Die Kölner Synagoge am 9. November 2022. | Foto: Bopp

Köln | In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten in Köln die Synagogen und jüdische Geschäfte wurden geplündert. Anders als die Nationalsozialisten es darstellten und sich die Erzählung lange hielt, handelte es sich bei der Reichskristallnacht keineswegs um einen „spontanen Ausbruch des Volkszorns“, sondern um eine durch die Nazis und den Schergen von SA und SS inszenierte Gewalt gegen Juden. 84 Jahre nach dem Pogrom gedachten Menschen in der Synagoge Roonstraße.

1933 lebten rund 15. 000 Menschen, die sich zum jüdischen Glauben bekannten in Köln. 7 Synagogen gab es in der Stadt. Alle wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstört.

1927 wurde nach den Plänen des Architekten Robert Stern in der Ehrenfelder Körnerstraße noch eine Synagoge errichtet. Alleine in Ehrenfeld lebten damals rund 2.000 Mitbürger:innen jüdischen Glaubens. In der Glockengasse wurde am 29. August 1861 eine Synagoge eingeweiht, gezeichnet von Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner. Sie wurde in Pogromnacht niedergebrannt. Heute erinnert eine Bronzetafel am Kölner Opernhaus an die Synagoge.  Ein weiteres jüdisches Gotteshaus befand sich in der St. Apern-Straße. Die Synagoge der orthodoxen Gemeinde „Adass Jeschurun“ verfügte über eine angegliederte Schule Jawne, das erste und einzige jüdische Gymnasium im Rheinland. An sie erinnert heute der Löwenbrunnen auf dem Kölner Erich-Kilbansky-Platz.  In Deutz am Reischplatz und in Köln-Mülheim an der Mülheimer Freiheit befanden sich weitere Synagogen.

Und  dann ist da die Synagoge in der Roonstraße. Sie ist das Zentrum der Synagogen-Gemeinde Köln.  Im März 1899 wurde sie eingeweiht. Sie wurde nach ihrer Zerstörung in der Reichskristallnacht und später im Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut und dient heute der jüdischen Gemeinde Kölns als Versammlungs—und Gotteshaus. 1938 wurde ihre Thora gerettet. Papst Benedikt XVI besuchte die Synagoge während des Weltjugendtages. Aber auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das jüdische Gotteshaus immer wieder geschändet. Erinnert sei an 24. Dezember 1959: Zwei junge Rechtsextreme beschmierten die Außenmauer der Kölner Synagoge mit Parolen wie „Deutsche fordern: Juden raus“. Der Bundeskanzler und ehemalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der selbst bei der Wiedereinweihung teilnahm, nannte die Tat „eine Schande und ein Verbrechen“.  Es kam und kommt immer wieder zu Übergriffen rund um die Synagoge in der Roonstraße. Wie fragil die Situation ist, zeigt der Tag und Nacht vor der Synagoge postierte Einsatzwagen der Kölner Polizei. 55 antisemitische Vorfälle wurden in 2021 in Köln gemeldet.

Denken an die Menschen, die Opfer des nationalsozialistischen Terrors wurden

Die Pogromnacht ist die Nacht, in der jüdische Menschen begriffen, dass sie um ihr Leben fürchten müssen, stellt heute Prof. Dr. Jürgen Wilhelm bei seiner Rede in der Kölner Synagoge fest. Und es gibt eine weitere Feststellung: Von den Schaulustigen war keine Hilfe zu erwarten. Eine Erzählung die heute wichtiger denn je ist. Kölner:innen standen daneben und glotzten als die Synagogen brannten und die Kölner Feuerwehr löschte nicht, sondern passte lediglich darauf auf, dass die Nachbarhäuser nicht beschädigt wurden.

Rolly Brings ist einer von denen, die immer wieder an diesem Gedenktag in die Körnerstraße kommen. Er erinnert an David, der in der Körnerstraße wohnte, vertreiben durch die Nazis wurde, den Holocaust überlebte und diese später immer wieder besuchte. Er hatte die Geschehnisse 1938 miterlebt und sich langsam Rolly Brings geöffnet und ihm seine Geschichte erzählt. Daraus machte Rolly Brings den Song „David“. David sprach zunächst Englisch mit Brings, bevor er ins Deutsche wechselte, weil er dem Musiker vertraute und am Ende sprachen sie Kölsch miteinander. Es stimmt nicht, was heute auch auf mancher Führung durch die Körnerstraße erzählt wird, dass die Menschen gegen den Hass damals aufgestanden wären. Die Menschen 1938 glotzten und die Kölner Feuerwehr stand dabei und sicherte die Häuser neben der Synagoge in der Körnerstraße, dass das Feuer nicht übergreift. Mag das Szeneviertel aktuell als multikulti erlebt werden, damals, als die Rufe „Juda verrecke“ durch Ehrenfeld hallten, stellte sich niemand quer.

Rolly Brings singt: „… wenn För de Körnerstroß erhellt, / de Synajoch zesammefällt, SA Minsche wie Veh avzällt, / klein Kinder kriesche en d´r Kält – dann zittert David wie ne Baum, / dä alt un krank em Schneisturm steit. Zick domols lääv hä met dem Alpdraum, / dä wohr es – un dä nit verjeit.

Rolly Brings bei der Gedenkveranstaltung an dem Ort an dem die Ehrenfelder Synagoge stand im Jahr 2017

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Komfortzone für die NS-Täter

Prof. Dr. Jürgen Wilhelm, von der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit sagte in der Kölner Synagoge: „Die Shoah, der Mord an über sechs Millionen Juden, ist eine Monstrosität, die sich jedem tatsächlichen Begreifen entzieht. Unzählige Juden verloren zudem ihre Heimat, ihre Muttersprache, ihr Urvertrauen in das Gute im Menschen, in das Leben selbst. Ihre Lebensentwürfe, in die sie Hoffnung, Fleiß und Liebe investiert hatten, wurden brutal zerstört. Das Leiden, das bis heute nachwirkt, ist eigentlich nicht in Worte zu fassen. Dennoch und erst recht müssen wir an die Verbrechen der NS-Zeit erinnern, denn die Hoffnung für unsere Zukunft liegt in der Erinnerung. Wir müssen uns den Stimmen entgegenstellen, die den Holocaust bagatellisieren oder gar leugnen und die durch verantwortungslose Politiker in viel zu vielen Parlamenten gestärkt werden. Hier ist in erster Linie die AfD zu nennen, die Jens Spahn im Deutschen Bundestag die fünfte Kolonne Moskaus genannt hat; diese Partei bestreitet zwar offiziell ihren Antisemitismus, viele ihrer Mitglieder, auch in den Parlamenten sind jedoch bekennende Neonazis, wie entsprechende Aussagen immer wieder beweisen.“

Wilhelm erinnerte daran, dass die Pogromnacht einen langen Vorlauf hatte und legte den Finger in die Wunde: Es war komfortabel für Nazis und viele führenden Institutionen, kulturellen Einrichtungen oder auch Sportverbände integrierten sich problemlos in die Nazi-Gesellschaft.

Vor dem Hintergrund der bald beginnenden Fußball-WM in Katar sagte Wilhelm: „Wenngleich heute oft behauptet wird, Sport und insbesondere Fußball seien unpolitisch, so spiegeln sich doch in ihm, wie in allen anderen Lebensbereichen, nicht nur gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse, sondern es wird nicht selten auch politisch motivierten Gruppierungen eine Bühne geboten; Gruppen, die sich nicht für Freiheit und Demokratie einsetzen. Dass Korruption und Geldgier eine wesentliche Rolle spielen, erleben wir aktuell mit der Fußballweltmeisterschaft in Katar. Auch während der Zeit des Nationalsozialismus erfreute sich Fußball großer Beliebtheit. Er war ein Massenphänomen und wurde systematisch für Propagandazwecke genutzt. Der Fußball wurde wie alle anderen gesellschaftlichen Bereiche gleichgeschaltet, und das Regime stieß dabei keinesfalls auf Widerstand: Sowohl der Deutsche Fußballbund als auch einzelne Vereine kooperierten offen mit dem NS-Regime und beteiligten sich aktiv am Ausschluss jüdischer Spieler und Trainer aus den Vereinen. Von Sportlichkeit und Fairness war rasch keine Rede mehr! Und vergessen wir nicht die Olympischen Spiele 1936, die Nazi-Deutschland eine formidable Kulisse für seine Propaganda boten, das durch die Filme von Leni Riefenstahl eine weitere ideologische Überhöhung erhalten sollte. Trotz der offensichtlichen Verbindung wurde nach Kriegsende von interessierter Seite die Auffassung verbreitet, dass Sport und Politik in der NS-Zeit nichts miteinander zu tun gehabt hätten. Wie ungezählte Nationalsozialisten und Mitläufer in anderen Berufsfeldern, konnten auch Spieler und Trainer nach 1945 wieder nahtlos an ihre Karrieren anknüpfen. Erst nach etwa 50 Jahren, in den 1990er Jahren, begann man, die Rolle des Sports und seiner Institutionen während der NS-Zeit kritisch zu hinterfragen.“ Erfreulich nannte Wilhelm die Kooperation zwischen der Kölner Synagogen-Gemeinde und dem 1. FC Köln.

Die Documenta 15 nannte Wilhelm einen traumatischen Skandal. Jahrhundertealte Feindbilder, die ursprünglich christlich geprägt waren seien auf Jüd:innen in aller Welt „pauschal und brutal projiziert“ worden. Wilhelm: „Und das in Kassel – also in Deutschland – im Land der Täter.“

Köln stehe vor Bewährungsprobe

Wilhelm griff das Thema des Nah-Ost-Konfliktes als Projektionsfläche für verborgenen Antisemitismus auf. Wilhelm: „Auch Köln wird sich im kommenden Jahr bewähren müssen: Roger Waters, der Aktivist der BDS-Bewegung soll im Frühjahr in der Lanxess Arena auftreten. Der Mitbegründer von Pink Floyd ist seit vielen Jahren ein Unterstützer der Israel-Boykottbewegung. So fiel er durch besonders martialische Auftritte und Hetze gegen Juden und Israel bei seinen Konzertauftritten auf, indem er z.B. ein mit einem Davidstern markiertes Schwein auf die Bühne projizieren ließ und dieses dann symbolisch mit einem Maschinengewehr abschoss. Auch die Gleichsetzung Israels mit dem Nationalsozialismus ist bei ihm Programm. Wenn er von der „ungemein mächtigen jüdischen Lobby“ in der Musikindustrie spricht, wird mehr als deutlich, wes Geistes Kind er ist.“ Die Stadt Köln forderte Wilhelm auf, Flagge gegen Antisemitismus zu zeigen und dafür zu sorgen, dass das Roger Waters Konzert abgesagt wird.