem Prozess: „Ein anderer behauptete, den Angeklagten nicht oder kaum zu kennen, nie mit ihm zu tun gehabt zu haben. Dass genau er aber in späteren Aussagen namentlich als „Freund“ von Ralf S. genannt wurde, als es um dessen „Freundeskreis“ ging, brachte die Kammer jedoch nicht dazu, Rückfragen zu formulieren oder den Nazi-Zeugen ein weiteres Mal hören zu wollen. Schließlich sorgte die Tatsache, dass der Angeklagte mit Personen aus der Düsseldorfer Neonazi-Szene unmittelbar nach dem Anschlag Absprachen zu etwaigen Zeugenaussagen getroffen hat, nicht dafür, Aussagen dieser Personen-Kreise in Zweifel zu ziehen.“

Spielten V-Leute des LKA NRW eine Rolle?

Durch den parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtages NRW zur NSU-Mordserie ist bekannt, dass 2012 der Düsseldorfer Staatsschutz Kenntnis davon erlangte, dass es im Umfeld von Ralf S. V-Leute gab. „NSU Watch NRW“ folgert, dass es beim Landeskriminalamt NRW zumindest eine Person gab, die über Kenntnisse zur Täterschaft beim Anschlag auf den Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn berichtet haben soll. Es gäbe keinen Hinweis darauf, dass sich die Kammer im Laufe der Verhandlung mit diesem Thema oder dem Wissen des Verfassungsschutzes NRW auseinandergesetzt habe, so „NSU Watch NRW“.

„NSU Watch NRW“ folgert aus der Urteilsbegründung von Richter Drees: „Die Kammer traut dem Angeklagten grundsätzlich nicht zu, den Anschlag vorbereitet, Ausreden und Alibis ausgeklügelt und sich in „taktischer Selbstdisziplin“ an seine Planung gehalten zu haben. Ralf S. sei in seiner Persönlichkeit zu schlicht, zu „einfach“ dafür. Dass der Angeklagte mögliche Ermittlungsschritte gegen ihn schon vor der Tatbegehung „antizipiert hat“, sei „dem Angeklagten „intellektuell nicht zuzutrauen“, so die Kammer. In anderen Worten heißt das: Ralf S. wurde freigesprochen, weil der erkennende Senat ihn für zu dumm hält, den Wehrhahn-Anschlag verübt zu haben und dabei im Vor- und Nachtatverhalten keinen Fehler gemacht zu haben.“

„Wehrhahn-Untersuchungsausschuss“ gefordert

Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex, des Landtages NRW, stellte seine Ermittlungen zum Wehrhahn-Anschlag im Herbst/Winter 2016/2017 ein, um die Ermittlungen nicht zu gefährden, die Ende Januar 2017 zur Festnahme des damals Tatverdächtigen Ralf S., der gestern freigesprochen wurde, führte. „NSU-Watch NRW“ fordert nun nach dem Urteil einen „Wehrhahn-Untersuchungsausschuss“: „Es muss einen Wehrhahn-Untersuchungsausschuss geben, wenn die Politik sich – auch als Zeichen der Solidarität mit den Überlebenden des Anschlages – wirklich für eine bedingungslose Aufklärung einsetzen will.“

Düsseldorfer Staatsanwaltschaft kündigt Revision vor Bundesgerichtshof an

Der Düsseldorfer Oberstaasanwalt Herrenbrück, erklärte nach dem Urteil: „Der Wehrhahn-Anschlag ist ohne Beteiligung von Ralf S. nicht denkbar.“ Er kündigte an vor dem Bundesgerichtshof in Revision zu gehen.

Autor: Andi Goral | Foto: report-D
Foto: Hier geschah 2000 das Wehrhahn Attentat