Mainz, heute weitgehend vergessen, ist für das europäische Judentum von großer Bedeutung. Als eine der Geburtsstätten des europäischen Judentums galt die Stadt zeitweilig als „rheinisches Jerusalem“. Die Mainzer Rabbinerschule war „weltberühmt“; um die Jahrtausendwende zog der Talmudgelehrte Gerschom ben Jehuda Schüler aus vielen Ländern nach Magenza. Immer wieder wurden die Juden danach aus der Bischofsstadt am linken Rheinufer vertrieben, immer wieder kamen sie zurück; erst die Französische Revolution (1789) brachte das Ende des jüdischen Ghettos und einen Aufschwung des jüdischen Lebens. Dem bereitete Nazi-Deutschland ein tödliches Ende: Zählte man vor der Hitler-Diktatur etwa 2500 Juden in Mainz, waren es 1945 nur noch 60. In der „Reichskristallnacht“ (1938) wurde die Synagoge gebrandschatzt, die Reste dann später gesprengt. Erhalten geblieben sind nur die wuchtigen dorischen Säulen des Vorplatzes des einstigen Vorhofes. Diese hat Architekt Manuel Herz in das neue Gebäude integriert.

Anders als für christliche Kirchen oder islamische Moscheen gibt es für jüdische Synagogen keine verbindliche Architektursprache. Der architektonisch kühne Neubau des jüdischen Bet- und Gemeindezentrums in Mainz, den eine Zeitung treffend „Zackengebirge des Glaubens“ nannte, formt abstrakt die fünf hebräischen Buchstaben des jüdisch-liturgischen Begriffs „Kedushah“ (Erhöhung, Segnung) nach. Zacken und Gebäudeform werden manchen aber auch an das Jüdische Museum in Berlin erinnern – nicht ohne Grund hat Architekt Manuel Herz doch 1995 zwei Jahre in dem Büro von Daniel Libeskind gearbeitet, bevor er sich selbstständig machte. Erst 29 Jahre war er alt, als er vor zehn Jahren den Architekturwettbewerb für die neue Mainzer Synagoge gewann. „Wir Juden leben wieder in diesem Land, wir müssen uns nicht in Hinterhöfen verstecken. Wir ziehen in Gebäude ein, die auffallen“, sagte die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, zur Eröffnung.

Der gebürtige Kölner Manuel Herz hat an der RWTH Aachen (http://arch.rwth-aachen.de) und an der Architectural Association School of Architecture in London (www.aaschool.ac.uk) studiert. Neben seiner praktischen Tätigkeit forscht der 40-jährige Architekt am ETH Studio Basel, einem Forschungsinstitut für Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, das 1999 u.a. von den Schweizer Stararchitekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron begründet worden. Mit beiden lehrt Herz auch an der Graduate School of Design der Harvard University.

Als origineller Architektur-Denker hat Herz viel über Diaspora und Architektur nachgedacht. Ausdruck dafür ist nicht nur die neue Synagoge in Mainz, sondern auch Texte über Flüchtlingslager (!) als „temporäre Städte“.

Sein Architekturbüro Manuel Herz Architekten ist ein Büro für Architektur und Stadtplanung mit Sitz in Köln und dem schweizerischen Basel. Zu den Realisierungen in Köln gehört „Legal/Illegal“, ein Wohn- und Geschäftshaus in Bayenthal (Goltsteinstraße 110), das auch 2003 den Kölner Architekturpreis erhielt. Kaum mehr als eine schmale Baulücke, verhinderte der Kölner Bebauungsplan eine wirtschaftlich sinnvolle Bebauung hinter einem denkmalgeschützten historischen Torbogen. Nach eineinhalbjährigem Kampf mit den Behörden konnte Herz hier ein spektakuläres Gebäude realisieren, das der alten Bausubstanz ein leuchtend rotes Obergeschoss aufsetzt.

Der spektakuläre Neubau der Mainzer Synagoge wurde soeben in Beisein von Bundespräsident Christian Wulff und 400 geladenen Gästen eröffnet. Wulff rief dabei zum Dialog der Religionen auf und appellierte an „Christen, Juden, Muslime sowie an Anders- und Nichtgläubige, die Zukunft Deutschlands mit zu gestalten.“ (http://www.bundespraesident.de/-,2.666245/Grusswort-von-Bundespraesident.htm). Ein wohl unerwartet großer Publikumserfolg wurde auch gleich der erste Tag der Offenen Tür: 10000 Besucher aus Mainz und dem Rhein-Main-Gebiet wollten das Zackenmeer des jüdischen Glaubens in Augenschein nehmen.

Christoph Mohr