Köln, 26.8.2006, 8:00 Uhr >  Das Foto spricht für sich: Der Stuhl des Papstes beim Weltjugendtag auf dem Marienfeld, "besetzt" von einem Dreikäsehoch. Die Kirche leiten – kinderleicht? Oder eher biblisch: "Wenn ihr nicht werdet wie Kinder …"? Gleichwie, das Bild lässt schmunzeln und macht nachdenklich zugleich. Manfred Kollig untertitelt den Schnappschuss mit einem Zitat aus dem ersten Johannesbrief: "Jetzt sind wir Kinder Gottes. Aber was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden." Kollig ist Ordensmann bei den Arnsteiner Patres, und er war Leiter des Bereichs Liturgie beim Weltjugendtag. Das beschriebene Foto setzt den Schlusspunkt seines unauffälligen Bändchens mit dem ebenso unscheinbaren Titel "Überall Wolke – Die Liturgie des XX. Weltjugendtags lebt weiter", das jetzt im Münsterschen Aschendorff-Verlag erschienen ist – der Titel nimmt Bezug auf jene "Lichtwolke", die den Altarbereich des Papsthügels überdeckte.

Nicht nur schlichte Rückschau
Doch was der Autor hier auf 112 Seiten ausbreitet, ist alles andere als schlichte Rückschau oder gar himmelblaue Idealisierung: Kollig geht die Weltjugendtagsgottesdienste mit dem Leser noch einmal durch – und das ist wörtlich zu verstehen. Denn seine drei Hauptkapitel heißen nicht zufällig "Hingehen", "Feiern" und "Zurückkehren". Vorangestellt ist das Kapitel "Hier und heute"; darin beleuchtet Kollig die Elemente und Faktoren, um die es ihm geht: Alltagsgegenstände, konkrete Situationen, konkrete Orte, konkrete Menschen. Beispiel: Von einer Pommes-frites-Tüte mit dem Aufdruck "Für Fahrradfahrer, für Faulenzer, für Genießer, für Geheimagenten, Spaßvögel und Pfarrer" lässt er sich inspirieren, darüber nachzudenken, was denn jene Wandlungsworte bedeuten: "für euch und für alle", in jeder Eucharistiefeier mehr oder weniger bewusst gesprochen. Kollig: "Dann verbirgt sich hinter dem Wort ‚alle‘ nicht mehr eine vage und gesichtslose Masse. Dann werden alle mit ihrem konkreten Gesicht, ihrer Lebensgeschichte und ihren Lebenshaltungen einbezogen."

Kerzen mit Leuchtdiode
Mit diesem geschärften Blick für das Detail, der dennoch nie den Überblick verliert, buchstabiert der Autor an Hand der Weltjugendtagsgottesdienste die gottesdienstlichen Elemente neu. Am Beispiel der so genannten Vigilbecher – die Kerzen für die Hand der Teilnehmer – macht sich Kollig etwa Gedanken darüber, was "echt" bedeutet. Die Vigilbecher sollten auch die Flanken des Papsthügels erleuchten, aber Wind und Wetter ließen den Flämmchen keine Chance. "Darf" man in einer solchen Situation zum technischen Kniff greifen und "Pseudo-Kerzen" mit Batterie und Leuchtdiode einsetzen? Oder muss man, um "echt" zu sein, nicht lieber in Kauf nehmen, dass der Wind die meisten Kerzen löscht? Dann doch besser der einmalige Anblick der wie ausgesäten Lichtpunkte – oder? Gerät aber dann das Ganze nicht in die Nähe – und Gefahr – des "Events", jener letztlich von A bis Z geplanten Show? Kollig: "Echt zu sein, bedeutet oft auch, anfällig und verletzbar zu werden … Wenn wir in der Liturgie echt sind, dann stellen wir gleichzeitig auch Nähe und Beziehung her, werden glaubwürdig, zeigen Charakter und machen den Unterschied deutlich zwischen Gottesdienst und Show, liturgischem Fest und Event."

Es sind solche nahe liegenden Einsichten, die, eigentlich unspektakulär, dennoch aufhorchen lassen. In dieser Weise bedenkt Kollig den Einsatz von Wort und Musik in der Liturgie, von Nähe und Distanz, betrachtet den Wunsch zu schauen und zu berühren. Dabei geht er den Worten und ihrer Bedeutung auf den Grund, in manchmal geradezu meditativer Weise. Der Autor bindet das, was er zu sagen hat, konsequent zurück an die Erfahrungen, die er mit und bei den Weltjugendtagsgottesdiensten gemacht oder mit anderen beobachtet hat. Die Gestaltung dieser Gottesdienste hat ja nicht zuletzt wegen ihrer Bildersprache, Eindrücklichkeit und Zeichenhaftigkeit, die für sich selbst sprach, viel Lob geerntet. Es wäre ein empfehlenswertes Experiment, mit diesem Buch in der Hand eine der Gottesdienstaufzeichnungen noch einmal anzuschauen; das würde eine Art "liturgischen Lerneffekt" freisetzen, der auch für die gewöhnliche Gemeindemesse inspiriert.


Event und Alltagsliturgie
Aber kann man denn von solch einmaligen "Events" wie einem Papstgottesdienst oder den Eröffnungsfeiern des Weltjugendtags mit Hunderttausenden Teilnehmenden etwas für die schlichte Alltagsliturgie lernen? Ist nicht die Gewöhnung, ja manchmal Abgestumpftheit so mancher Gottesdienstgemeinschaft viel zu groß, als dass man hier noch zu wirklichen "Aha-Erlebnissen" durchstoßen könnte? Auch hier weist das Buch einen Weg: Es bleibt immer auf dem Boden der Erfahrungswelt heutiger (nicht nur junger) Menschen und gruppiert seine Ausführungen um den einen zentralen Gedanken – Gottesdienst, das ist in erster Linie Gottes Dienst an den Menschen, und nicht etwa Leistungsshow oder intellektueller Hürdenlauf. "Die Gestaltung des Gottesdienstes ergibt sich aus der Betrachtung der Heiligen Schrift, konkret der Texte, die in dem Gottesdienst vorgetragen werden. Sie ist weniger das Ergebnis eines intellektuellen Aktes, sondern entsteht aus der Spiritualität, die kreativ entfaltet und theologisch verantwortet wird … Im Gottesdienst erinnern wir uns nicht nur an das Heil, das Gott durch Jesus Christus gewirkt hat, sondern feiern das Wirken Gottes in der Gegenwart." (104) Wieder so eine eigentlich selbstverständliche Einsicht, die entkrampft.

Die Nachhaltigkeit des Weltjugendtages
An vielen Stellen ist schon vieles über die "Nachhaltigkeit" des Weltjugendtags gesagt worden. Dieses Bändchen, aufmerksam gelesen und mit Bedacht umgesetzt, kann sich als eine ausgezeichnete Hilfe dazu entpuppen – nämlich neu aufmerksam zu werden für den Reichtum und die Möglichkeiten der Liturgie und damit den Untertitel wahr werden zu lassen: Die Liturgie des XX. Weltjugendtages lebt weiter, für alle Kinder Gottes. Deshalb ist dieses unscheinbare Buch wichtig.

Von Pommestüten und unechtem Kerzenlicht – und Folgen für den Gottesdienst

Manfred Kollig: Überall Wolke – Die Liturgie des XX. Weltjugendtags lebt weiter. Münster: Aschendorff Verlag 2006. 112 Seiten, kartoniert, s/w-Fotos, 9,90 Euro. ISBN 3-402-00414-3
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