Foto: Constantin Graf Hoensbroech


Pilger- und Chorreise
Kölner Domchöre nach Israel und Palästina


Gastbeitrag von Constantin Graf Hoensbroech


„Sie haben die Heiligen Drei Könige in Köln, die vor 2000 Jahren bei uns waren. Nun kommen die Chöre von Köln mit drei Gaben zu uns: Musik, Freude und Frieden.“ Mit diesen Worten fasste Paulos Marcotzo, der Bischof von Nazareth, sein persönliches Konzerterlebnis an diesem denkwürdigen Abend in der Aula der Schule der Salvatorianerinnen zusammen. Doch die Worte des katholischen Oberhirte in der Heimatstadt Jesu Christi sind weit mehr als nur die persönliche Meinung eines einzelnen. Sie lassen sich zugleich als Ergebnis einer neuntägigen Reise zusammenfassen, die der Kölner Domchor sowie der Mädchenchor am Kölner Dom unmittelbar nach Weihnachten singend und pilgernd durch das heilige Land unternahm.


Musik, Freude und Frieden – das waren in der Tat die Botschaften, mit denen die 69 überwiegend jungen Sänger die Menschen in Israel und Palästina bewegten. Als singende Friedensbotschafter der Stadt Köln und seiner Kathedrale waren sie von ihren Schirmherren Joachim Kardinal Meisner und Oberbürgermeister Fritz Schramma in das so krisengeschüttelte Land gesandt worden, ein Anspruch, der ihren Chorleitern doch erst einmal zu anspruchsvoll erschien. „Als wir im Oktober zur Vorbereitung der Reise in Israel war, habe ich gesagt, dass das mit den Friedensbotschaftern zu hoch gegriffen ist“, erinnern sich Domkapellmeister Eberhard Metternich und Domkantor Oliver Sperling. Nach der Reise korrigieren sie sich:
„Es war ein zutiefst bewegendes Erlebnis, dass wir tatsächlich im Sinne des Friedens etwas bewegen konnten.“


Fürwahr: Bei ihren Auftritten begeisterten die Jungen und Mädchen nicht nur mit stimmlicher Brillanz, höchster musikalischer Qualität und breit gefächerter Chorliteratur mehrerer Jahrhunderte. Weit wichtiger war, dass sie durch ihre Unbekümmertheit, ihre Lebensfröhlichkeit und ihre Freude daran, den Menschen im oft so unheiligen Land Freude bereiten zu können, eben jene Zuversicht und Hoffnung überreich verteilten, nach denen die Menschen sich so sehnen.

Zwei Beispiele aus Nazareth und Bethlehem verdeutlichen das. So gab es in Nazareth nach dem offiziellen Teil des Konzerts vor rund 650 Zuhörern noch ein inoffizielles Programm mit gerade einmal einer handvoll Zuhörer. Denn zusammen mit vielen israelischen Jugendlichen stürmten die Chöre erneut auf die Bühne und sangen im fast menschenleeren Saal kölsche Lieder und schunkelten mit ihren gleichaltrigen Freunden als ginge es um die Generalprobe für den gemeinsamen Auftritt bei einer Karnevalssitzung.

In Bethlehem trafen sich die Chöre nach der musikalischen Umrahmung der Messe in der Katharinenkirche neben der Geburtskirche zu einem Workshop mit  Schülern des Musikkonservatoriums im International Center
of Bethlehem. Gemeinsam wurden Stücke erarbeitet, Instrumente ausprobiert und die unterschiedlichen Musiktraditionen einander vorgestellt. „Quem pas-to-res lau-da-ve-re“, zerlegte Domkapellmeister Eberhard Metternich die Eingangszeile eines Liedes, um Note für Note die unterschiedlichen Stimmen der Chöre zum gemeinsamen Klang zu führen. Dass dann ausgerechnet ein junger Sänger des Domchores an der falschen Stelle dazwischen sang, brachte zusätzliche Entspannung in die ohnehin schon freundschaftliche Arbeitsatmosphäre. Anschließend löste Domkantor Oliver Sperling den Eingangsakkord eines „Salve Regina“ für Mädchenchor in seine fünf Einzeltöne. Da mischten sich zunächst einige deutlich hörbare Dissonanzen hinein, doch schließich gelang es den Kölner Mädchen mit ihren Kolleginnen aus Bethlehem einen strahlend reinen Akkord erklingen zu lassen. „Das war alles so wahnsinnig aufregend, und ich habe so viel neues über das Singen gelernt“, zeigte sich nach er Arbeit die 16-jährige Ameera begeistert. Der zwölfjährige Leith war „einfach nur glücklich“ und fügte sehr nachdenklich, fast philosophisch hinzu: „Wir sind vielleicht sehr arm, aber unsere Herzen sind so reich.“
 Besonders stolz war er, dass er zusammen mit anderen Musikern den Kölnern arabischen Jazz vorspielen konnte. Und die jungen Gäste aus der Domstadt waren insbesondere von Leiths Spiel auf dem Kanoo begeistert, einem 78 Saiten umfassenden arabischen Instrument, ähnlich einer übergroßen Zither. Leith hatte sich dazu fast aufreizend den Schirm seiner Baseballmütze über das linke Ohr gezogen, den Kaugummi schob er lässig zwischen der rechten und linken Backe hin und her. „Das war einfach nur genial, wie die ihre Instrumente vorgestellt haben“, befand Ulrike (16). Helena (20) war vor allem vom „Reichtum und der Vielfalt arabischer Musiktradition“ angetan. Es war für alle Menschen eine tiefe, eine reiche Begegnung, die da in der kleinen Stadt Bethlehem stattfand, die weitgehend  von der riesigen Mauer der Israelis umschlossen wird und den Menschen einen so bedrückten, fast depressiven Alltag beschert. Treffend sprach denn auch nach dem gemeinsamen Abschlusskonzert der Bürgermeister von Bethlehem, Hanna J. Nasser, von „einem einzigartigen Zeichen der Solidarität und Hoffnung“.

Allein die Tatsache, dass die Chöre aus Deutschland überhaupt gekommen waren, reichte schon für begeisternden Zuspruch durch die Gastgeber. Und wenn sie dann auch noch sangen, „haben sie unsere Herzen so tief bewegt“, wie der Israeli Amitai Tutter mit Tränen in den Augen nach dem Konzert in der Benediktinerabtei Hagia Maria Sion in Jerusalem bemerkte. Odette Amir ergänzte bewegt: „Der Gesang hat so eine heilige Stimmung verbreitet und wirklich etwas von dem weltweiten Gut des Friedens spüren lassen.“

Doch auch für die Sänger selbst war die Reise eine tiefgreifende, bleibende Erfahrung. Nicht zuletzt, weil sie Solidaraität und Hoffnung und Glaubenserfahrungen bei den liturgischen Höhepunkten, Andachten und Meditationen immer wieder selbst reflektierten. Etwa vor dem Konzert in der Brotvermehrungskirche in Tabgha am See Gennesaret, bei der Meditation in der Seemitte während einer Bootsfahrt, beim „Angelus Domini“ in der Verkündigungskirche in Nazareth oder im Garten Getsemane – Orte, an denen die so oft gehörten Worte der entsprechenden Evangelienstellen auf einmal so vorstellbar, so lebendig wurden, sich neu erschlossen und die Authentizität des weltumspannenden Geheimnis der Weihnachtsbotschaft sowie des Lebens und Sterbens Jesu Christi erspüren ließ. Domvikar Oliver Dregger, der Präses der Chöre, verstand es, die geistlichen Akzente ebenso schlicht wie eindringlich zu gestalten und die zeitlosen Botschaften der Heiligen Schrift den Jungen und Mädchen naqhezubringen. Unde wer hat sich nicht angesprochen gefühlt, als der Geistliche an der Quelle des Benias, dem Hauprquellfluss des Jordan, erklärte: „Hier beginnt der Weg Jesu, hier fragte er: Für wen halten mich die Menschen, für wen haltet ihr mich?“
„Es ist phantatsisch, wie man auf einmal das alles wahrnimmt“, meinte Pepa (14). „Das bleibt ganz anders hängen, viel intensiver und gelebter, weil biblische Geschichte so plastisch erwacht“, ergänzte Mike (25). Marie (18) sagte treffend: „Es ist so real.“ Vor allem die über 2000 Jahre alten Olivenbäume im Garten Getsemane hatten es ihr und ihrer Zwillingsschwester Marie angetan. „Man konnte das vor dem geistigen Auge auf einmal sehen, wie Jesus hier unter einem Baum betete und die Jünger einige Bäume weiter schliefen.“ Ulrich (18) stellte fest: „Für den eigenen Glauben nimmt man so viel mit.“ Als die Jungen und Männer des Domchores am Donnerstag wieder im Dom die Messen zum Dreikönigstag sangen und unweit des Schreins ihrer prominenten Vorfahren als Pilger ins Heilige Land standen, war das wohl nicht nur für Bernhard (24) „ein kaum zu beschreibendes Gefühl der Verbundenheit“.


Nicht nut die Jungen und Mädchen des Kölner Domchors sowie des Mädchenchors am Kölner Dom, erstmals in ihrer Geschichte gemeinsam auf Auslandstour, werden noch einige Zeit brauchen, „um wieder richtig in Köln anzukommen“, wie Anne-Kathrin (25) auf der Rückfahrt vom Frankfurter Flughafen bemerkte. Auch vielen Menschen im Heiligen Land ergeht es wohl ähnlich. Wie sagte doch die Mutter der 17-jährigen Schülerin Maha aus Nazareth treffend: „Ich habe nicht geglaubt, dass die Chöre wirklich kommen werden. Jetzt kann ich noch gar nicht richtig glauben, dass sie tatsächlich da waren.“