Wer eine Reise tut hat viel zu erzählen. Nicht nur von langen, umbequemen Busfahrten, sondern auch von aufgeheizter Stimmung und superjeilen Zeiten. Darüber hinaus lernt ein Kölner, während der Fußball-EM den Unterschied zwischen Schweizern und Österreichern kennen. Er ist als Choreograf  — kurz Choreo genannt — vor Spielbeginn dafür zuständig, Papptafeln auf die Zuschauerplätze zu verteilen. Beim Einlaufen der Mannschaften werden sie gleichzeitig hochgehalten und ergeben so ein schönes Gesamtbild.   

Schnell noch die Email abchecken. Eine Freundin hat geschrieben. Nur vier Worte! „Bring ihn nach Hause“. Pünktlich um 17:45 Uhr fahren Martin, Carsten und ich von Köln los. Passend im Radio erklingt die Stimme von Lukas Podolski: „ Wir sind im Finale und das ist wichtig“ Genau, mehr zählt nicht. Ich erinnere mich an das Tor von Phillip Lahm gegen die Türkei. Die Türken mit den eigenen Waffen geschlagen. Ein Tor in der letzten Minute. Was war das für eine Stimmung. Alle in der Choreo-Gruppe hatten vor dem Anpfiff gebangt und gedacht: „Nur nicht gegen die Türken verlieren“ Marcus und ich schrien unsere Freude heraus. Finale, wieder zurück nach Wien. Eine tolle Stadt, super nette Menschen und ein wunderschönes Stadion. Deutschland gegen Österreich war mein erster Choreoeinsatz bei der Europameisterschaft. Acht Stunden hatten wir damals gebraucht bis alles fertig war. Auf 9.000 Plätzen hatten wir, 30 Choreos, schwarz-weisse Papptafeln verteilt.


Ballack verletzt
Um 18:00 Uhr sind wir auf der A3 Richtung Mainz. Dort treffen wir uns mit Marcus, Uschi und Nils. Marcus kommt extra mit dem Auto aus Magdeburg nach Mainz. Mit zwei Autos fahren wir dann weiter nach Mannheim. Dort wartet ein Bus auf uns, der dem Choreoteam zum Finale kostenlos vom DFB zur Verfügung gestellt wurde. Bei Uschi angekommen empfängt sie uns direkt mit einer Schreckensmeldung:“ Ballack ist verletzt. Fällt vielleicht gegen Spanien aus“ Doch alle sind zuversichtlich. Alles taktisches Vorgeplänke, unser Capitano wird spielen. Nach zwei Stunden Aufenthalt geht’s weiter nach Mannheim. Die Spannung steigt.


Die Fanzone vor dem Rathaus in Wien


Cordoba Reloaded
Noch zehn Kilometer bis Mannheim und auf der CD erklingt „ Superjeile Zick“ von Brings. Das war es bisher auch. Da war zuerst das Bruderduell zwischen Deutschland und Österreich. In der U-Bahn hatte ich schon die Stimmung der Österreicher vor dem Duell mitbekommen. Viele erhofften sich ein zweites Cordoba. „Cordoba Reloaded“, so bezeichneten drei Schüler ihren Wunsch, Deutschland wieder 3:2 zu schlagen. Der Wunsch erfüllte sich zum Glück nicht und so ging es für mich von Wien aus weiter mit dem Nachtzug nach Basel. Zehn Stunden hatte die Fahrt gedauert.

Probleme in Basel
Hier war alles anders für uns Choreos als in Wien. Die Wiener waren sehr locker gegenüber uns. Die Schweizer dagegen versuchten andauernd, gegen uns zu arbeiten. Wir bekamen einen anderen Block als ursprünglich vorgesehen. Dadurch passte unser Banner und unser Wimpel nicht mehr. Dann sollten wir um 14 Uhr das Stadion verlassen, sollten unsere Akkreditierung abgeben. Beides taten wir nicht. Schließlich wurde uns untersagt, Papptafeln zu verwenden. Darüber hinaus wurden wir auf Schritt und Tritt von der Security überwacht. Selbst zum Essen wurden wir wie Kindergartenkinder in Zweierreihen geführt. Jens, unser Leiter, war schon drauf und dran, alles hinzuschmeißen. Doch dann haben wir für uns entschieden, Papptafeln zu verwenden. Die mussten aber noch aus Mannheim angeliefert werden. So konnten wir erst um 17 Uhr im Stadion mit unserer Choreo-Aufbau anfangen. Da mussten sich dann alle beeilen,  damit wir noch rechtzeitig bis 19 Uhr fertig werden konnten. Am Ende war es wohl die beste Choreographie des Turniers, so wie es das beste Turnierspiel unserer Nationalmannschaft war. Nach dem Sieg gegen Portugal fuhr ich dann einen Tag später mit einer Mitfahrgelegenheit nach Hause nach Köln. Drei Tage später reiste ich zum Türkeispiel mit meinem eigenen PKW von Köln nach Basel und wieder zurück. Nun ging’s wieder nach Wien.


Unser Reisebus, der uns von Mannheim nach Wien bringt


Ankunft in Wien und die Sonne brennt
Endlich Abfahrt von Mannheim um 23:30 Uhr. Stimmung ist gut und ich bin froh, wenn ich in Wien bin. Während der Fahrt läuft ein Video über die Fanszene des SVW Mannheim, da die meisten aus unserem Choreoteam aus Mannheim kommen. Außer denen interessierte es wohl keinen. Was für eine Nacht. Total unbequem, so das sich kaum schlafen konnte. Jetzt ist es 7:30 Uhr und wir befinden uns noch 100 Kilometer vor Wien. Bald ist es geschafft. Auf der X-Box wird schon das Finale nachgespielt. Deutschland führt gegen Spanien 1:0. Ankunft in Wien um 9:00 Uhr, nach neuneinhalb Stunden Fahrt. Es ist heiß und die Sonne brennt regelrecht. Jetzt noch akkreditieren und dann wird aufgebaut. Jens erklärt uns im Stadion den Choreoplan und danach fangen wir an, auf jeden einzelnen Sitz im Deutschland-Block Papptafeln zu verteilen.


Alle Papptafeln sind auf den einzelnen Plätzen verteilt.


KO und angeheizte Stimmung
Um 14:30 Uhr sind wir im warsten Sinne des Wortes fertig. KO von der Fahrt, fertig von der Hitze und von der Arbeit. Endlich machen wir Mittagspause und gehen ins Volunteer Center essen. Diesmal bekommen wir auch noch etwas. Im Wiener Volunteer Center gibt es Nudeln, Erbsen und Möhren sowie Schweinefleisch. Die Portion ist ordentlich und das Essen schmeckt. In Basel waren wir um 15:05 Uhr dort und bekamen nichts mehr zu Essen, da die Küche nur bis 15:00 Uhr offen hat. Waren also fünf Minuten zu spät.


Martin hält eines der vielen Banner hoch mit den Hinweisen für die Zuschauer


Ab 17:00 Uhr verteile ich mit Yvonne die restlichen Hinweiszettel auf die Sitze. Danach kurze Pause. Seit 18:00 Uhr heizt ein DJ den Zuschauern ein. Sehr langsam füllt sich das Ernst Happel Stadion. Mein Job ist fast beendet. Für 19:00 Uhr bin ich eingeteilt eine Bandarole hoch zu halten, die die Zuschauer darauf hinweist, dass sie ihre Papptafeln beim Einlauf der Mannschaften hoch halten sollen. Die Stimmung ist jetzt schon super auf den Rängen. Die Zuschauer puschen jetzt schon ihre Nationalspieler nach vorne, obwohl sie sich auf dem Platz nur warm machen. Kurz bevor die Teams einlaufen, folgt eine zehnminütige Schlussfeier. Sehr schön gemacht. Es zeigt alle Teams, die sich im Walzertakt von Runde zu Runde tanzen. Die ausgeschiedenen Teams verabschieden sich mit Luftballons in ihren Nationalfarben.


Abschlussfeier im Ernst Happel Stadion


Das Spiel beginnt und ein Maskottchen tritt ab
Um 20:40 Uhr laufen die Mannschaften ein und damit ist mein Job erledigt. Die Choreo ist gut gelaufen, fast alle Zuschauer halten ihre Papptafeln hoch. Ich suche mir nun einen Platz im Stadion und schaue mir das Spiel an. Die Stimmung ist super, bis auf einmal das 1:0 für Spanien fällt. Hatte das Tor gar nicht so mitbekommen, da für mich die Situation schon bereinigt war. Ein Schock für mich und alle anderen deutschen Fans. Doch nach der kurzen Schockphase feuern wir unsere Mannschaft weiter lautstark an. Mit zunehmenden Ende merke ich, dass es heute Abend nichts wird mit dem Titel. Diesmal wird es kein Tor in letzter Minute geben. 17 Siege und drei Unentschieden hatte ich bis Dato gesehen. Einem Freund, zu dessen Geburtstagsparty ich eigentlich an diesem Sonntag gehen wollte musste ich kurzfristig absagen. Er meinte, das könnte er gut verkraften, weil ich ja ein Glücksbringer für die Deutsche Nationalmannschaft bin. Nur diesmal nicht, ausgerechnet im Finale reißt meine Serie. Die der Spanier hält an. Damit ist mein Maskottchendasein beendet. Kurz nach Spielschluss bestätigt eine Freundin per SMS, dass ich als Maskottchen ausgedient habe. Die Spanier waren halt besser, muss ich mir eingestehen.

Getrübte Stimmung und eine geile Zeit
Im Bus ist die Stimmung getrübt. Alle reden über den Patzer von Lehmann und Lahm. In Gedanken sehe ich noch Jens Lehmann alleine vor seinem Tor stehen. Vielleicht weiss er, dass es wohl sein letztes Spiel im Nationaldress war. Aber wer weiß das schon? Ich bin ziemlich KO, wie alle aus dem Choreoteam. Um Null Uhr verlassen wir Wien. Schnell wird es still im Bus. Ich versuche zu schlafen. Das klappt auch ganz gut. Schrecke nur einmal auf, als unser Bus eine Vollbremsung auf der Autobahn macht. Fast auch noch ein Unfall, denke ich mir. Zum Glück schlafe ich dann wieder schnell ein. Nach elfeinhalb Stunden Fahrt, einem 20 Kilometer langen Stau, in den wir geraten waren, erreichen wir endlich Mannheim. Alle wollen jetzt nur schnell nach Hause, ich auch. Ich verabschiede mich und fahre mit Carsten und Martin weiter nach Köln. Noch 300 Kilometer, dann ist es geschafft. Im Radio läuft das Lied „Es war ne geile Zeit, es ist vorbei.“ Auf der einen Seite bedaure ich, dass nun alles vorbei ist, doch irgendiwe bin ich froh, dass die EM um ist. Es war anstrengend und viel Stress. Die Zimmersuche, die Fahrerei, der Choreoaufbau. Doch es hat super viel Spaß gemacht. Neue Freunde kennengelernt, Wien und Basel gesehen, zwei schöne Städte und mit den anderen viel Spaß gehabt. Aber es ist ja noch nicht vorbei, das nächste Spiel unsere Nationalmannschaft kommt ja bald. Um 14:30 Uhr bin ich zu Hause, genau zu dem Zeitpunkt wo unsere Nationalmmanschaft sich in Berlin verabschiedet.

Johannes Braun für report-k.de/ Kölns Internetzeitung